Lernt Programmieren, sonst werdet ihr programmiert!

Von Jörg Kantel · 27.10.2010
Ist es Ihnen nicht auch schon so ergangen? Sie sitzen vor Ihrem Computer und suchen verzweifelt in all diesen wunderbaren Aufklapp- und Popup-Menüs die eine Funktion, die Sie dringend brauchen, aber die Ihre Software scheinbar nicht hat. Und wenn doch, dann finden Sie sie nicht. Der Programmierer des Pakets hat an alles gedacht. Nur nicht an Sie...
Das hat durchaus Methode. Die Firma, die dieses Programm vertreibt, will es natürlich an viele, viele Kunden verkaufen. Also beauftragt sie einen Programmierer (oder ein Gruppe von Programmierern), möglichst an alle Funktionen zu denken, die ein potenzieller Nutzer benötigen könnte. Leider funktioniert das nicht. Die Programme werden zwar größer und teurer, sind mit vielen Features überladen, aber trotzdem ist das, was Sie gerade benötigen, nicht dabei.

Dabei muss das nicht so sein und in der Frühzeit des Personalcomputers war das auch nicht so. Der legendäre Commodore C64 aus den 80er-Jahren, liebevoll Brotbüchse genannt, kam mit einem Basic-Prompt hoch, also einer Aufforderung, Programmierbefehle einzutippen. Basic war eine einfache Programmiersprache und der Commodore erwartete, dass Sie als Nutzer ihn damit programmierten.

Dieses Verhalten ist in der Unix-Welt bis heute erhalten geblieben und immer noch vielen Wissenschaftlern vertraut. Für ihr Spezialgebiet existieren viele kleine, hoch spezialisierte Programme, die nur eine einzige Aufgabe erledigen. Daraus klebt sich der Wissenschaftler sein ganz persönliches Programm zusammen, genau das Programm, das er braucht und das seinen ganz persönlichen Bedürfnissen entspricht.

Warum macht er das, warum lässt er sich nicht ein Programm von einem professionellen Programmierer erstellen? Glauben Sie mir, ich bin seit über 15 Jahren EDV-Leiter an einem Forschungsinstitut, und das, was ein Programmierer programmiert, ist nie das, was der Forscher braucht.

Das liegt nicht einmal an Verständigungsproblemen, sondern schlicht daran, dass der Wissenschaftler zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht weiß und auch noch gar nicht wissen kann, was er braucht. Seine Arbeit und auch seine Fragen verändern sich über die Zeit. Je länger er an einem Problem arbeitet, je mehr versteht er, was er eigentlich fragen muss. Das wusste er aber noch nicht, als er das Programm in Auftrag gab.

Jetzt sagen Sie nicht, ich bin kein Forscher, bei mir ist das anders. Sie haben sich sicher Ihren Computer nicht nur gekauft, um einmal im Monat einen Brief an das Finanzamt zu schreiben, indem Sie begründen, warum Sie einen Computer gekauft haben. Sie wollen vielleicht Ihre Photos damit aufhübschen oder Ihre Filme schneiden, die Mitglieder- und Leistungslisten Ihres Sportvereins verwalten, das Hochladen Ihrer Fotos ins Internet automatisieren. Und je länger Sie damit arbeiten und je mehr Erfahrungen Sie gewinnen, desto deutlicher wird: Die Programmierer der von Ihnen benutzten Programme haben nicht an Sie gedacht.

Sie haben also die Wahl: Entweder Sie leben mit den Unzulänglichkeiten, die Ihnen die Software-Hersteller aufzwingen, oder Sie wehren sich dagegen, in eine Massenschublade geschoben zu werden und lernen programmieren. Sagen Sie nicht, das können Sie nicht. Vielleicht haben sie es sogar schon getan.

Denn haben Sie schon einmal mit Excel oder einer anderen Tabellenkalkulation gearbeitet? Vielen ist sie vertraut, und wenn Sie dem Programm sagen, dass im Feld A11 die Summe der Inhalte der Felder A1 bis A10 stehen soll — dann haben Sie Ihr erstes Programm geschrieben. Sie wussten es nur nicht, weil es Ihnen niemand gesagt hat.

Denn um einen Computer nach Ihren Bedürfnissen zu programmieren, müssen Sie kein ausgefuchster Systemprogrammierer sein. Um kleine Routinen zu schreiben, damit der Computer endlich das macht, was Sie wollen, dazu müssen Sie nicht viel lernen, das ist einfacher, als man Ihnen immer weisgemacht hat.

Im Fachjargon nennt man diese kleinen Routinen "Skripte" und die Sprachen, in denen man diese Skripte schreibt, heißen folgerichtig auch "Skriptsprachen". Und glauben Sie mir, "Skripten" macht Spaß. Daher: Lernen Sie programmieren, emanzipieren Sie sich von der Software-Industrie, denn sonst werden Sie programmiert.

Jörg Kantel, geboren 1953 in Duisburg, studierte Mathematik, Philosophie und Informatik im zweiten Bildungsweg. Seine Berufe waren: Speditionskaufmann, Gitarrist, Programmierer, Kabarettist, Systembetreuer, Systemanalytiker, Unternehmensberater. Seit Mai 1994 ist er EDV-Leiter am Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte und war von 2006 bis 2009 Lehrbeauftragter für Multimedia im Fachbereich "Angewandte Informatik" an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft (FHTW) Berlin. Er betreibt den Blog "Der Schockwellenreiter".
Jörg Kantel
Jörg Kantel© Kantel/Rosemarie Windorf