Libanesische Indie-Band Mashrou' Leila

Provozieren mit Songs über schwule Liebe und Politik

Die libanesische Indie-Rock-Band Mashrou' Leila bei einem Auftritt im französischen Bourges am 26.04.2015
Die libanesische Indie-Rock-Band Mashrou' Leila bei einem Auftritt im französischen Bourges im April 2015 © AFP / GUILLAUME SOUVANT
Von Ceyda Nurtsch · 08.06.2016
Die Musiker von Mashrou' Leila bilden die bekannteste Indie-Band aus dem Nahen Osten – und die umstrittenste. In ihren Texten geht es um gleichgeschlechtliche Begierde und Politik-Satire. Arabische Länder verbieten häufig ihre Konzerte. In Europa und Amerika dagegen werden sie immer berühmter.
"Sag mir, dass ich dich befriedige, wie er dich befriedigte. Und Küsse dich dazu bringen, über mich zu fantasieren. Mein Herz klopft an deiner Tür und du schnürst mir die Kehle ab." Singt Hamed Sinno – Frontmann der libanesischen Indie-Band Mashrou' Leila – über homosexuelle Erotik in dem Lied "Ala Babu/An seiner Tür". Seine Worte sind schonungslos offen, sein Ausdruck ist poetisch, intensiv. Stets in ein schwarzes Trägertop gekleidet, das seine kräftigen Oberarme freigibt, tanzt Sinno stark und geschmeidig zugleich zu seiner Musik. Kritiker haben in ihm schon den Freddy Mercury des Nahen Ostens gesehen.
Begleitet wird Sinno vom armenischen Geiger Haig Papazian, dem Christen Carl Gerges am Schlagzeug, Feras Abou Fakher an der Gitarre und Ibrahim Badr am Bass. Gefunden hat sich die buntgemischte Band in Beirut. In nächtlichen Jamsessions. Daher der Name Mashrou' Leila, was so viel bedeutet wie nächtliches Projekt. Das war 2008. Seither wächst ihr Erfolg. In den arabischen Ländern und zunehmend auch in Europa, den USA und Kanada. Ihren Erfolg erklärt Frontmann Hamed Sinno:
"Die Politik und die Beziehungen zwischen dem Nahen Osten und dem Rest der Welt sind sehr speziell. Durch das Internet ist es schwieriger geworden, eine einfache Vorstellung davon zu haben, was die arabische Welt ist, dass sie extrem konservativ ist und jeder unterdrückt wird und selber unterdrückt. Dabei ist es offensichtlich, dass es dort genauso kompliziert ist, wie überall sonst. Aber das sieht man nicht in den Medien. Daher denke ich, ist die Band für manche Menschen von Bedeutung."
Mashrou' Leila singen in libanesischer Mundart über Begierde und hoffnungslose Liebe, das Beiruter Nachtleben und politische Bevormundung. Über ihren Alltag eben. Das polarisiert. So sind ihre CDs nicht in allen arabischen Ländern erhältlich. Noch im April verbot die jordanische Regierung ein Konzert in Amman. Die Reaktion der Fangemeinde erfolgte über die sozialen Medien: #WeWantLeilainAmman wurde schnell zu einem der weltweit führenden Hashtags.

Bestimmt von der Atmosphäre des "Arabischen Frühlings"

Mashrou' Leila ecken an. Ihre Texte brechen Tabus. Man wirft ihnen vor, die arabische Sprache zu zerstören. Angriffe, erzählen die Bandmitglieder, beschränkten sich bislang auf verbale Attacken. Sich im Libanon, einem Land, das keine Infrastruktur für Independent Bands hat, einen Weg zu bahnen, ist ein ständiger Kampf, wie Frontmann Hamed Sinno erklärt.
"Unsere Musik klingt nicht so wie das, was der Mainstream immer wieder als 'arabisch' reproduziert. Das ist ja im Grunde wiedergekäute Folklore und wird den Menschen unter dem Vorwand kollektiver Identität aufgezwungen. Und unsere Texte thematisieren Dinge, mit denen sich einige Menschen nicht wohl fühlen. Das alles ist ein ständiger Widerstandskampf. Der ist gar nicht so sehr politisch motiviert, es geht uns vor allem darum, uns selbst gegenüber aufrichtig zu bleiben und eine Karriere mit dem zu machen, was wir lieben. Trotz aller Schwierigkeiten."
"Noch sitzt er auf seinem Platz, sein Blick auf mich gerichtet, die Waffe in der Hand, seine Haare gestylt, sonst schert ihn nichts. Er kommt auf mich zu, mit vorgestreckter Brust." Neben den tanzbaren Rhythmen und eingängigen Melodien sind die beschriebenen Lebensrealitäten – wie in dem Song "al-Hagez/Checkpoint" – so universal, dass die Band Fans aus dem Libanon, über Palästina bis nach Ägypten gleichermaßen aus der Seele spricht.
Wesentlich mitbestimmt wurde das Leben und Schaffen der Bandmitglieder von der Atmosphäre des sogenannten Arabischen Frühlings. Kurz nach dem sich die Band gründete, fegte er wie ein Hoffnungswind durch die arabische Welt und brachte für einen kurzen Zeitraum ein Aufbäumen gegen die Autoritäten mit sich.

Mashrou' Leila will nicht in die Weltmusik-Nische

Mit dem Ausdruck "Arabischer Frühling" habe er nie besonders viel anfangen können, erklärt Hamed Sinno. Er sei eine Erfindung des Westens. Aber in dieser Atmosphäre zu leben, habe ihnen wie so vielen anderen bewusst gemacht, dass im Grunde alles politisch ist. Und dieses Spannungsfeld von Politik und Privatem spiegele sich in ihrer Musik wider.
"Es gibt diese intensiven Momente, in denen die Politik dich antreibt. Dann möchtest Du Dinge verändern und aktiv sein. Und dann gibt es Momente, in denen dich alles überwältigt und du einen Raum schaffen möchtest, nur für dich. In unserem Schaffen spielen beide Aspekte eine Rolle, da geht es in der einen Hälfte des Albums um Politik und in der anderen darum, ihr zu entfliehen."
So ist "Lil Watan/Für die Heimat" ein Song, in dem sie den Nationalismus thematisieren. Hier heißt es: Sie bringen dir die Nationalhymne bei und bläuen dir ein, dass es gut ist zu leiden, für die Heimat. Vier Alben haben Mashrou' Leila bislang herausgebracht. Ihre Musik ist mal melancholisch, mal poppig. In ihr kommen der Zorn über die Einschränkung der Freiheit, die Lust auf ausgelassenes Feiern und Begehren, die romantische Suche nach Liebe genauso zum Ausdruck wie körperliches Begehren. Dabei kämpfen Mashrou' Leila darum, als Indie-Band mit arabischen Texten wahrgenommen zu werden und nicht in der Weltmusik-Nische abgestellt zu werden. Denn diese Idee von globaler Kultur ist sehr eurozentrisch, wie Hamed Sinno und Gitarrist Firas Abou Fakher erfahren mussten.
Hamed Sinno: "Wir wurden auf Weltmusik Festivals eingeladen und sollten in einem Zelt spielen, das 'Der magische Teppich' hieß. Das ist auch beleidigend. Man sagt, du kommst in deiner Eigenschaft als Musiker, aber wir behandeln dich in deiner Eigenschaft als Araber. Weil wir aus dem Libanon kommen, denkt man, unser Catering müsse aus beschissenem Kebab und schlechtem Humus bestehen. Ich möchte neues Essen ausprobieren, so wie jeder andere auch."
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