Leonard Cohen

Ein altmodischer feiner Herr

Der Musiker Leonard Cohen im Jahr 2012.
Der Musiker Leonard Cohen im Jahr 2012: Damals veröffentlichte er sein Album "Old Ideas". © AFP / JOEL SAGET
Von Laf Überland · 18.09.2014
Beim Gehen braucht der Dichter, Sänger und Songwriter inzwischen einen Stock: Leonard Cohen am Sonntag 80 Jahre alt. Zur Ruhe setzt sich der kanadische Musiker trotzdem noch nicht.
Mädchen fingen gern an zu weinen, wenn sie Leonard Cohen zuhörten – Jungs starrten eher mit starrem Blick auf all die schlechten Dinge dieser fauligen Welt – und staunten heimlich: was der alles über Frauen wusste. Und jedes Mal, wenn man plötzlich wieder ein Stück älter wurde, war da wieder etwas, das er auch schon gewusst hatte.
Pechschwarze wuschelige Haare, Löcher-in-Herzen-brennend-scharfe dunkle Augen: ein Lyriker aus Montreal. Er besang die anbetungswürdige Schönheit, die ihm begegnete, die Erotik und die Lust, und landete natürlich immer wieder bei ihrer Vergänglichkeit – und bei der selbst verschuldeten Qual durch unsere Lügen. Und dabei streute er lakonische Witze genau so ein wie profunde Philosophie.
Und dieser Cohen war irritierend: Schließlich war er schon so unheimlich alt! Ein Fossil aus irgendeiner Menscheitsumspannenden Mythologie: jüdisch-existenzialistisch-romantisch. Und er wollte wirklich ein guter Dichter sein: hatte bereits diverse Gedichtbände veröffentlicht und zwei Romane, "Schöne Verlierer" hieß einer – ein programmatischer Titel für die radikalen Seelen.
Weit über 2000 mal gecovert worden
Und in New York dann – wo die Reste der Beat Generation sich zuletzt stapelten und um Ruhm und Berühmtheit wetteiferten, die Folkies im Greenwich Village und die seltsamen Welt-Überflieger im Chelsea Hotel – kam irgendwer auf die Idee, Cohen solle seine Gedichte doch einfach mal singen. Und Cohen konnte nicht singen, aber das tat er herzergreifend!
Und die Verirrten dieser Welt, so sie denn Schallplatten hörten, fingen an, sich am liebsten in seinen Lieblingssumpf zu verirren: Er sang über die heilige Johanna, über Abraham, der Isaak schlachten soll als Gottesopfer, und über den spanischen Bürgerkrieg und über Nazifrankreich: die Widerstands-Einheit als Männerclique – in der Einsamkeit und Wirrnis des Lebens. Später sang er über Stalin, sang auch "Gebt mir die Mauer zurück!" über Berlin, sang über Terrorismus.
Von andern Musikern ist Leonard Cohen weit über 2000 mal gecovert worden, heißt es, allein "Hallelujah" bald 200 mal. Natürlich hatte er mit seinen Dämonen zu kämpfen – schließlich ist er ein Radikaler: immer schon gewesen. Um aus seiner Rotwein-Depression rauszukommen. Um aufzuhören, sich diese Frage zu stellen, die nicht zu beantworten ist, suchte er selbst nach einem Meister, und so ging er ins Kloster, fing an, im wahren Sinn des Wortes zu dienen – zu fegen, zu kochen – als Gehilfe des Zen-Meisters Roshi, zu sorgen ab drei Uhr nachts. Da war er 61, der Lyriker aus Montreal:
Unfassbare Präsenz
Und in gewissem Sinne war das ein Fehler: Denn während Cohen ins Kloster ging, um Ruhe zu finden, brachte seine Managerin sein gesamtes Geld durch – und verhökerte sozusagen seine Altersruhe. Und deshalb fing er wieder an zu touren, anstatt auf der Bank im Garten zu sitzen und sich nur noch den Vögeln und ein paar Gedichten zu widmen.
Mit 73 ließ Leonard Cohen ein grandioses Konzert für DVD aufzeichnen: ein außerordentlich zuvorkommender Entertainer, der seinen Hut immer lüftet, wenn er sich bescheiden beim Publikum bedankt. Oder bei seinen Musikern. Ein altmodischer feiner Herr mit einer unfassbaren Präsenz..
Morgen kommt Cohens neues Album raus. Seine Stimme ist darauf nur noch ein tiefes Raspeln, aber Tom Waits hat immer schon so geklungen. Beim Gehen braucht er jetzt einen Stock, der weise jung-alte Meister der Wahrheit und der Schönheit. Und im Flugzeug – macht er immer Yoga.
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