Libyen und die falsch geknöpfte deutsche Außenpolitik

Von Peter Lange, Chefredakteur Deutschlandradio Kultur · 23.08.2011
"Wenn man eine Jacke beginnt, falsch zuzuknöpfen, kann man immer weiter machen, sie wird nie richtig sitzen". So spricht der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, und wer will ihm widersprechen. Allerdings: Er meint die Schuldenkrise und die Diskussion um die Euro-Bonds. Genauso gut hätte er das schöne Bild auch auf die Libyen-Politik der Regierung anwenden können. Die ist auch verkorkst, nur dass man sie nicht mehr aufknöpfen kann.
Im Februar konnte sich die Bundesregierung bekanntlich nicht dazu durchringen, mit den verbündeten westlichen Demokratien für das UNO-Mandat zu einem Libyen-Einsatz zu stimmen. Stattdessen fand sich Berlin in einer optisch zweifelhaften Allianz mit Moskau und Peking wieder, die sich der Stimme enthielten. Außenminister Westerwelle wies ein ums andere mal mit energischem Ton zurück, was niemand verlangt hatte: Deutschland werde sich an einem Kampfeinsatz nicht beteiligen. Und das alles nur, um wie weiland Gerhard Schröder vor dem Irak-Krieg aus einer vermuteten Anti-Kriegsstimmung Kapital für seine sieche Partei zu schlagen. Inzwischen ist klar geworden, dass Deutschland über die Planungsstäbe der NATO sehr wohl konkret beteiligt ist, was es umso aberwitziger erscheinen lässt, dass dem UNO-Mandat im Weltsicherheitsrat die politische Unterstützung verweigert worden ist.

Sechs Monate später, die Waffen in Tripolis sind noch nicht verstummt, da bringt sich dieselbe Bundesregierung für einen Bundeswehreinsatz zur Stabilisierung von Libyen ins Gespräch. Natürlich in der üblichen politischen Tarnsprache: Man schließe nichts aus, und man warne vor übereilten Schritten. Aber die Absicht ist klar: Wo die anderen schon in Libyen drinstehen, muss Deutschland jetzt schnell wenigstens einen Fuß in die Tür bekommen. Denn wie hieß es heute so schön in einem Börsenbericht aus Frankfurt: Die großen Konzerne sind sprungbereit.

Und weil es auf eine Nebelkerze mehr oder weniger nicht mehr ankommt, wird nun für Libyen das hohe Lied von Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Stabilität gesungen. Libyen hat so wenig demokratische Substanz wie Afghanistan. Es ist genauso von rivalisierenden Clan-Strukturen durchsetzt und beherrscht wie das Land am Hindukusch. Jeder gutgemeinte Einsatz von ausländischem Militär zur Stabilisierung von was und wem auch immer kann jederzeit als Besatzungsregime denunziert werden, mit vergleichbaren Folgen wie in Afghanistan.

Es gibt allen Anlass für die Bundesregierung, den Ball flach zu halten. Die deutsche Außenpolitik war seit Jahresbeginn ohne Richtung und Ziel. Sie hat überdies die Verbündeten brüskiert, auch wenn die das nicht laut sagen. Das alles verträgt sich nicht mit dem Anspruch, international Verantwortung zu übernehmen. Und wenn es mit dem Ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat nun endgültig nichts werden sollte, dann wird sich Berlin darüber kaum beschweren können.


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"Aktuell" vom 23.8.2011: Rebellen stürmen Gaddafis Residenz - Aufenthaltsort des libyschen Machthabers weiter unklar