Liebeserklärung ans Lesen

05.11.2008
"Very british" ist der Roman "Die souveräne Leserin" von Alan Bennett. Auf sehr skurrile Art geht der Autor der Frage nach, ob die Literatur den Menschen verändert. Seine "souveräne Leserin" ist die Queen, die sich durch Bücher von einer dienenden Monarchin in eine kritische Weltbetrachterin verwandelt.
Ein solches Buch kann nur ein Engländer schreiben. Ein Engländer mit literarischer Bildung, Selbstironie und Geschichtsbewusstsein. Ein Engländer, der in Tweedjacke und Krawatte sein Hausschwein an der Leine spazieren führt wie der 1934 geborene Alan Bennett.

Er wurde durch seine TV Comedy-Revue "Beyond the Fringe", durch Radiomonologe, die die BBC unter dem Titel "Talking Heads" sendete und durch skurrile gesellschaftskritische Bücher bekannt. Und jetzt das: ein Buch über das Lesen und über die Folgen. Ein Buch über die Frage: Verändert Literatur den Menschen?

Bennetts "souveräne Leserin" ist die Queen. Sie wird vom Lesen infiziert, lernt durch das Lesen das Reflektieren und sich selbst kennen. Das Lesen verändert ihr Verhältnis zu sich selbst, zu ihrer Rolle als dienende Monarchin und zur Macht, die nicht sie, sondern ihre Untergebenen über sie haben. "Die souveräne Leserin" ist auch eine Liebeserklärung an diese Frau.

Die Monarchin entdeckt, weil ihre Hunde in der Nähe des königlichen Palasts rumschnuppern und rumpinkeln, einen Bücherbus. Dort lernt sie Norman Seakins kennen, rothaarig, unansehnlich, eine Hilfskraft in der königlichen Küche. Norman ist Schotte und ein leidenschaftlicher Leser. Er wird die Queen in die Welt der Bücher einführen.

Ihr erstes Buch ist von Ivy Crompon-Burnett geschrieben, sie findet es ein bisschen trocken, erst Nancy Midfords "Englische Liebschaften" öffnen ihr die Pforten zum Leseparadies. Bald wird die Queen nur noch lesen, auch in der Kutsche, eine Hand winkt während der Staatsbesuche dem Volk zu, mit der anderen hält sie das Buch. Sie liest, wenn abends der Herzog von Edinburgh an ihrer Schafzimmertür mit der Wärmefalsche vorbei schleicht.

Sie, die pflichtbewussteste aller Königinnen, wird sogar kleine Grippen simulieren, um ungestört im Bett lesen zu können, und Norman Seakins wird seinen Platz in der Küche gegen einen Platz in ihrer Nähe tauschen, damit die Queen ihren literarischen Assistenten immer sprechen kann. Mit Norman redet sie über das Lesen und die Fragen, die das Lesen aufwirft. Die Queen begreift, dass Bücher nicht "buckeln" und schreibt in ihr Notizbuch:

"Man legt sein Leben nicht in seine Bücher. Man findet es in ihnen."

Die Queen wird ein anderer Mensch, der Hof sieht das mit Beunruhigung. Man versucht, ihre neue Leidenschaft zu hintertreiben, schickt Norman ohne ihr Wissen weg zum Studium, vereitelt, dass ihre Bücherkiste zum Staatsbesuch mit nach Kanada reist. Aber die Queen weiß sich zu helfen.

Das Lesen hat sie emanzipiert. Sie trifft bei einem Empfang die Schriftstellerin Alice Munro, liest begeistert deren Erzählungen. Sie verlässt die Pfade der Etikette, fragt beim Staatsbankett ihren Tischnachbarn, den französischen Präsidenten, nach Jean Genet. "Ah", sagt der Präsident. "Oui" , verzweifelt sucht er seinen Kultusminister. Die lesende Queen wird zur Gefahr fürs Königreich.

"Die souveräne Leserin" ist ein Buch über die Wirkung von Literatur und eine Liebeserklärung an das Lesen. Es ist auch eine Betrachtung über das Pflichtgefühl, über die Manipulationen, die Untergebene an den Mächtigen vornehmen. Das Ende der kleinen Betrachtung ist auch das Dienstende der Queen. Sie zitiert bei ihrer Geburtstagsparty den Satz:

"Sag Wahrheit ganz, doch sag sie schief - der Umweg bringt Gewinn."

Charmanter, klüger und leichter kann man nicht über das Lesen und das Leben nachdenken, alles "very british".

Rezensiert von Verena Auffermann

Alan Bennett: Die souveräne Leserin
Aus dem Englischen von Ingo Herzke
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin, 2008
115 Seiten, 14,90 Euro