Lernwerkstatt für Flüchtlinge

Mehr als nur Möbelbauen

Flüchtlinge qualifizieren und in den Arbeitsmarkt integrieren.
In verschiedenen Werkstätten in Deutschland können Flüchtlinge Erfahrung im Handwerk sammeln. © dpa / Felix Kästle
Von Anja Kempe · 17.03.2016
In der Lernwerkstatt in Schwäbisch Gmünd lernen Flüchtlinge einen Schrank zu bauen. Wichtigstes Werkzeug ist jedoch weder Zange oder Hammer - sondern die deutsche Sprache. Das Projekt hat Erfolg: Viele Flüchtlinge findet danach einen Job.
"Leg' mal lieber die Hölzer drauf! Dass die nicht fliegen hier!"
Drei Männer hieven Kinderbetten auf die Ladefläche eines Lastwagens. Gar nicht so einfach ist das. Schließlich soll während der Fahrt nichts herunter fallen. Der Laster steht im ehemaligen Kasernenhof der US-Armee. Jetzt sind auf dem Gelände Flüchtlinge untergebracht.
"Mein Name ist Alfa."
Alfa B, ein Flüchtling aus Gambia, zieht die Haltegurte über dem Frachtgut stramm. So wird es gehen. Die Männer sollen die Betten in die zentrale Erstaufnahmestelle bringen.

"Wir fahren die Kinderbetten in ein Flüchtlingsheim."
Links, in einem langgestreckten Gebäude, befindet sich eine Flüchtlingsunterkunft. Rechts, in der früheren Waffenkammer der Kaserne, ist die Werkstatt untergebracht.

Das Handwerk in Deutschland sucht Arbeitskräfte

Flüchtlinge wie Alfa B. lernen hier, wie man Kinderbetten und andere kleine Möbel baut. Im Eingang steht der Leiter der Einrichtung.
"Er ist meine Chef."
"Alfa, lauter reden!"
Ludwig Majohr hat die Lernwerkstatt für Flüchtlinge erfunden und gegründet – als sich abzeichnete, dass die Zahl der Flüchtlinge rapide ansteigen wird, und weil er weiß, dass im deutschen Handwerk Arbeitskräfte gebraucht werden. Die Lernwerkstatt funktioniert, berichtet der ehemalige Berufsschullehrer und Ingenieur. Schon 50 Flüchtlinge konnte er in den letzten Monaten vermitteln.
"Industrie und Handwerk nimmt gern unsere Leute, weil, die sind vorausgebildet. Die kennen Arbeitsregeln und die werden bevorzugt eingestellt."
An der Werkbank steht Murzen M. aus Afghanistan, mit der Bohrmaschine in der Hand. Er trägt einen blauen Arbeitskittel. Aus einem Dorf in der Nähe von Kabul stammt er. Vor drei Monaten floh er nach Deutschland. Und nun bohrt er Löcher in Holzbretter.
"Ja, Tische für kleine Kinder, Entschuldigung, Betten für kleine Kinder, die hier, die Sie sehen, wie heißt das? Ich weiß nicht, wie heißt das in Deutsch?"
"Bett. Kinderbett."
Zusammen mit anderen Flüchtlingen baut Murzen M. Babywiegen – mit einem ausgesägten Herz am Kopfende. Ein deutscher Handwerker hilft, auf Handwerkerart, herzlich und zielorientiert.

Ein Plakat an der Wand konjugiert das Verb "sägen"

"Nein, nein und noch mal nein!"
"Nicht so! Sondern so!"
"Ja."
Murzen M. ist 25 Jahre alt. Niemand in seiner Familie sei je Handwerker gewesen, berichtet er.
"Das gefällt mir. Das ist mit Hand. Und wir lernen wir auch etwas über Deutschland, und, naja."
An den Wänden der Werkstatt hängen riesige Plakate, auf denen in großen Buchstaben Bedeutsames geschrieben steht: Die Verben immer konjugieren, Ausrufezeichen. Ich säge, du sägst, er sägt. Murzen M. lächelt freundlich.

"Ich hab' meine Deutschkurs besucht, und ich suche eine Job. Handwerke oder so."
"Fürchterlich! Den versteht man nicht!"
Mit Staccato-Ausländerdeutsch, das schwer zu verstehen ist, könnte es Probleme geben, einen Job zu finden in Deutschland, mahnt Roland Kiesling, ein Theologe und früherer Pfarrer, der in der Werkstatt Deutsch unterrichtet. Er zieht einen Hocker unter der Werkbank hervor, steigt hinauf und schaut Murzen M. und die anderen Flüchtlinge an.
"Stellt euch auf einen Stuhl und stellt euch vor, da sind hundert Deutsche, die dich noch nie gesehen haben, und du musst jetzt so sprechen, dass jeder dich versteht. Das muss dein Interesse sein. Im Stehen musst du zuhause üben, du musst so sprechen, dass deutsche Kinder dich ohne weiteres verstehen. Also nicht nur ich mit großer Mühe, sondern Kinder. Und dann lernt ihr die deutsche Sprache, und dann könnt ihr Fortschritte machen."
"Deutsch sprechen!"
"Entschuldigung."
In der Werkstatt wird deutsch gesprochen. Darauf legen die Ausbilder wert. Denn die künftigen Arbeitgeber werden kaum arabisch oder die Sprache der Paschtunen beherrschen.

Das wichtigste Werkzeug: die deutsche Sprache

Die deutsche Sprache sei genauso wichtig wie die fachliche Qualifikation, meint der Leiter der Einrichtung, Ludwig Majohr.
"In Deutschland ist es so, man muss die Sprache lernen. Flüchtlinge sollen in der Firma sich zurechtfinden und sollen die Anweisungen in der Firma verstehen! Deswegen machen wir Werkstatt-Deutsch. Das ist Grundbedingung!"
Ludwig Majohr zeigt auf ein Plakat an der Wand, auf dem das Wort 'Hammer' geschrieben steht.
"Wenn man in unsere Werkstatt kommt, dann sieht man sofort, da hängen zehn Hämmer, und oben drüber die Schrift 'Hammer'. Dann zehn Zangen, da steht 'Zange'. Sodass man sofort die Werkzeuge sieht und die Beschriftung, und durch Übertragungslernen das miteinander in Verbindung bringt."
"Guck mal her. Diese zu kurz. Verstehen?"
"Ja ich versteh' schon."
Zwei der Flüchtlinge in Ausbildung prüfen die Länge eines Brettes. Es ist ein Seitenteil für ein Kinderbett und muss millimetergenau passen. Der Ausbilder Gerhard Ungermann legt einen Zollstock an.

"Jetzt wir messen aus, wie viel das ist."
"Der Meter hier lang ist 54. Das lang."
Fast ausschließlich durch Spenden finanziert sich die Schwäbisch-Gmünder Einrichtung. Aus dem Geldtopf 'Integration und Versorgung' stellt das Landratsamt monatlich 150 Euro zur Verfügung, für Ersatzteile oder Verbrauchsmaterial, und zahlt Strom- und Heizkosten.
"Unsere Politiker geben für Unterkunft viel aus, und da gibt es auch zig Geldtöpfe, aber vorberufliche Arbeit, wird im Moment noch nicht gefördert. Deutschkurs und unser Fachunterricht ist alles kostenlos. Keiner kriegt Geld. Und aus ganz Deutschland kommen Anfragen über unsere Konzeption und wollen das nachmachen."
"Hier. Guck mal hier."
"Das ist Abfall. Das kommt alles weg!"
"Ja, alles klar."

"Es kommen nur die, die etwas lernen wollen"

Gerhard Ungermann ist gelernter Mechaniker. Doch auch im Schreinern ist er geübt, und so kann er die Flüchtlinge anleiten.

"Es kommen nur solche, die tatsächlich was erfahren wollen, was lernen wollen. Die mit dem Handy in der Gegend rumlaufen, die kommen gar nicht. Es sind nur Leute, die einem das Werkzeug fast aus der Hand nehmen und selber machen wollen und wissbegierig sind und lernen."
"Ich komme aus Syrien."
"Ich komme auch aus Syrien."
"Ich komme aus Afghanistan."
"Ich komme aus Somalia."

Es sind überwiegend junge Männer, die nach Deutschland kommen und in den Unterkünften lange Zeiten auf ihre Anerkennung, auf Bescheinigungen, Bewilligungen und Genehmigungen warten.

"Die Jungs sind ganz lernbegierig"

Kostbare Monate seien das, die in der Lernwerkstatt genutzt werden können.
"Die lange Wartezeit! Ich sah, dass hier in der Gemeinschaftsunterkunft die Kerle rumstanden, und dann hab' ich die gefragt, was sie machen, sie warten auf dieses, auf jenes, auf anderes. Und Nichtstun erzeugt Aggressivität. Und die wollen was lernen! Die Jungs sind ganz lernbegierig, und wenn ich um 15 Uhr das großes Tor am Haus auf mache, die kommen alle und wollen nicht mehr gehen!"
An der Wand wo die Zangen und Drahtbürsten hängen lehnt mit verschränkten Armen Kiber K. aus Afghanistan, in schwarzen Jeans und schwarzem T-Shirt und einer dunklen Wollmütze auf dem Kopf.
"Meine Stadtname Dschalalabad, das ist an der Seite Pakistan. Schon meine zweite Woche, zu Arbeit und zu lernen deutsch auch. So gut. Sehr gut. (lacht) So vielen Dank!"
Kiber K. schiebt sich die Mütze in die Stirn. Was soll man machen. Lernen, arbeiten, schlafen, lernen.
"Schule, Arbeit, schlafen, Schule. Deutsch und Arbeit! In Afghanistan nicht Arbeit, sondern NATO-Armee. LKW. Acht Jahre."
Zuhause in Afghanistan habe er nicht gearbeitet, sagt er. Wie viele andere auch, sei er von der NATO angeworben worden. Er hat als LKW-Fahrer für die US-Armee gearbeitet, bis ein großer Teil der Truppen Anfang 2015 Afghanistan verließ und er seinen Job verlor. Dass viele Einheimische, die von der NATO nicht mehr gebraucht werden, und nun nicht mehr unter der Obhut der Soldaten stehen, von den Taliban Morddrohungen erhalten, weiß auch Kiber K.
"Nicht gehen Afghanistan zurück. Wo soll ich gehen?"
Kiber K. zuckt mit den Schultern. Er wird in Deutschland bleiben und weiter den Hand-werker-Kursus besuchen. Wer drei Monate lang durchgängig und mit Erfolg in der Werk-statt anwesend war, bekommt ein Zertifikat.

Nach drei Monaten winkt ein Zertifikat, das Türen öffnet

Darin steht, wo er einsetzbar ist und was er gelernt hat, zum Beispiel Möbel bauen und Fenster einglasen oder reparieren. Das Zertifikat weist ihn für handwerkliche Hilfsarbeiten aus, erklärt Ludwig Majohr.
"Im Zertifikat steht, was er kann, an welchen Maschinen er gearbeitet hat. Und dieses Zertifikat ist die erste wichtige Urkunde in Deutschland."

Anerkannte Flüchtlinge mit Aufenthaltserlaubnis bekommen eine Arbeitsgenehmigung. Sogenannte geduldete Flüchtlinge dürfen nach Ablauf von drei Monaten arbeiten – für 8 Euro 50 Mindestlohn.
"Wer das Zertifikat hat, kann überall in Deutschland das vorlegen. Die haben gelernt, genau zu arbeiten, die kontrollieren noch mal ihre Sachen und die werden eingestellt."
Über 400 Flüchtlinge haben bisher schon ihr Zertifikat erhalten. Auch Amadu O. aus
Mali hat schleifen und sägen gelernt, einschließlich Werkstattdeutsch.
"In Deutsch, ja das ist besser. Lernen deutsch, langsam, langsam hier, einen Kurs. So. Alle Kollegen lernen deutsch." "Öffnest du bitte eine Dose Nüsse."
"Was öffnest du?"
"Eine Dose Erdnüsse."
In einem kleinen Raum zwischen Eingang und Werkstatt, sitzt Hans Heilig mit zehn Flüchtlingen an einem großen Holztisch. Wie viele freiwillige Helfer hier, gibt er Deutschunterricht.
Viele der Flüchtlinge beherrschen nur die arabische Schrift, und das lateinische Alphabet zu entziffern, fällt ihnen schwer, zumal arabische Texte von rechts nach links gelesen werden. Zwei Welten sind das, meint Hans Heilig. Und so konzentriert er sich darauf, den Leuten wenigstens das Wichtigste beizubringen.

"Bei mir geht's in der Hauptsache um Artikel und um Verben. Die Verben müssen natürlich konjugiert werden. Sie wissen natürlich, dass wir auch Hilfsverben haben, die bei uns sehr wichtig sind, also 'haben' und 'sein', die müssen doch schon einmal drin sitzen."
"Wenn die jetzt nicht lernen, dann hilft denen keiner!"
Zwischen den Flüchtlingen an der Hobelbank steht Roland Kiesling, der frühere Pfarrer, und hält eine Predigt über das, was wichtig ist in Deutschland.

"Ihr müsst jeden Tag 15 Wörter neu lernen!"

Roland Kiesling stammt aus Bayern. Im mittelfränkischen Ergersheim ist er geboren, in Untersteinach bei Kulmbach hat er lange als Pfarrer gearbeitet. Und als Franke, erzählt er, habe er nicht nur einen ausgeprägten Gemeinschaftssinn und ein gewisses Organisationstalent, sondern er äußere auch frei heraus seinen Standpunkt. Seine Predigten sind berühmt und auch ein bisschen gefürchtet in der Lernwerkstatt. Aber manchmal funktioniere das kaum anders, meint er.
"Ihr müsst jeden Tag mindestens 15 Wörter neu lernen! Die ihr noch nie gehört habt! Oder jedes Wort, das euch irgendwie neu erscheint, müssen sie rausschreiben. Und deklinieren, das müsst ihr schnell schnell, das müsst ihr im Schlaf können! Aber sie machen es dann nicht. Die lernen nicht. Also, ich hab' mir oft überlegt, ob ich mir diese Mühe noch machen soll, wenn sie nicht selber lernen, dass ich dann extra komme."
"Da sind Hunderte von Leuten, die da helfen wollen. Riesige Listen wurden da ausgelegt, wollen Sie Patenschaft übernehmen, wollen Sie in der Werkstatt arbeiten, wollen Sie Deutschunterricht geben."
Auch Birgit Hohlfeld unterrichtet Deutsch.
"Gmünd ist was Besonderes jetzt auch auf die Flüchtlingsproblematik bezogen als in anderen Städten, weil, das ist geprägt durch die Geschichte hier. Wir haben ja Augustiner, Franziskaner, das ist eine Stadt, die aus Klöstern besteht und sich aus diesen Klöstern auch dieses Gedankengut entwickelt hat. Wie können wir helfen? Da sind wir am Nabel."
30 bis 40 freiwillige Helfer wechseln sich in der Lernwerkstatt ab. Die meisten sind Handwerker, die hier ihre Kenntnisse weitergeben, und auch viele Pädagogen sind dabei, wie Birgit Hohlfeld, die dreimal in der Woche für die Flüchtlinge da ist.
"Ich bin Lehrerin, bin dann pensioniert und dann stand ich da, was machst‘e damit."
"Ich komme aus Nigeria."
Alico S. aus Nigeria lacht. Ein Zweimetermann in Hochwasserhosen aus der Kleiderkammer der Aufnahmeeinrichtung und oben drüber die blaue Werkstattjacke. In Nigeria, seinem Heimatland, wütet die Terrorgruppe Boko Haram. Neben ihm, drei Köpfe kleiner und mit einem Eimer Leim in der Hand, steht Samuel B. aus Eritrea im Nordosten Afrikas.
In Eritrea werden Christen und Andersdenkende verfolgt und auch getötet. Samuel B. kam im letzten Herbst nach Deutschland und besucht seit zwei Monaten die Lernwerkstatt.
"Ja. Ich gehe Werkstatt Nachmittag manchmal dreimal in Woche. Alles mit Holz, mit Metall und Glas, schneiden Glas. Wir arbeiten Handwerk und Deutschunterricht auch. Und Leute helfen uns bei deutsche Sprache und schreiben und lesen und alles. Ich habe schon gelernt Elektrik in meiner Heimat, ein Jahr Ausbildung gemacht, und fünf Jahre hab' ich gearbeitet in meiner Heimat als Elektriker. Ja."

Immer schön ins Anwesenheitsbuch eintragen…

"Als nächstes kann dann hier der Leim rein, und dann die Dübel."

Drei junge Männer kommen zur Tür herein.
"Meine Herren, die Namen! Sind die Namen eingetragen?"
Alle müssen sich in das Anwesenheitsbuch eintragen, darüber wacht der Werkstattleiter.
"Es kann kommen, dreimal die Woche, wer will, und kann gehen, wann er will. Aber die müssen sich natürlich auch an Arbeitsregularien gewöhnen. Man trägt sich ins Anwesenheitsbuch ein, man zieht die blaue Arbeitsjacke an, man kommt nicht in Jesuslatschen."

"Ich komm aus Gambia. Serekunda."
Oms D. aus Gambia schreibt seinen Namen in das Anwesenheitsbuch. Er sei Händler von Beruf, berichtet er. In den Markthallen von Serekunda, der größten Stadt in Gambia, kenne er jeden Winkel. Aber seit Gambia 2015 zu einem sogenannten islamischen Staat erklärt wurde, habe sich das Leben verschlechtert.
Im letzten Sommer hat er sich auf den Weg nach Deutschland gemacht. Doch Flüchtlinge aus Gambia gelten nach deutschem Asylrecht nicht als politisch verfolgt oder von einem Bürgerkrieg bedroht. Nur knapp ein Prozent der Asylanträge werden anerkannt.
"In Deutschland viele Bescheinigungen bekommen. Aber ich hab' keine Erlaubnis. Ich darf nicht arbeiten. Diese Zertifikat leg' ich zu mein Hause. Souvenir. Ich denke, das ist nicht gute Idee."

Knowhow, um im Heimatland ein Geschäft zu eröffnen

"Wir wissen ja nicht, wer da kommt. Und was hat der für eine Chance. Geht er zurück, bleibt er hier?"
"Es sind viele, die noch nicht anerkannt sind, die damit rechnen müssen, dass sie wieder nach Hause geschickt werden, und die haben dann gewisse Vorbereitungen, dass sie sich im eigenen Land irgendwas aufbauen können."
In der Lernwerkstatt weiß man – es ist auch wichtig, dass die Flüchtlinge, die Deutschland wieder verlassen müssen, einen Nutzen haben von dem Handwerkerkurs. In Ländern, wo alles zerstört und kaputt ist, nicht nur Fenster, Türen und Möbel, werden Leute mit handwerklichen Fähigkeiten gebraucht. Wer etwas reparieren kann, kann Geld verdienen.
"Wer zurück geschickt wird, der soll in der Lage sein, in seinem Heimatland ein Business aufzumachen."
Wie baut man einen Schrank? Zehn Männer sitzen rund um einen Stapel Holz herum. Amadu O. hat sich einen langen grauen Kittel angezogen. Er soll die Männer anleiten.
"Er ist einer unserer Vorarbeiter, deswegen trägt er auch den Mantel, den Arbeitsmantel. Er darf an alle Maschinen und darf andere anleiten, weil er schon lange da ist und super arbeiten kann. Aber deutsch sprechen!"
"Oho."
Der Vorarbeiter stellt sich auf und hält einen Zollstock in die Luft.
"Was ist das Kollegas? Schraubenzieher!"
Alle suchen sich die Werkzeuge zusammen, die sie brauchen. Der Vorarbeiter und der Werkstattleiter geben Hilfestellung.
"Also, das Holz hinlegen, auflegen, sssst, anzeichnen, Seitenteile, alle vier Teile. Dann aussägen, und wenn das ausgesägt ist, immer noch glätten. Dann vorbohren und dann schrauben. Also, unser Ziel ist heute, dass jeder ein eigenes Schränkchen hat."

"Ich werde bauen."
Murzen M. zeichnet die Bohrlöcher auf das Holz. In Afghanistan hat er sich immer vorgestellt, einmal Autos zu bauen oder wenigstens zu reparieren, erzählt er.
"Meine Traum ist Automechaniker. Ich hab' keine Schulausbildung, und ich hab' schon Fahrradreparieren gelernt. In Afghanistan. Mein Vater ist gestorben, meine Mutter lebt noch, und ich habe kleinen Bruder, und sie arbeiten einfach so, alles, Mitarbeiter kann man sagen, einfach im Laden arbeiten die. Weil in Afghanistan, die müssen etwas kräftig arbeiten, um Geld zu verdienen. Mein Vater hatte Restaurant. Und dann später ist alles in den Luft gegangen."
"Festschrauben! Und dann mit der Stichsäge absägen."


Die Qualifikationen der Flüchtlinge sind sehr unterschiedlich

Hinten in der Ecke der Werkstatt stehen die gefährlichen Werkzeuge und Geräte, zum Beispiel die Stich- und die Kreissägen. Nur wer an diesen Maschinen eingearbeitet ist, darf sie bedienen.

"So. Wer darf alles an die Kreissäge? Darfst du?"
"Ja!!"
"Darfst du, darfst du? Er kann an die Kreissäge."
"Ja. Ja, ich auch. Ja."
"Wir gehen großpolitisch von ganz falschen Voraussetzungen aus, wir denken, ja, das sind Leute, die kommen aus Ländern wo man alles mit der Hand macht. Das stimmt eben gar nicht."
Die Qualifikationen der Flüchtlinge sind sehr unterschiedlich – vom erfahrenen Ziegenhirt bis zum Banker oder zum Ungelernten, der in den Kriegswirren nicht einmal einen Schulabschluss machen konnte. Die Ausbilder merken an, dass die Fragebögen, die in den Erstaufnahmestellen ausgefüllt werden, oft nicht viel Aussagekraft hätten.
"Wie kann man einen Flüchtling per Fragebogen über seine Kompetenzen befragen? Der schämt sich laufend nein sagen zu müssen. Die Berufe, die abgefragt werden, wenn sie hier nach Deutschland kommen, das sind reine Wunschberufe. Ganz beliebt ist der Elektroingenieur. Sie haben gehört Ingenieur ist gut, also ist jeder dritte Elektroingenieur. Und dann sag' ich, ich bin auch Elektroingenieur und geb' ihnen eine Sicherung in die Hand und sie wissen es nicht. Und woher sollen sie Arbeitserfahrung haben? Wenn im Land zehn Jahre Krieg ist, wo sollte er technische Kenntnisse her haben? Die wollen ja auch nicht zugeben, dass sie in Kriegsgebieten zwei, drei Jahre nichts gemacht haben. Sondern gekämpft um ihr Überleben."
"So. Die Bohrung ist durch. Hier kannst du auch noch mal durch."
Ende 2015 ging durch die Presse, dass eine große Anzahl der Flüchtlinge, insbesondere der syrischen Flüchtlinge, über einen Universitätsabschluss verfüge – darunter Rechtsanwälte, Lehrer, Ärzte, Designer und Informatiker. Das hat eine Studie der Vereinten Nationen ergeben. Doch von diesen Akademikern sei in der Werkstatt noch keiner aufgetaucht, berichtet Ludwig Majohr.
"Hochqualifizierte kommen hier gar nicht her. Und was bleibt denen übrig? Was bleibt zum Beispiel einem Bankangestellten aus Syrien übrig, der kann hier nie in der Bank arbeiten, der muss dann einen Weg suchen als Hilfsarbeiter. Und diejenigen, die Hochschulabschluss, Universitätsstudium haben, die sind so gut geschult, dass sie sich in Englisch im Internet bewerben und direkt an die Firmen gehen."
Kiber K., der in Afghanistan für die NATO gearbeitet hat, legt eine Handvoll Schrauben auf die Werkbank.

"Ich hab' eine Frage. Ich das erste Mal zu machen diese Schrank, mein Kollege auch das erste Mal."
"Ja das ist richtig. Und deswegen hast du Amadu, der euch hilft."
"Okay, das ist besser."

Eigentlich könne er nur Auto fahren, meint Kiber K.
"Ja und jetzt machen wir Türen für kleine Schrank. Bei mir heute das erste Mal ich machen. Und meine Kollega. Heute mein erster Tag mit Schrank. Ich mache das erste Mal."

Die Begrüßungskultur hat Tücken sagt der Werkstattleiter

Die rund eine Million Flüchtlinge, die in den letzten 12 Monaten nach Deutschland kamen, wurden überwiegend freundlich begrüßt, genau wie die jungen Männer in der Lernwerkstatt. Doch nach der Begrüßungskultur müsse nun die Förderkultur kommen - meint der Leiter der Ausbildungsstätte. Viele Flüchtlinge beschwerten sich inzwischen darüber, dass sie in Deutschland meist bloß zum Kuchenessen und zum Volkstanz eingeladen werden.

"Diese ehrenwerte Begrüßungskultur, es kommen hier Flüchtlinge her und sagen, ich sollen hier jeden Abend singen, tanzen und Musik zuhören. Man will die begrüßen, einladen zum Kaffee oder zu irgendwelchen Veranstaltungen. Und am meisten ärgert mich, wen n ich eine Mail krieg', wir haben dann und dann eine Veranstaltung, wir laden Sie herzlich ein, bitte bringen Sie doch zehn Flüchtlinge mit! Sind die Flüchtlinge Dekorationsware?"
"So, ist gerade."
"Genau."

Murzen M. aus Afghanistan schraubt eine Tür an ein Schränkchen. Er bekommt in zwei Monaten sein Werkstatt-Zertifikat.

30 Flüchtlinge haben einen Job gefunden

Dann kann er sagen, er ist der erste Handwerker, den es jemals gab in seiner Familie. Doch eine gelungene Förderkultur hänge manchmal sehr von individuellen Gegebenheiten ab, meint Roland Kiesling, der frühere Pfarrer:

"Ich habe einen, der fürchterliche Schwierigkeiten hat, der ist aus Nigeria. Er hat Kommunikation studiert und hat auch ein Examensdokument, und er hat mich gefragt, ob ich Mathematik kann. Und das bring' ich ihm jetzt bei. Weil der mit Handwerk überhaupt nichts anfangen kann. Sondern der ist schon eher intellektuell geprägt. Der hat auch ein sehr gebildetes äußeres Auftreten und Erscheinung, der ist mindestens aus der Mittelschicht und hat dort studiert und hat auch schon Verbindung zu seiner Botschaft in Bonn, und hat eigentlich auch schon ganz gute Laufbahnperspektiven dargeboten bekommen, aber es hat dann mit dem Deutsch bei ihm nicht gelangt offensichtlich. Der lernt auch nicht so richtig die unregelmäßigen Verben."

"Ich arbeite in die Stadt jetzt. Ist gut. Die Arbeit ist gut. Ich arbeite in Baustelle."
Alfa B. aus Gambia gehört zu den rund 30 Flüchtlingen, die mit ihrem Zertifikat aus der Lernwerkstatt in den letzten Monaten eine Arbeit gefunden haben. In seinem Heimat-land hat er in einem Sägewerk gearbeitet, und nun ist er Bauhelfer. Ein deutsches Bauunternehmen hat ihn eingestellt – für Abbrucharbeiten in einer alten Eisengießerei, aus der ein Museum werden soll. Alfa B. bekommt 11 Euro 50 Stundenlohn. Und es wurden ihm Aufstiegsmöglichkeiten zugesagt. Er will unbedingt weiter Deutsch lernen, erzählt er. Auch wenn englisch leichter ist.

"Deutsch ist schwer! Ist sehr schwer! Is difficult to speak."