Europas Jugend in München

Letzte Hoffnung Merkel-Land

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Rafael Fernández lebte sechs Jahre lang in München. © Tobias Krone
Von Tobias Krone · 05.04.2017
Als Migrationsmetropole ist München nicht berühmt. Doch in der Wirtschaftskrise steht die bayerische Landeshauptstadt bei jungen hochqualifizierten Arbeitssuchenden für Hoffnung - und die Unternehmen brauchen sie. Tobias Krone war in der Stadt unterwegs und besuchte die jungen Europäer.
Europa als ungewisse Zukunft, Europa als Chance. Ana Popescu-Ciobanu hat sie ergriffen:
"Als junger Mensch weiß man nicht, was einen erwartet. Und die Hoffnung ist etwas sehr wichtiges."
Die Hoffnung wohnt unterm Dach – mietpreisbedingt etwas außerhalb, im Münchner Norden. Ana Popescu-Ciobanu ist 29 Jahre alt. Die Architektin im grauen Kleid kam vor fünf Jahren aus Rumänien nach München. Seither plant sie Büros – und Hotels. Das könnte sie auch in Rumänien. Doch die Wirtschaftskrise und ihre Folgen machen den Unterschied.
"Arbeit gibt es viel in Rumänien. Weil man viel bauen muss, viel modernisieren und restaurieren. Aber Geld gibt es dafür nicht. Leider."
Nach ihrem Studium in Bukarest wollte Ana Popescu-Ciobanu in ihrem Beruf arbeiten – und genug Geld verdienen, um davon zu leben.
"Meine Eltern konnten mich nicht finanziell unterstützen. Und in Rumänien ist es so, dass in der Architektur die Situation ganz kritisch ist. Und gleich nach dem Studium kann man nicht unabhängig sein."

Ein mutiger Schritt in die Fremde

Über Skype-Videoschaltung hat sich Ana Popescu-Ciobanu 2012 bei einem Münchner Architekturbüro beworben. Und den Job bekommen. Deutsch lernte sie erst in München. Ein mutiger Schritt in die Fremde – und in eine gute Zukunft. Hier in München lernte sie ihren rumänischen Mann kennen, einen Musiker, beide haben sie auch deutsche Freunde. Doch für beide ist klar: Hier werden sie nicht ewig bleiben.
"Ich bin zufrieden, mir geht's gut, ich lerne viel. Ich sammle Erfahrung. Aber wir denken schon sehr viel an Rumänien, und wir hoffen, dass wir eines Tages zurückgehen."
Für tausende Akademiker aus dem Süden und Osten Europas bedeutet Jobsuche, nach Deutschland zu ziehen. Die boomende Wirtschaftsmetropole München bietet ihnen Arbeit und gute Gehälter. Die Europäer nehmen den Kampf auf mit dem Wohnraummangel – und mit einer Sprache, die sie oft nicht beherrschen. Aber: Hier stehen ihnen die Türen offen. Münchens Unternehmen haben zu wenige Fachkräfte. Sie tun viel dafür, junge Europäer anzulocken. Und sie in Deutschland zu halten. Wie geht es der Zukunft Europas in München? Wie klappt die Integration? – Und wie nachhaltig ist diese freundschaftliche Zweckbeziehung auf einem hochflexiblen Arbeitsmarkt?
Jochen Frey: "Wir werben natürlich europaweit. Wir gehen auch vor Ort an ganz spezifische Hochschulen, an denen ganz spezifische Fachrichtungen absolviert werden und gelehrt werden."
Te gusta aprender – Freude am Lernen. So hat BMW sein Jobförderprogramm für junge Spanier benannt. Es umfasst ein Praktikum, einen Deutschkurs und einen zusätzlichen einjährigen Master an einer Fernuni. Laut Unternehmens-Sprecher Jochen Frey bleiben rund ein Drittel der Teilnehmer nach dem Jahr als reguläre Arbeitskräfte in der Firma. Auch Alejandro Aguiar. Der 26-Jährige hat hier Arbeit gefunden, in der BMW-Finanz-Abteilung. Wäre er nach seinem BWL-Studium in Madrid geblieben, hätte auch ihn die Wirtschaftskrise eingeholt.
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Aguiar Alejandro Aguiar hat in der BMW-Finanz-Abteilung Arbeit gefunden.© Tobias Krone
Alejandro Aguiar: "Bei mir in der Uni hatten die Leute eigentlich einen ganz vernünftigen Lebenslauf, also gute Noten, Sprachen etc., und dann auch gute Bewerbungsgespräche. Ich glaube, es gibt in Spanien schon das Gefühl, dass man das nicht mehr schätzt, wie stark man sich bemüht hat. Das führt zu einem gewissen Frust."
Seit zwei Jahren nun genießt er dagegen ein Gehalt, das doppelt so hoch ist wie das seiner ehemaligen Studienkollegen in Spanien, bei weniger Arbeitszeit und der Möglichkeit Überstunden abzubauen. Seine Freizeit verbringt er in den Bergen beim Skifahren. Mit anderen Spaniern bei BMW hat er eine WG und eine Fußballmannschaft gegründet. Heimweh verspürt der Betriebswirt keines.
"Klar, die Familie ist dort, die Sonne ist toll in Spanien, aber die Bedingungen – sind hier. Die Frage ist, inwiefern würde man diese tollen Arbeitsbedingungen opfern, um näher an der Familie zu sein oder an der Sonne. Also für mich gibt es kein Trade-Off mehr. Für mich ist es eindeutig, dass ich hierbleiben will. Und zwar mittel- bis langfristig."
Die Freude am Lernen hat sich für Alejandro Aguiar offensichtlich ausgezahlt.
Nicht immer sind es die Ausländer, die sich anpassen. Manchmal sind es auch die Deutschen. Emil Salzeder, IT-Unternehmer, braungebrannt, erklärt in der Teeküche seiner kleinen Firma stolz, dass die Deutschen in seiner Firma in der Minderheit sind. Er hat über die Jahre einiges gelernt.
Emil Salzeder: "Das erste, was du lernst, ist mal ein vernünftiges Englisch. Das ist wirklich wichtig. Eine wertvolle Geschichte, wenn ich einen Slowaken und einen Deutschen zusammenhabe, und es gibt ein Missverständnis, dann kann ich immer noch auf Englisch ausweichen. Das hat mir mal eine Kollegin gesagt: 'Can we speak English, so we both enjoy advantages and disadvantages in a comparative way.' So, und das war schon schön, dass man gesagt hat: Wir nivellieren das Sprachniveau, wenn wir schwierige Dinge in Englisch sprechen. Dann hat niemand einen großen Vorteil."
Emil Salzeders Firma com.cultur berät große Unternehmen wie BMW oder den Elektrokonzern ABB dabei, wie sie ihren Kundenservice verbessern. Seinen unscheinbaren Sitz hat das einstige Startup über einem Fotostudio in der Münchner Vorstadt Unterhaching. Eine eher langweilige Reihenhaussiedlung – neben internationalen IT-Firmen. Den Kosmopolitismus sieht man der Gemeinde kaum an. Trotzdem:
Emil Salzeder: "Meine Nachbarn sind Franzosen, wir sprechen miteinander Englisch, weil wir dann eine Ebene haben. Meine Mieter in meiner alten Wohnung sind Russen. Daneben ist jetzt eine Familie eingezogen, eine halbindisch-britische Familie. Und zwar, dahinten sitzt der Infineon, gottseidank, dann sitzt Intel daneben, hier sitzt Wrigley's, da hast du jetzt zwei Firmen in Spuckweite, wo die Geschäftssprache Englisch ist. In meiner spießigen Siedlung im Fasanenpark, dort reden wir mit den Nachbarn 50 Prozent Englisch. Und selbst unsere alten Rentner sind ganz aufgeregt immer, wenn die ihr Schulenglisch ausbuddeln."
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Emil Salzeders Firma com.cultur berät große Unternehmen© Tobias Krone
Auch Emil Salzeders Firma profitiert von den Europäern in München. Das merkte er bei einer Stellenausschreibung.
"60 Prozent aller Bewerber waren keine, und als wir dann die 40 Prozent Deutschen doch interviewt haben, haben sie gesagt: Nein, ich wollte eigentlich lieber bei BMW irgendeinen gemütlichen Job haben. Dass es den da nicht mehr gibt, müssen sie selber erfahren, aber tatsächlich ist das Gros der Bewerber, waren aus dem EU-Ausland. Die sind experimentierfreudiger als wir Deutschen, glaube ich."
Die Software-Beraterin Katarina Christenson arbeitet mit im Büro. Sie hat in ihrer Heimat Bratislava und dann in Amerika für IBM gearbeitet, kam dann mit ihrem amerikanischen Ehemann nach München. Mit ihren 45 Jahren hat sie einige Stationen hinter sich. Und sie beobachtet, dass ihre slowakischen Kollegen mittlerweile sesshafter werden – und zwar in der alten Heimat.
Katarina Christenson: "When I was finishing, and that was in 94. Like we had a group of 30 people who studied the same topic – half of them went out. But I could see lots of them coming back. So lots of them are back now. I think the work situation has changed in Bratislava. Bratislava became very much on the level of any other western town, services were available, work was there. So they went to contribute back there, I think, back home, and home you always feel the most comfortable. It's always the case.”
Übersetzung: "Als ich 94 meinen Abschluss gemacht habe, waren wir 30, die das gleiche studiert haben, die Hälfte ist ins Ausland gegangen. Aber ich habe gesehen, wie viele von ihnen wieder zurückgekommen sind, viele sind jetzt zurück. Ich denke die Arbeitssituation hat sich verändert. Bratislava ist heute ziemlich auf einem Niveau mit anderen westlichen Städten. Es gibt Dienstleistung, es gibt Arbeit. Also sind sie, denke ich, zurückgegangen, um ihren Teil dazu beizutragen. Und zu Hause fühlt man sich doch immer am wohlsten."

60.000 Fachkraftstellen im Raum München unbesetzt

Gerade in München dürfte man diesen Gedanken verstehen. Wo wenn nicht unter dem weißblauen Himmel Bayerns wäre man überzeugt davon, dass es daheim am Schönsten ist? – Doch sollte sich der Trend zur Rückkehr fortsetzen, dürfte das Wohlbefinden bei den Unternehmen in der Region spürbar sinken. Schon Ende des Jahres werden laut Industrie- und Handelskammer 60.000 Fachkraftstellen im Raum München unbesetzt bleiben. Jedes zweite Unternehmen sieht im Fachkräftemangel das größte Risiko für seine eigene Geschäftsentwicklung.
Ein irisch-australischer Pub im Schatten der Frauenkirche. Wer abends hier landet, wird als München-Tourist der eher unmotivierten Sorte abgestempelt. Für den 31-jährigen Fabio Gini, 31, und seine 29 Jahre alte Freundin Carolina Santillo, ist der Laden aber vielmehr ein Stück mitgenommene Teilheimat.
Fabio Gini: "Coming from England I prefer these kind of pubs. Because okay the beer, I much more prefer this kind of beer, compared to the typical German Bavarian brewery I prefer the English style. But that's because we have been living there for three years.”
Carolina: "It's international, so all the waiters and waitresses here speak English, so if you don't speak German, it's better for you, so for him especially, because he doesn't speak a word.”
Übersetzung:
Fabio Gini: "Ich mag diese Art Kneipen lieber, weil ich doch aus England komme. Weil ... , okay, Ich mag einfach dieses Bier lieber. Verglichen mit der typisch deutschen bayerischen Braustube mag ich den englischen Stil lieber. Aber das ist so, weil wir dort drei Jahre lang gelebt haben."
Auch Carolina mag den Pub.
Carolina Santillo: "Es ist hier sehr international. Alle Kellner und Kellnerinnen sprechen Englisch. Wenn du kein Deutsch sprichst, ist das besser für dich, also vor allem für ihn, weil er kein Wort Deutsch spricht."

Mit dem Auto sind es fünf Stunden zu den Eltern

Für Fabio Gini und Carolina Santillo ist München schon die zweite Auslandsstation, nach drei Jahren England. Eine, auf die sie sich einigen konnten. Er wollte einen guten Job als Hardware-Ingenieur und fand ihn hier bei Apple. Sie wollte zumindest ein bisschen näher an ihrer Heimat Norditalien leben. Mit dem Auto sind es fünf Stunden zu den Eltern in der Nähe von Padua. Einen Job hätte er auch in Norditalien gefunden, allerdings für die Hälfte des Gehalts, sagt Fabio. Für ihn lohnt sich München, für sie weniger. Statt wie in Italien als Buchhalterin arbeitet Carolina nun in einem Café. Positiver Nebeneffekt: Ihr Deutsch wird immer besser – sie knüpft beim Gassigehen mit dem Hund durch die Vorstadt erste Kontakte, wie sie erzählt:
Carolina Santillo: "Every time I walk with the dog, I meet people who walk with the dog as well and who are really nice with me and say: Servus, Wie geht's? Alles gut?"
Er fremdelt noch – mit der Sprache und mit den Münchnern. Seine Kollegen kommen aus der ganzen Welt. München war keine Wunsch-Destination, München ist für die beiden ein Deal. Und die Welt steht weiterhin offen.
Fabio Gini: "Let's say Munich, people come here because of the opportunity. If they give me a job in Barcelona I will go to Barcelona. That's obvious I guess.”
Carolina Santillo: "So he likes travelling. You like travelling, don't you? So we may go to France. We can learn French actually, that would be nice. Or we can go to another country. But if we have the opportunity to go back to Italy with the salary ..."
Fabio Gini: "Which will be never”
Carolina: "Yeah, never, this is an utopia. But we will go back straight away.”
Übersetzung:
Fabio Gini: "Sagen wir's so: Die Leute kommen nach München wegen der Gelegenheit. Wenn sie mir einen Job in Barcelona anbieten, geh ich nach Barcelona. Ich denke, das ist offensichtlich."
Carolina pflichtet ihrem Freund bei:
Carolina Santillo: "Wir könnten auch nach Frankreich gehen. Wir können eigentlich Französisch lernen, das wäre schön. Oder wir können in ein anderes Land gehen. Aber wenn wir die Möglichkeit haben, nach Italien zurückzugehen, mit demselben Gehalt ..."
Fabio Gini: " ... Was nie der Fall sein wird ... "
Carolina Santillo: "Ja, nie, das ist eine Utopie. Aber dann würden wir sofort zurückgehen."
Zurückgehen, nach Hause. Rafael Fernández, 36, hat es getan. Sechs Jahre lang lebte der Architekt in München. Während der Immobilienkrise in Spanien arbeitete er hier an guten Aufträgen. Nach dem Oktoberfest 2016 flog er nach Albacete, in die Heimat seiner Eltern. Ein halbes Jahr später ist er auf München-Besuch – seine Freunde hier luden ihn aufs Starkbierfest ein. Er genießt das Grün, hier im Englischen Garten.

"Sonnige Tage in München sind der Hammer"

Rafael Fernandez: "Sonnige Tage so wie heute in München sind der Hammer. Weißt du, in Spanien ist es immer sonnig. Und die Leute schätzen nicht, wie gut ein sonniger Tag ist. Hier, sobald die Sonne scheint, werden alle Leute zufrieden und gehen einfach raus, an die Isar, in den Englischen Garten zum Spazieren gehen. Diese Freude finde ich cool."
Heimgekehrt ist Rafael Fernández, weil sein Vater krank wurde. Dass die Krise in Spanien langsam abflaut, kann er nicht bestätigen. Es sei sogar schlimmer als vor zehn Jahren. Etwas mehr als 1000 Euro monatlich für 55 bis 60 Stunden in der Woche: das werde ihm als Architekten angeboten. Rafael Fernández arbeitet jetzt als Kunstlehrer nebenher. Und versucht, in einem Architekturbüro wieder mit der spanischen Arbeitsweise klarzukommen.
Rafael Fernández: "Beispielsweise ist alles für mich ein bisschen unstrukturiert, alles ist durcheinander. Ich weiß nicht, wo ich diese Unterlagen finde und so weiter. Und ich sage manchmal zu meinen Kollegen, vielleicht bin ich ein bisschen deutscher geworden. Ich brauche ein bisschen Ordnung hier, weißt du?"
Einmal Deutschland, einmal zurück. Viele Freunde gewonnen, Spanier, Deutsche. Zwei Beziehungen sind durch das hin und her zerbrochen. Rafael Fernández will jetzt Konstanz in sein Leben bringen. Und er weiß, wo er hingehört. Irgendwie.
Rafael Fernández: "Es ist mein München, irgendwie, ich gehöre hier auch ein bisschen hin. Aber Heimat ist Heimat, und wo meine Verwandten sind und meine Leute – das ist doch meine Heimat. Ich glaube, sobald du ins Ausland ziehst, bist du nicht mehr ganz Spanier und nicht ganz Deutscher, bist du irgendwie dazwischen."
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