Lehrerverband kritisiert Rechtschreibreform

Moderation: Marie Sagenschneider · 03.06.2005
Der Deutsche Lehrerverband hält seine Kritik an der geplanten Rechtschreibreform aufrecht. Auch die nun vorliegenden Pläne seien "wieder nichts Fertiges", sagte Verbandspräsident Josef Kraus. Man hätte dem Rat für Rechtschreibung ein Jahr länger Zeit geben sollen.
Sagenschneider: "Eis laufen", "voll quatschen", "auseinander setzen" - das hat erst mal gar nichts miteinander zu tun, außer dass man dies nach den neuen Rechtschreibregeln nicht mehr zusammenschreibt, sondern trennt. Eis laufen, voll quatschen, auseinander setzen - und da wird es dann schon schwierig. Ob dies wieder rückgängig gemacht werden soll, auch darüber wird heute das zuständige Expertengremium, der Rat für deutsche Rechtschreibung, beraten - gestern schon hatte die KMK, die Kultusministerkonferenz, beschlossen, die mittlerweile unstrittigen Teile der Rechtschreibreform ab dem 1. August in Kraft zu setzen, was bedeutet: Nach einer Übergangsfrist von sieben Jahren, denn 1998 wurde die Reform in den Schulen eingeführt, ist das Neue richtig, das Alte wird rot angestrichen, als Fehler. Da brechen also härtere Zeiten an für die Schüler und auch darüber wollen wir nun hier im Deutschlandradio Kultur mit Josef Kraus sprechen, er ist Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. Was ist denn eigentlich unstrittig? Welche Neuerungen sollen jetzt ab dem 1. August dann wirklich gelten?

Kraus: Also im Wesentlichen ist das natürlich die s-Schreibung, das ist ja der Kernbestand des ganzen Reformpaketes, nämlich dass man in weiten Bereichen das herkömmliche scharfe s nach kurzem Vokal abgeschafft hat und hier ein Doppel-s macht ...

Sagenschneider: ... "Fluss" und "dass" und so.

Kraus: Ja, richtig, also die Konjunktion "dass" beispielsweise, wobei man allerdings dazu sagen muss, es ist dadurch nicht unbedingt leichter geworden. Aber das ist unstrittig, das hat sich in weiten Bereichen durchgesetzt und auch die Lehrer haben da keine Klagen - es ist nicht leichter geworden, aber es ist in sich schlüssig und systematisch und da will niemand mehr dran.

Sagenschneider: Und das, was ich vorher angesprochen habe, das Aufeinandertreffen von Adverbien und Verben, also "auseinander setzen", "krank schreiben", das ist noch umstritten?

Kraus: Das ist noch umstritten, sowohl im Schulbereich wie auch im Bereich der professionellen Schreiber, weil man einfach festgestellt hat, es geht damit Semantik verloren, es gehen die Möglichkeiten semantischer Differenzierungen verloren. Ich nenne mal ein Beispiel: "Wohl bekannt" auseinander geschrieben hat natürlich eine andere Bedeutung, wenn man es auseinander schreibt bedeutet es ungefähr soviel wie "na ja, so halb bekannt" oder "gar nicht so ganz bekannt", und "wohlbekannt" zusammengeschrieben ist natürlich eine Steigerung von "bekannt", also "sehr bekannt". Diese Unterscheidung könnte man nicht mehr machen, wenn generell auseinander geschrieben werden muss. Und diese Dinge sind noch mal auf den Prüfstand gestellt worden und da will der Rat der deutschen Rechtschreibung unter der Führung des ehemaligen bayerischen Kultusministers Zehetmair im Wesentlichen wieder zu den herkömmlichen Möglichkeiten zurück, nämlich dass man differenzieren kann, dass beides möglich ist, je nach semantischer Absicht.

Sagenschneider: Ein Zweites, was noch umstritten ist, ist die Silbentrennung. Also das ist auch noch Gegenstand der Beratung und das ist natürlich auch zum Teil unschön, weil ungewohnt einfach. Also, "A-bitur" nach dem "A" schon trennen zu können oder "I-gel" nach dem "I", das ist schon merkwürdig, aber man sagt, nach dem Gehör ist das natürlich logisch. Man sagt ja "A-bi-tur".

Kraus: Da muss man sicherlich die akustische und die visuelle Wahrnehmung unterscheiden. Es tut wirklich weh, wenn man die Präposition "über" trennt: "ü", Strich, "ber". Aber Sie haben natürlich Recht vom Akustischen her. Also, es ist jetzt nicht ein großer Knackpunkt, aber aus optischen Gründen wäre es vernünftig, da wieder zu den herkömmlichen Regeln zu kommen.

Sagenschneider: Die Situation jetzt bedeutet ja, dass ein Teil wirklich in Kraft tritt und ein anderer Teil möglicherweise später, möglicherweise es auch noch mal eine Reform der Reform gibt. Welche Auswirkung hat das eigentlich für die Schulen jetzt, diese Situation, in der wir uns befinden?

Kraus: Zunächst mal ein Bereich vorweg noch genannt, der auch auf den Prüfstand gestellt werden muss, das ist natürlich die Zeichensetzung. Also es ist ja interessant, dass die meisten Verlage die herkömmliche Zeichensetzung praktizieren - aus Gründen der Lesbarkeit. Man hat bei der Reform der Zeichensetzung zu sehr an den Schreiber gedacht, aber zu wenig daran gedacht, dass natürlich ein Tausendfaches von dem gelesen wird und ein entsprechendes Komma ist natürlich eine Hilfe beim Sinn entnehmenden Lesen. Aber jetzt zu Ihrer Frage, was das für Auswirkungen hat: Nun, es ist halt wieder nichts Fertiges. Und das ist das, was mich ein bisschen stört mit Blick auf Pädagogik, mit Blick auf Schule, auf Deutschunterricht, dass wieder das Gefühl besteht, na ja, also da kommt noch mal was und abschließen können wir es jetzt auch wieder nicht und die Lehrer und Schüler sagen: Nächstes Jahr müssen wir uns unter Umständen wieder in Teilbereichen umstellen - also vernünftiger wäre es wahrscheinlich schon gewesen, den Rat zur Rechtschreibung noch ein Jahr konsequent und solide arbeiten zu lassen, den Termin zu verlängern auf 1. August 2006.

Sagenschneider: Mittlerweile wird die Reform ja seit sieben Jahren schon in den Schulen gelehrt, seit 1998. Wie sind denn bisher die Erfahrungen? Hat sich das eingepegelt, hat es sich vielleicht auch bewährt?

Kraus: Also eingepegelt hat sich sicherlich die neue s-Schreibung. Da gibt es unterschiedliche Auffassungen, ob damit die Fehler weniger geworden sind. Also wenn die Fehler weniger geworden sind, dann sicherlich nicht im großen Umfang, im großen Stil. Ansonsten hat man natürlich in der Schule gelernt, die Rechtschreibung ein bisschen großzügiger anzugehen in der Korrektur. Die Kinder dürften nicht die Leidtragenden dessen sein, dass sich die Experten da nicht einigen konnten. Die Luft ist im Wesentlichen raus, also die große Aufregung, die wir 1998 hatten, die wir letztes Jahr hatten bei der Umstellung maßgeblicher Zeitungen, die ist ein bisschen raus. Was wir uns in den Schulen wünschen, ist jetzt wirklich einfach mal ein abschließendes Ergebnis, dass man sagen kann: Okay, das, was jetzt gesagt wurde, das gilt jetzt einfach mal für die nächsten ein, zwei Jahrzehnte oder ein, zwei Schülergenerationen. Da sind wir aber leider noch nicht ganz hingekommen.
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