Liebenswerte Kritik an der Menschheit

18.01.2013
In seinem vor 500 Jahren erschienenen Buch "Das Lob der Torheit" zeichnete der niederländische Humanist Erasmus von Rotterdam ein Sittengemälde - und rechnete mit Klerus, Monarchie und großen Gelehrten respektlos ab. Jetzt liegt das Werk erstmals als Hörbuch vor.
"Und aus den Algen wurden Dinosaurier ... und sie zerfielen zu Staub. Und aus dem Staub erhoben sich mächtige Reiche ... und sie wurden verweht. Das Wurstbrot aber blieb!"

Bei dieser Stimme werden viele sofort einen großen, stämmigen Mann in grauem Hausmeisterkittel, mit schwarzer Hornbrille und Bart vor Augen haben: Jochen Malmsheimer in der Rolle des Hausmeisters der Satiresendung "Neues aus der Anstalt".

"Aus Eurem Mund die Botschaft hör ich wohl. Allein es fehlt der Glaube ... "

Hier verwendet er mit Vorliebe eine der Rolle völlig unangemessene gehobene Sprache und zitiert Klassiker der Weltliteratur - mit irrem Blick und übertriebenem Pathos:

"Das scheinen euch eine - ich bin mir dessen bewusst - verstiegene Behauptungen zu sein. Doch was ihr gleich hören werdet, steht dem keineswegs nach."

Und auch in seinen Soloauftritten stellte der gebürtige Essener und heutige Wahlbochumer seinen Sinn für absonderliche Sprachgebilde unter Beweis. Davon zeugen allein die Titel seiner letzten Kabarettprogramme: "Ich bin kein Tag für eine Nacht", "Wenn Worte reden könnten" oder "Hinterm Staunen kauert die Frappanz".

"Sollte dies jemandem vielleicht allzu philosophisch formuliert vorkommen, will ich mich meinetwegen noch etwas geschliffener und klarer ausdrücken."

Aktuell stellt er seine Vortragskunst in den Dienst eines "alten Meisters": Auf dem neuen Hörbuch liest Jochen Malmsheimer:

"Das Lob der Torheit. Von Erasmus von Rotterdam."

Ein Buch, das auch 500 Jahre nach seinem Erscheinen noch als eine Art "Katechismus" der Komiker, Satiriker und Kabarettisten gelten kann.

"Hör zu, worauf ich hinaus will."

Das Jahr 1509 verbrachte Erasmus bei seinem Freund Thomas Morus in England. Auf dem Rückweg sitzt Erasmus zwar hoch zu Ross, will aber dennoch nicht untätig sein.

"Da ich also glaubte, unbedingt etwas schaffen zu müssen, die Umstände aber zu ernsthafter wissenschaftlicher Arbeit wenig geeignet schienen, verfiel ich darauf, zum Zeitvertreib ein Lobpreis auf die Torheit zu schreiben."

Gedacht, getan. Nach einer kurzen Widmung an Thomas Morus erteilt Erasmus seiner Protagonistin das Wort:

"Die Torheit spricht: Wie abschätzig auch immer die Sterblichen überall über mich reden mögen - denn ich weiß genau, in welch schlechtem Ruf die Torheit sogar bei den ärgsten Toren steht, so bin doch ich es - ich allein, behaupte ich - die durch meine Macht Götter und Menschen heiter zu stimmen vermag."

In der Folge erklärt die Torheit in Person, warum sie - als Tochter der Nymphe Neothes und des Gottes Plutos - so wichtig für die Menschen ist. Und wie es sich für eine Lobesrede ziemt, steht schon zu Beginn die Erkenntnis: Ohne sie geht gar nichts. Beispiel: Fortpflanzung.

"Mit Verlaub - zeugen etwa der Kopf, das Gesicht, die Brust, die Hand, das Ohr - lauter Körperteile, die für anständig gelten, die Götter und Menschen? Ich denke: nein. Vielmehr ist es jenes blöde und jenes so lächerliche -"

Welches Wort der Übersetzer Kurt Steinmann Erasmus hier in den Mund legt, denken Sie sich doch bitte einstweilen selbst. Die Torheit kommt allerdings zu dem Schluss:

"Mich muss der Weise aufbieten, wenn er Vater werden will!"

Neben dem Erhalt der Spezies reklamiert die Torheit auch die Existenz von Freundschaft, Ehe, Politik, Philosophie, Religion, Kunst, Volkszugehörigkeit und dergleichen mehr für sich. Und das natürlich auf rhetorisch brillante Art. Mit diesem Kunstgriff hielt Erasmus seiner Zeit den Spiegel vor und zeigte den Menschen ihre Unzulänglichkeit. Und plädierte ganz nebenbei für mehr Gelassenheit.

"Wie demnach ein Pferd, das keine Ahnung von der Grammatik hat, keineswegs minderwertig ist, so ist auch ein törichter Mensch nicht als unglücklich zu bedauern, liegt doch die Torheit in seiner Natur."

Jochen Malmsheimer füllt Erasmus' Text mit Leben - so sehr, dass man das Gefühl hat, er extemporiere. Obwohl er sich stellenweise fast überschlägt, hält er sich stets an den Text - und zwar buchstabengetreu. Malmsheimer wird Erasmus.

"Ich seh's Euch an. Ihr wartet auf ein Schlusswort."

Aber bitte: In knapp viereinhalb Stunden galoppiert Malsheimer durch seinen Erasmus. Das ist zwar extrem unterhaltsam, aber eben auch eine satirische und rhetorische Tour de Force, die in Maßen besser genossen ist.

"Nun - sei's drum. Aber zurück zum Thema."

Fazit: Dieses ungewöhnliche Treffen über fünf Jahrhunderte hinweg hätte leicht schiefgehen können - zu leicht hätte der Text im Jahr 1511 "hängenbleiben" können. Malmsheimers eher kabarettistische Herangehensweise aber wirkt wie ein "update" auf den Text. Und so funktioniert Erasmus' Text als liebenswerte Kritik an der Menschheit, pardon: an der "Menschlichen Komödie" auch heute noch.

"Der Wahrheit wohnt nämlich eine gewisse, ursprüngliche Kraft inne, Vergnügen zu bereiten."

"Malsheimer liest Erasmus" bedeutet eben auch das Treffen zweier "Narrosophen" im Geiste - wobei die kleine Differenz von 500 Jahren kaum noch ins Gewicht fällt. Daher fällt es leicht, sich Erasmus' Schlusswort anzuschließen:

"Gehabt Euch wohl, klatscht Beifall, genießt das Leben und trinkt - ihr hochangesehenen Adepten der Torheit."

Besprochen von Ralf Bei der Kellen

Erasmus von Rotterdam: "Das Lob der Torheit"
Gelesen von Jochen Malmsheimer
tacheles, Bochum 2012
3 CDs, 19,99 Euro