Legal oder illegal?

Von Jan Tussing · 08.04.2013
An der Homo-Ehe entzünden sich in den USA bis heute die heftigsten Debatten. In 31 Bundesstaaten ist die gleichgeschlechtliche Ehe verboten. Nun überprüft der Oberste Gerichtshof das Verbot. Und die Lebenswirklichkeit der Menschen zeigt: Es ist höchste Zeit dafür.
Tobias kommt aus der Eifel und lebt seit mehreren Jahren in San Francisco. Illegal. Sein Visum ist abgelaufen. Der Deutsche muss jeden Tag, wenn er zur Arbeit fährt, aufpassen, dass er nicht von Polizisten angehalten wird.

Die kalifornischen Behörden prüfen zwar bei Verkehrskontrollen kein Visum, aber wenn herauskommt, dass Tobias illegal in den USA lebt, riskiert er die Abschiebung.

"Ich will mich nicht als Opfer sehen, ich bin in diese Situation mit offenen Augen hereingegangen. Ich wusste, das was wir machen, dass das Probleme mit sich bringen würde."

Tobias kam vor 18 Jahren nach San Francisco und verliebte sich. Nicht nur in die Stadt, sondern auch in Chris, einen Amerikaner. Tobias und Chris sind seitdem ein Paar. Sie leben zusammen, arbeiten zusammen und in ihrer Firma haben sie sogar Verantwortung für einige Angestellte. Wären sie heterosexuell und könnten heiraten, dann wäre Tobias Geschichte, die eines typischen Einwanderers, von denen es in den USA so viele gibt.

Aber weil Tobias schwul ist, kann er kein Amerikaner werden. Schwule Pärchen werden in den USA diskriminiert. Bei heterosexuellen Paaren erlangt der ausländische Partner mit einer Heirat das Aufenthaltsrecht. Diese Option gibt es für schwule Pärchen nicht. Tobias lebt daher ein Schattendasein. Tobias ist daher auch nicht sein richtiger Name. Seine Existenz steht schließlich auf dem Spiel.

"Dadurch, dass wir uns einen kleinen golden Käfig gebaut und uns ein solides und gutes Leben aufgebaut haben, das macht es einfacher nicht groß darüber nachzudenken. Allgemeinen spielt es in meinem Leben keine große Rolle."

Tobias ist einer von zwölf Millionen Menschen ohne gültige Aufenthaltserlaubnis in den USA. Das Thema illegale Einwanderung ist ein heißes Eisen. Es beschäftigt nicht nur Juristen und Politiker, sondern auch die Medien.

Illegale Einwanderer haben in den USA ein Stigma. Jeder denkt sofort an Latinos, die heimlich über die grüne Grenze kommen und schwarz arbeiten. Niemand denkt an deutsche Männer, die sich anpassen und sogar pünktlich ihre Steuern zahlen.

In Kalifornien leben hunderttausende von schwulen und lesbischen Pärchen, die aus unterschiedlichen Staaten kommen. Sie können sich als Lebensgemeinschaften registrieren lassen, aber eine Aufenthaltsgenehmigung oder Green Card gibt es trotzdem nicht.

Sie müssen damit rechnen, abgeschoben zu werden. Aber auch dort, wo die Homo-Ehe erlaubt ist, bekommen ausländische Partner keine Aufenthaltsgenehmigung, denn Washington entscheidet über Visa. Im Golden State gibt es allerdings die eingetragene Partnerschaft und anders als in Deutschland dürfen gleichgeschlechtliche Paare hier sogar Kinder adoptieren.
Amos und Mickey haben Alicia adoptiert, da war sie acht Monate alt. Heute ist sie fünf und freut sich, gleich mit ihren beiden Papas in einen Vergnügungspark zu fahren. Amos und Mickey leben auch in San Francisco und haben gerade ihren 17. Jahrestag gefeiert.

Amos kommt von den Philippinen und Mickey aus Montana. Vier Jahre führten die beiden eine Beziehung auf Distanz, bis Amos sich entschied, nach San Francisco zu ziehen. So wie Chris und Tobias. Nur mit einem Besuchervisum. Die US-Behörden machten Amos das Leben schwer. Er musste sich entscheiden, entweder er geht zurück auf die Philippinen oder er riskiert es, illegal in den USA zu leben.

"Und so suchten wir nach einem anderen Land, in das wir auswandern könnten, eine Art Plan B. Das war Weihnachten 2001. Kanada ist eines von 22 Ländern, das die Einwanderung gleichgeschlechtlicher Paare erlaubt.

Aber dann fünf Tage nach meinem Geburtstag, am 11. Juni brannte unser Haus ab, aufgrund fehlerhafter Kabel, und am 4. Juli lief mein Visum aus. Es schien als ob das Universum uns zurief, ‚lasst das Packen, haut einfach ab‘."

Aber dann kam alles aber ganz anders. Mickeys Arbeitgeber bot ihm einen neuen, sehr wichtigen Job an. Und Mickey pokerte: Ich bleibe und nehme an, wenn ihr meinem Freund eine Greencard sponsert und ebenfalls einen Job gebt.

"Ich bin einer der glücklichen Immigranten, die eine Greencard so schnell bekommen haben. Nur neun Monate nach Ausfüllen der Formulare."

Ein kleines Wunder. Sie adoptierten Alicia so wie viele andere homosexuelle Paare in den USA - und führen ein ganz normales Leben. Amos und Mickey sind ein gutes Beispiel dafür, dass die Politiker den gesellschaftlichen Realitäten mal wieder hinterherhinken.

In San Francisco ist schwul sein so normal wie der Anblick der Golden Gate Brücke. Und darauf sind die Bewohner stolz. Obwohl die Mietpreise in San Francisco viel teurer sind als im Umland, wollen Amos und Mickey einfach nicht weg.

"Wir suchten 2004 nach einem größeren Haus, aber die Stadt ist sehr teuer. Wir hätten ein viel größeres Haus außerhalb der Stadt haben können, aber weil San Francisco so ist wie es ist, haben wir uns entschieden hier zu bleiben.

Jeder wird hier gleich behandelt, auch Kinder. Als wir nach einem Kindergarten für Alicia gesucht haben, haben wir herumgefragt: "Ist das ein Problem für uns als schwules Paar eine Schule für Alicia zu finden. Und wird wurde ungläubig angeschaut: Unsinn, das ist überhaupt kein Thema. Aber auf der anderen Seite der Bucht gibt es Städte, da ist es ein Thema. Stockton oder Bakersfield zum Beispiel."

San Francisco ist mit Los Angeles und New York sicherlich die toleranteste Stadt in den USA. So tolerant, dass hier seit Jahrzehnten Geschichte in der Schwulenrechts-bewegung geschrieben wurde. 2004 passierte zudem ein kleines Wunder.

Der Bürgermeister von San Francisco entschied sich am 12. Februar 2004 Heiratslizenzen auch an gleichgeschlechtliche Paare auszugeben. Amos und Mickey trauten sich. Sie waren eines der 4000 Paare vor dem Rathaus von San Francisco.

Auch John und Stewart standen in der Schlange vor dem Standesamt. Als die beiden Männer davon erfuhren stiegen sie sofort ins Auto. John Luis und Stewart Gaffney sind beide Rechtsanwälte und kämpfen seit Jahren für Gleichberechtigung von homosexuellen Paaren.

Sie haben beide die amerikanische Staatsbürgerschaft und rechtlich riskieren sie nicht, von schwulenfeindlichen Behörden abgeschoben zu werden. Für sie ging es einfach ums Gefühl, sagt John.

"Es ist wichtig wie es sich anfühlt. Wir gehören zu den ersten zehn Paaren, die sich 2004 haben trauen lassen. Als wir damals morgens aufstanden wussten wir noch nicht, dass San Francisco die Tür für schwule und lesbische Paare öffnete."

4000 Paare ließen sich damals trauen. Sie kamen von überall aus den USA angereist. John hört noch heute die Worte in seinen Ohren.

"Und nun, im Namen des Staates Kalifornien ernenne ich euch zu Lebenspartnern. Es war wirklich ein Moment, der mich verwandelt hat. Ich hatte die Gänsehaut. Wir hatten ja eine eingetragene Partnerschaft, aber ich habe nie realisiert, wie sich das anfühlen würde. Und als wir schließlich geheiratet haben, habe ich das erste Mal in meinem Leben gedacht: Ja, meine Regierung, an die ich glaube, behandelt mich zum ersten Mal gleichberechtigt, als schwuler Mensch."

Aber dann kam die Wende. Am 11. März 2004, gerade mal vier Wochen später wurde eine Klage gegen die Homo-Ehe eingereicht. Es war das vorzeitige Ende für gleichgeschlechtliche Paare in Kalifornien und der Beginn eines langen nervenaufreibenden Rechtsstreits und der dauert bis heute an.

"In unserer Bewegung für die Rechte von Schwulen und Rechten geht es um unsere Würde als Mensch und um die Freiheit selbst zu wählen, worum es in deinem Leben geht. Da gibt es immer etwas, was sich nicht ganz gleichberechtigt anfühlt. Immer zweitklassig. Es ist schon irgendwie ganz gut, gut für Kalifornien, aber es ist nicht wirklich Gleichheit."

Ein kleiner Trost kam vier Jahre später. Im Mai 2008 wies der Oberste Gerichtshof der USA die Klage ab und ein Jubel ging durch die Gemeinde der Schwulen und Lesben. John und Stewart ließen sich zum zweiten Mal trauen, ebenso wie Amos und Mickey. Sie erzählten es all ihren Freunden und Verwandten und schmissen ein großes Fest.

"Jeder verstand und akzeptierte, dass unsere Beziehung nun eine Familie ist. Es hat uns wirklich die Augen geöffnet, was eine Heirat für Außenstehende bedeutet."

In San Francisco wurden am Tag der Urteilsverkündung dutzende Stände in den öffentlichen Parks aufgestellt, denn der Andrang war riesig und das Rathaus platzte aus allen Nähten. Der Tag wurde von schwulen und lesbischen Aktivisten zum Volksfest erklärt. Nicht nur in San Francisco, auch in Los Angeles gaben sich seitdem 18.000 Pärchen das Ja-Wort.

Die Freude währte aber nicht lange. Bereits im November 2008 stimmten die Kalifornier in einem Volksentscheid gegen die Homo-Ehe ab. Die Proposition 8 - so der Name - verbot die Homo-Ehe wieder. Es war das Wahljahr und Barack Obama kandidierte für Hoffnung und Wandel - Hope and Change.

Aber während sich die USA fortschrittlich zeigen und zum ersten Mal ein schwarzer Präsident ins Weiße Haus einzieht, setzen sich im sonst so progressiven Kalifornien die konservativen Kräfte durch. Es war eine furchtbare Zeit, sagte John, der seit 25 Jahren mit seinem Partner Stewart zusammen lebt.

"Proposition 8 war eine furchtbare Zeit für uns. Es bedeutete, dass 35 Millionen Menschen darüber abstimmen sollten, ob Stewart und ich heiraten dürfen. Das war eine absurde Volksabstimmung."

Die Gemüter kochten über. 18.000 gleichgeschlechtliche Paare waren offiziell verheiratet. Aber konnten und durften die Ehen tatsächlich annulliert werden?

"In den Gerichtssitzungen, die sich nach der Proposition 8 richten mussten, haben die Verfechter der Abstimmung versucht, uns unsere Ehe wegzunehmen. Aber das Gericht hat entschieden, nein, das ist nicht das was diese Umfrage zur Absicht hatte und sie haben alle 18.000 Ehen bestätigt. Aber dennoch: Es war eine sehr demütigende Erfahrung: Die Idee, dass Leute die du gar nicht kennst, ein Urteil über dich fällen sollen."

An der Homo-Ehe entzünden sich in den USA die bittersten Debatten. Bis heute. Für manche vor allem konservative und religiös geprägte Amerikaner ist die Vorstellung einer Heirat zwischen zwei Männern ein Horror. Rechtlich ist die Situation in Kalifornien nach wie vor sehr verfahren. Aber klar ist auch: Der Volksentscheid - Proposition 8 - ist verfassungswidrig, das hat inzwischen das Bundesberufungs-gericht in San Francisco entschieden.

Aber auch politisch hat sich das Blatt gewendet. Präsident Obama hat sich inzwischen für das Recht von Homosexuellen ausgesprochen zu heiraten. Vielleicht weiß der Präsident einfach, dass die Mehrheit der amerikanischen Bürger für die absolute Gleichstellung aller Ehepaare ist.

"Ich weiß nicht , warum der Präsident seine Meinung geändert hat. Vielleicht weil er wie die Mehrheit aller Amerikaner die Gleichheit für alle Ehen befürwortet. Das ist großartig. Natürlich wäre es schöner, wenn führende Politiker den Mut hätten ihre Ansichten unabhängig davon äußern, was das Volk denkt.

Aber wenn mehr Politiker sich für ein gleiches Eherecht aussprechen, nicht nur weil das die richtige Entscheidung ist, sondern auch weil es populär ist, dann ist das ein Zeichen für den historischen Wandel, den wir zur Zeit erleben."

Laut Umfrage sind inzwischen 60 Prozent aller Amerikaner für eine Gleichstellung homosexueller Paare. In keinem Land der Welt haben sich die Einstellungen der Menschen so schnell geändert wie hier, auch wenn Befürworter und Gegner sich nach wie vor erbittert gegenüberstehen. Aber ein Ende der Diskriminierung ist in greifbarer Nähe.

Wenn der Oberste Gerichtshof sich für eine volle Gleichberechtigung von homosexuellen Paaren entscheiden sollte, könnten so auf einen Schlag Hundertausende illegale Menschen in den USA aus ihrem Schattendasein befördert werden. Und Tobias könnte vielleicht wieder nach Deutschland zu seiner Familie reisen, ohne Angst haben zu müssen, nicht wieder ins Land gelassen zu werden.
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