Letzte Ehrung dieser Art

Chamisso-Literaturpreis für Abbas Khider

Der Autor Abbas Khider zu Besuch im Funkhaus vom Deutschlandradio Kultur
Der Autor Abbas Khider zu Besuch im Funkhaus vom Deutschlandradio Kultur © Deutschlandradio-Maurice Wojach
Von Tobias Krone · 09.03.2017
Er startete einst als Preis für "Gastarbeiterliteratur". Nun ist der Chamisso-Literaturpreis für Migrationsliteratur zum letzten Mal vergeben worden. Geehrt wurde der irakische Autor Abbas Khider. Der 44-Jährige erhielt die Auszeichnung für sein bisheriges Gesamtwerk.
Es ist das letzte Mal – und laut Uta-Micaela Dürig von der Robert-Bosch-Stiftung zu Recht:
"Wir wollten mit dafür sorgen, dass eine Gruppe von Autoren, die nicht in der Öffentlichkeit stand, integraler Bestandteil des Literaturbetriebs geworden ist. Und das hat dieser Preis erreicht. Es ist eine Erfolgsgeschichte."
Und, Hand aufs Herz, ließe sich eine Migrationsgeschichte als erfolgreich bezeichnen, wenn sie nicht irgendwann auch mal vorbei wäre? Der Adelbert-von-Chamisso-Preis für Migrationsliteratur wird in diesem Jahr zum letzten Mal vergeben. Die deutsche Gesellschaft ist eine andere. Eine völlig andere als 1985, als es noch darum ging,
"einen Preis zu schaffen, um damals Gastarbeiterautoren und Gastarbeiterliteratur in die Öffentlichkeit zu bringen."
Gastarbeiterliteratur, man wusste ja einfach nicht, wie man es sonst nennen sollte, was die vermeintlichen Gastarbeiter da schrieben. Nun aber wähnt die Robert Bosch-Stiftung sich und die deutsche Gesellschaft in der Postmoderne angekommen:
"Dass gute Literatur keine Nationalität und keine Herkunft kennt."
Wer weiß, ob diese schöne These nicht etwas verfrüht ist. Zumal sich immerhin dieser Abend ja noch einmal mit dem Problem konfrontieren muss, dass er sich zunächst einmal über die andere Herkunft der Preisträger definiert: Über nicht-deutsche Herkunft. Nicht-deutsche Mutter-Sprache. Und dennoch über Literatur auf Deutsch. Das ist mehr als ehrenwerter Autodidaktismus.

Schmerzhafte Entfernung von der Mutter-Sprache

Der Preisträger und gebürtige Iraker Abbas Khider in einem Video-Porträt:
"Und ich musste diese Sprache irgendwie auch verstehen, und irgendwie meine Variante von dieser Sprache selbst finden. Mein Deutsch. Es klingt komisch, aber ich bin wie eine Kolonialmacht."
Andere, wie Förderpreisträger Venthuran Varatharajah, bemerken vor allem bei sich, dass sie sich von der Mutter-Sprache aufs Schmerzhafteste entfernt haben. Ein Ausschnitt aus seinem Roman "Vor der Zunahme der Zeichen".
"Ich erinnere mich an die Scham, die ich empfand, als wir in der Ausländerbehörde saßen und meine Mutter sich versprach – so oft, bis ich den Satz für sie zu Ende brachte."
Es ist selten eine Lust, in diesem neuen Deutsch zu schreiben. Und es ist nicht so lustig, wie es sein könnte, diese neuen Deutschen zu lesen. So fragt der Schriftsteller Friedrich Christian Delius, in seiner Laudatio auf den Preisträger Abbas Khider:
"Aber verstehen wir Abbas Khider? – Das weiß ich nicht."
Es gäbe schon noch genug zu lernen, so als Leser der Mehrheitsgesellschaft. Da wäre etwa die Vergessenheit, in der sich viele Geflüchteten dieser Tage wähnen. Der Preisträger und geborene Iraker Abbas Khider:
"Es ist Folgendes: Jemand befindet sich in einem Fahrstuhl. Und der Fahrstuhl ist defekt. Und man ruft an und sagt: Hey Leute, ich brauche Hilfe, der Fahrstuhl ist defekt. Dann kommt die Antwort: Überhaupt kein Problem, warten Sie mal ab, wir kommen – in zwei Stunden, zwei Tagen, zwei Wochen, zwei Jahren. Bleiben Sie ruhig. Und das ist die Situation der Asylbewerber im Asylantenheim."
Khider hat in seinem jüngsten Roman "Ohrfeige" genau diese Aufzugsituation der Geflüchteten literarisiert.
"Es gibt keine Romane in der deutschen Literatur, in diesem Bereich, wo die Hauptfigur ein Asylbewerber ist. Asylbewerber, der selbst redet. Ich war tatsächlich überrascht. Sogar in der Literatur sind sie noch nicht angekommen."
Die schonungslose, aber auch schnörkellose Abrechnung eines Geflüchteten mit Frau Schulz von der Ausländerbehörde - ob das zu einem der großen gesamtdeutschen Buchpreise gereicht hätte? Zumal man den schreibenden Migranten ja auch gerne den literarischen Anspruch abspricht. Bei der Romanheldin von Venthuran Varatharajah ist das anders, so Laudatorin Meike Fessmann.
"Seht her, gibt sie kund, ich kann und vor allem, ich will es mir leisten, intellektuell zu sein."

Geld und Motivation für die Schreibenden

Ja, auch das ist bei Menschen mit Migrationshintergrund bis heute nicht selbstverständlich. Und sowohl Argument für und wohl auch gegen die Weiterführung des Preises. Dennoch gibt es auch ganz pragmatische Gründe für einen Literaturpreis: Geld und Motivation für die Schreibenden. Im Gespräch mit Moderatorin Katty Salié lässt Förderpreisträgerin Barbi Marković das ganz deutlich durchblicken.
"Und Sie haben sich ja auch als Bibliothekarin ausbilden lassen, in Wien. Trauen Sie dem Schreiben als Beruf noch nicht so ganz, womöglich?"
"Nein, ich trau dem Schreiben und vielen anderen Sachen nicht."
Wie gut, dass die Bosch-Stiftung die Förderpreise weiterhin verleihen möchte. Es gilt noch viele Jahre, literarische Talente zu motivieren. Gemessen an der Diskussion im Vorfeld gibt es an diesem Abend wenige Polemiken. Allenfalls den Seufzer von F.C. Delius, gleich zweimal ausgestoßen.
"Leider, leider, leider!"
Und die Hoffnung, die beim Ex-Verleger und Jurymitglied Michael Krüger noch immer nicht gestorben ist:
"Wir hoffen ja immer alle noch, dass jemand sich findet, der ihn irgendwann weiterführt."
Die migrantische Literatur ist in der deutschen Literatur angekommen, zweifellos. Es wird Zeit, dass sich das auch bei den großen Literatur-Preisen zeigt.
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