Lehrerverband warnt vor Nachhilfe durch Scientology

Moderation: Frank Capellan · 31.07.2006
Der Deutsche Lehrerverband hat Eltern und Lehrer bei Nachhilfe-Instituten der Organisation Scientology zur Wachsamkeit aufgerufen. Eine "Alarmstimmung" sei allerdings nicht notwendig, sagte Verbandspräsident Josef Kraus. Die 30 bisher bekannten Einrichtungen seien im Vergleich zu den 42.000 Schulen in Deutschland eine "verschwindend geringe Zahl".
Frank Capellan: Ende vergangener Woche lies eine Meldung aus Deutschlands Schulen aufschrecken. Da zeigte sich die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, die Sozialdemokratin Ute Erdsiek-Rave, besorgt über den Einfluss der Scientology-Sekte im Nachhilfebereich. Offenbar nämlich baut die amerikanische Organisation ihr Netz von Nachhilfeinstituten in Europa und eben auch in Deutschland aus. 30 solcher Einrichtungen sind hierzulande bekannt. Es soll aber eine hohe Dunkelziffer geben. Am Telefon begrüße ich den Präsidenten des Lehrerverbandes. Guten Morgen, Herr Kraus!

Josef Kraus: Ich grüße Sie auch, Guten Morgen!

Capellan: Müssen sich denn Eltern nun ernsthaft Sorgen machen, dass Scientologen versuchen über den Nachhilfeunterricht an Kinder und Jugendliche heranzukommen?

Kraus: Man muss natürlich wachsam bleiben, das ist ganz klar, und es ist nicht ausgeschlossen, dass es wieder einen Schub an Aktivitäten von Sekten gibt, aber ich würde schon meinen, es ist jetzt nicht eine Alarmstimmung angesagt, wenn wir derzeit 30 bekannte solcher Organisationen haben, dann muss man das auch mal in Relation setzen zu unserer gesamten Schulszene. Wir haben in Deutschland 42.000 Schulen und da sind natürlich 30 solche Einrichtungen, die man glaubt identifiziert zu haben, eine verschwindend geringe Zahl.

Capellan: Aber Sie haben dennoch festgestellt, dass die Scientologen versuchen, dort im Nachhilfebereich auch in Deutschland verstärkt Fuß zu fassen?

Kraus: Das ist natürlich nicht ganz neu. Wir haben solche Aktivitäten schon Mitte der 80er Jahre gehabt, dass man über Tarnorganisationen versucht hat, da an junge Leute heranzukommen. Damals war es eine Organisation mit der Abkürzung ZIEL, Zentrum für individuelles und effektives Lernen, und es gab ja damals in den 80er und in den 90er Jahren, auch nach dem Fall der Mauer und nach der Wiedervereinigung in den neuen, deutschen Ländern zahlreiche Aktivitäten, um seitens der Kirchen, seitens des Staates, Eltern und Lehrer aufzuklären.

Capellan: Herr Kraus, Sie kennen das Sektenproblem. Sie haben lange Zeit auch als Schulpsychologe gearbeitet. Welche Chance haben denn Eltern eigentlich festzustellen, dass etwa mit dem Nachhilfelehrer irgendetwas nicht stimmt, dass der eine besondere Mission offenbar hat?

Kraus: Zum einen kann man Eltern nur empfehlen, also keine zu langfristigen Verträge einzugehen und vor allem dann auch das Lernmaterial sich genau anzuschauen, beziehungsweise Begleitmaterialien sich anzuschauen. So lange es um reines schulisches Lernen, die Vermittlung von Stoff oder die Vertiefung von Stoff geht, wird das schwer erkennbar sein, aber Sektenvertreter werden natürlich von Woche zu Woche mehr und von Monat zu Monat mehr auch sektenspezifische Inhalte und Ansprüche mit einfließen lassen. Es gibt gewisse Verlagsnamen, an denen man erkennen kann, dass es sich vielleicht um Scientology handelt. Scientology hat ja Niederlassungen, was Verlage betrifft, etwa in Koppenhagen, oder in Hamburg und wenn man hier aufgrund des Verlagnamens, des Copyrightnamens Verdacht schöpft, dann sollte man sich an seine eigene Schule wenden, an den Beratungslehrer wenden, an den Sektenbeauftragten in der Kirche wenden, im Internet ein bisschen rumrecherchieren, das ist ja heute relativ einfach und ich glaube, dann kommt man denen schon auf die Schliche.

Capellan: Herr Kraus, was sind denn sektenspezifische Inhalte, von denen Sie gerade gesprochen haben? Was ist das zum Beispiel?

Kraus: Nun, sektenspezifische Inhalte sind zum Beispiel, dass bestimmte Lösungen angeboten werden oder Pauschallösungen angeboten werden, für die Lösung aller Weltprobleme beispielsweise und man spricht unter den Sektenverständigen, -experten von einer diesseitigen Religion, die einen totalitären Anspruch erhebt und glaubt für alle Verhältnisse Lösungen anbieten zu können. Also, wenn hier einseitige weltanschauliche Elemente einfließen, dann sollte man hellhörig werden, wenn das nichts mehr mit Schule, nichts mehr mit Nachhilfe, nichts mehr mit Schulstoff zu tun hat.

Capellan: Sie sind Leiter eines Gymnasiums. Was können denn die Schulen tun, was empfehlen Sie den Lehrerkollegen?

Kraus: Die Lehrerkollegen kann ich nur bitten, sich nachdem man das vor etwas zehn, zwölf Jahren schon einmal intensiv getan hatte, sich über den neuesten Stand der Sektenszene zu informieren. Wir haben in den deutschen Schulen, 42.000 Schulen in Deutschland und quer durch alle 16 Bundesländer vor etwa 10, 12, 15 Jahren da eine größere Aufklärungskampagne gehabt. Dann ist das wieder ein bisschen zurückgegangen, es war auch nicht mehr so notwendig. Die Sektenaktivitäten sind ein bisschen eingeschlafen. Scientology beispielsweise hat ja auch massive Rückschläge erlebt, durch Gerichtsurteile, durch den Entzug der Gemeinnützigkeit. Wenn jetzt wieder eine neue Initiative ansteht, dann kann ich den Schulen nur empfehlen, beziehungsweise den staatlichen Einrichtungen der Lehrerfortbildung empfehlen, im engen Zusammenschluss mit den Innenministerien, im engen Zusammenschluss mit den Sektenbeauftragten der großen christlichen Kirchen, da einfach neueste Informationen herüberzubringen. Ich kann den Schulen nur empfehlen, beispielsweise im Rahmen von pädagogischen Tagen sich mit den Sachverhalten zu beschäftigen.

Capellan: Aber können die Minister, die Ministerien, die Sie gerade angesprochen haben, können die überhaupt irgendetwas ausrichten, denn in der Regel ist ja Nachhilfeunterricht privatwirtschaftlich organisiert. Welchen Einfluss hat da die Politik?

Kraus: Die Innenministerien beispielsweise haben ja auch den Auftrag, Verfassungsschutz zu betreiben und Scientology ist eine verfassungsfeindliche Organisation. Die Ministerien, beziehungsweise der Staat hat ja dahingehend auch Konsequenzen gezogen, dass jeder, der in den öffentlichen Dienst eintreten will zum Beispiel als Lehrer, schriftlich erklären muss, also quasi durch Eid auch erklären muss, dass er keiner solchen verfassungsfeindlichen Organisation angehört. Und die Beobachtung findet statt durch die Verfassungsschutzämter, also insofern ist da schon Sachkompetenz da und diagnostisches Vermögen da.

Capellan: Josef Kraus, Präsident des deutschen Lehrerverbandes. Wir sprachen über den wachsenden Einfluss von Scientologen auf den deutschen Nachhilfeunterricht. Ich danke Ihnen, auf Wiederhören!