Lieber rot als tot

Von Udo Pollmer · 17.05.2009
"Wer Fleisch isst, stirbt früher" – so rauschte es mächtig im Blätterwald. Eine Studie US-amerikanischer Gesundheitsbehörden schaffte es sogar bis in die Abendnachrichten des Fernsehens. Seither wissen wir: Der regelmäßige Konsum von rotem Fleisch verkürzt unser Leben und verursacht Herzinfarkt sowie Krebs. Immerhin verdanken wir dieses Ergebnis den Daten von über einer halben Million Teilnehmern.
Damit wir wissen, wovon wir reden: Was meinen die Experten mit "rotem Fleisch"? Das hängt davon ab, welches statistische Ergebnis rauskommen soll. Manche Studien zählen Kalbfleisch zum weißen Fleisch, während Rindfleisch als "rot" gilt. Die einen halten Schweinefleisch für weiß, andere für rot. Geflügel, auch wenn es wie beim Straußenfleisch dunkelrot ist, wird für die Statistik weiß. Die Weißwurst gilt manchen Fachleuten als rot – dabei ist es völlig normal, dass das dafür verwendete Kalbfleisch als "weiß" subsummiert wird. Andere halten die Weißwurst für weiß, zählen aber das darin enthaltene Fleisch, wenn Sie es nicht als Wurst sondern als Fleisch essen, zu den roten Sorten. Das rote Lachsfilet ist rein weißes Fleisch. In dieser Studie zählte das weiße Kalbfleisch zu den roten Sorten, während das dunkle Fleisch der Pute die Statistik als weiße Ware bereicherte.

Was soll nun das "rote Fleisch" nach dieser Studie bewirken? Menschen die sehr viel "rotes Fleisch" im Sinne der Studie essen, haben ein um 30 Prozent (!) höheres Risiko zu sterben. Die höchste Sterblichkeit gab es in der Kategorie "andere Todesursachen". Welche das sind, darüber schweigen sich die Mediziner aus. Wer im Sinne der Studie viel "weißes Fleisch" isst, dessen Sterblichkeit sank um zehn Prozent. In den Rohdaten ist der Unterschied noch größer. Die Botschaft: Wer Steaks mit Kartoffeln verzehrt, beißt viel früher ins Gras, als Personen, die zu ihren Pommes und Cola lieber Chicken-Nuggets bestellen. Mit solchen Botschaften verkommen Nachrichten zum Klamauk.

Hier wurden die Ernährungsgewohnheiten immerhin über zehn Jahre untersucht. Wie kann ich mir die Datenerhebung vorstellen – per Videokamera im Kühlschrank? Ganz einfach: Die Teilnehmer bekamen jeweils nach fünf Jahren einen 35-seitigen Fragebogen. Darin sollten sie genau angeben, was sie in den letzten zwölf Monaten so alles gegessen hatten. Kennen Sie noch Ihren Speiseplan vom 22. August 2008? Wissen Sie, was für Fleisch und vor allem wie viel in den Buletten oder den Krautwickeln in der Kantine wirklich drin war? Sind die Angaben der Teilnehmer überhaupt glaubhaft oder im Sinne des Selbstbildes geschönt? Diese Unbestimmtheit erlaubt es den Forschern, die Daten so zu korrigieren, bis sie passen.

Immerhin haben da über 500.000 Menschen mitgemacht. Das erlaubt doch Aussagen? Interessanter sind für mich diejenigen, die nicht mitgemacht haben. Das waren nämlich sechsmal soviel, genauer gesagt stolze drei Millionen. Die haben ihre Fragenbögen über kurz oder lang in den Müll geworfen. Übrig bleiben nur Personen mit Erfahrung im Ausfüllen von Formularen.

Angenommen die Daten würden stimmen. Könnte man dann durch eine Umstellung der Ernährung die Krebsrate senken? Das wird seitens der Fachleute natürlich vehement behauptet, obwohl die Studie das gar nicht untersucht hat. Wenn ich feststelle, dass Whiskytrinker weniger Herzinfarkte haben als Wassertrinker, heißt das noch lange nicht, dass die Menschheit vor dem Infarkt geschützt wird, wenn die Wasserfreunde allmorgendlich zum präventiven Schnapsen veranlasst werden. Es kann sein, dass allein diese Vorstellung ausreicht, um sie dem Herzinfarkt ein Stück näher zu bringen. Wer derartige Korrelationsstudien zum Anlass nimmt, Ernährungsempfehlungen abzulaichen, sollte sich lieber einer körperlichen Arbeit zuwenden. Und vorher zur Stärkung ein saftiges Steak essen, oder von mir aus auch ein Brathuhn oder eine ordentliche Portion Bratkartoffeln. Ohne Mampf kein Kampf!

Literatur:
Sinha R et al: Meat intake and mortality. Archives of Internal Medicine 2009; 169: 562-571
Schatzkin A et al: Design and serendipity in establishing a large cohort with wide dietary intake distributions: the National Institutes of Health-American Association of Retired Persons Diet and Health Study. American Journal of Epidemiology 2001; 154: 1119-1125