Leiden am Subjekt

29.04.2013
Durch einen Schüler wird der Protagonist im Roman "Reise ans Ende des Frühlings", ein Gymnasiallehrer, Stück für Stück aus seinem Alltag geschubst. Der Slowene Vitomil Zupan schrieb dieses Buch in den 30er-Jahren, aber erst 1972 wurde es veröffentlicht. Jetzt ist endlich die deutsche Übersetzung erschienen.
Leben, endlich leben, denkt der namenlose Gymnasiallehrer in Vitomil Zupans wunderbarem, seltsamem, auch komischem Roman "Reise ans Ende des Frühlings" und reißt schwungvoll die Toilettenspülschnur ab. Tut nichts, zurück zu Tajsi im Nebenzimmer und weiter mit diesem Schüler, einem poetischen Talent, über Gott und die Welt parliert, noch lieber über Sexualität und Frauen! In dem Lehrer lodert dank Tajsi ein "wildes, stürmisches, unbändiges Leben" und reißt ihn in Stücke. Wie langweilig sind die Kollegen mit ihren Konferenzen, den politischen Neuigkeiten und den ersten Worten ihrer Säuglinge!

Der 18-jährige Schüler Tajsi steht für ein anderes Leben. Die Welt scheint ihm zu Füßen zu liegen, er kennt sich aus, und er schreibt. Der Lehrer soll seine Manuskripte beurteilen und erinnert sich daran, wie er selbst einst um ein solches Urteil bat. Zwei Jahre später erhielt er die von seinem Professor ungeöffnete Mappe zurück, hörte auf zu schreiben und wurde Literaturkritiker und Lehrer. Tajsis Manuskripte findet der Lehrer größtenteils schlecht, aber kraftvoll.

Sie sind wie der Schüler, der sich sofort an die Frau des Lehrers heran wirft. Der Lehrer, seiner Sonja schon ein wenig überdrüssig, bewundert die Forschheit Tajsis. Er fühlt sich zu ihm hingezogen, weil er sich in ihm wiedererkennt, und erzählt von Sonjas himmelblauer Unterwäsche. Tajsi lobt Sonja gegenüber dem Lehrer und bald auch ihre Unterwäsche. Der Ältere nimmt es ihm nicht übel, möchte nun aber Sonja zurückhaben – nicht die Ehefrau Sonja, sondern Tajsis Sonja, die begehrenswerte.

Auf Sonja folgen andere Frauen, viel Alkohol und viele Worte auf des Lehrers "Reise ans Ende des Frühlings". Anders als Badamur, den Louis-Ferdinand Céline in der "Reise ans Ende der Nacht" in die Kolonien gelangen lässt, genügen dem Lehrer die Straßen, Wohnungen und Wirtshäuser von Ljubljana, um die bürgerlichen Werte Heldenmut, Bildung, Fortschritt, Ordnung, Ehre, Liebe in das Säurebad der Verachtung zu tauchen.

Zersetzt wird zugleich das Subjekt des Lehrers in einem "Blitz in vier Farben", so der Untertitel des Romans nach einem Traum Tajsis mit eben jenen Farben. Der Lehrer begeht, ermutigt von Tajsis Unerschrockenheit, Ehebruch und erleidet, Tajsi ist verschwunden, furchtbare Einsamkeit. Er betrinkt sich tagelang, streitet mit jedermann, fühlt seinen Körper explodieren und schließt Freundschaft mit dem Schädel einer anatomischen Sammlung. Dann lässt sich die Frau eines Kunsthändlers mit dem Trinker ein, und Tajsi taucht wieder auf, seine Nähe suchend. Am Ende kehrt der Lehrer desillusioniert in die Schule zurück. Sonja ist von ihm schwanger, und Tajsi hat immer nur geflunkert.

"Reise ans Ende des Frühlings", entstanden in den 30er-Jahren, jedoch erst 1972 veröffentlicht, ist ein beeindruckender Roman über das Leiden am Subjekt. Ein wenig erinnert der Lehrer an die eloquenten Helden Italo Svevos. Zupan, der 1914 in Ljubljana geboren wurde und ein stürmisches Leben führte, schreibt allerdings überschaubarer und zugleich gewagter. Sein Vitalismus und Sensualismus schließen metaphysische und philosophische Überlegungen aus. Doch die atemlose, Innen- und Außenwelt, Prosa und Lyrik miteinander verschmelzende Erzählweise, in der Assoziationen, Sentenzen, Rhythmen das Geschehen vorantreiben, hat die slowenische Literatur revolutioniert. Eine Entdeckung.

Besprochen von Jörg Plath

Vitomil Zupan: Reise ans Ende des Frühlings. Blitz in vier Farben
Aus dem Slowenischen von Aleksander Studen-Kirchner
Mit einem Nachwort von Alenka Koron
Slowenische Bibliothek, Herausgeber Erwin Köstler
Drava, Mohorjeva/Hermagoras, Wieser Klagenfurt/Celovec 2013
239 Seiten, 21 Euro