Lega Nord in Italien

Mit Stammtischparolen auf Stimmenfang

Auf einer Versammlung der Lega Nord Patania spricht Parteichef Matteo Salvini.
Auf einer Versammlung der Lega Nord Patania spricht Parteichef Matteo Salvini. © picture alliance / dpa / Pierre Teyssot
Von Tilmann Kleinjung  · 09.06.2015
Ging es der Lega Nord früher um die Abspaltung des reichen Nordens vom armen Süden, will sie heute für ganz Italien sprechen. Dabei punktet die Partei mit Euroskepsis und Fremdenangst - und mausert sich zur stärksten rechten Kraft.
Eigentlich wollten sie an diesem Nachmittag Rom erobern. Eine Großkundgebung der Lega Nord im Zentrum der Hauptstadt. 100.000 Anhänger sollten es sein. Gekommen sind vielleicht einige zehntausend. Rom ist eben immer noch fremdes Territorium für diese Partei aus dem Norden Italiens. "Roma Ladrona" reimten sie früher: Rom, die Diebin. An diesem Frühlingstag haben ihnen Gegendemonstranten die Schau gestohlen.
Matteo Salvini liebt Gegenwind. Der wortgewandte Chef der Lega Nord hat kein Problem damit, die eher enttäuschende Zahl der nach Rom gereisten Anhänger in einen Erfolg umzudeuten.
"Ich würde gerne jedem Einzelnen von Euch Danke sagen. Denn sie haben ja nichts unversucht gelassen, um diesen Platz zu leer zu halten. Angefangen von den Sozialzentren bis hin zu den Spinnern und den Kirchenbesetzern. Ihr seid die Antwort!"
Salvinis schärfste Waffe ist die Angst. Seine Heimat sieht er von Chaoten und "linken Spinnern" bedroht, von Brüssel fremdbestimmt und von Ausländern überschwemmt. Der Stammtisch wird eins zu eins auf die politische Bühne verlegt.
"In unserem Italien ist kein Platz für Roma-Lager, in unserem Italien schicken wir diesen Herrschaften einen Brief, dass wir in drei Monaten räumen. Organisiere dich, in drei Monaten werden hier die Bagger anrollen. Du kannst nicht länger auf Kosten der Italiener leben. Basta."
Parteipolitik ohne nationales Mandat
Matteo Salvini, 42 Jahre alt, der neue Hoffnungsträger der italienischen Rechten. Matteo, der Zweite. Salvini ist der einzig ernst zu nehmende Gegenspieler von Ministerpräsident Renzi. Wie der Premier macht er Parteipolitik ohne nationales Mandat. Er ist Europaparlamentarier. Dennoch trifft man Salvini häufiger in Rom als in Brüssel oder Straßburg. Denn sein Ziel ist:
"Regieren und Italien und Europa verändern", sagt der Lega Chef selbstbewusst. Und zumindest in den Umfragen hat er der einstigen Splitterpartei Lega Nord zu Spitzenwerten verholfen. Da überflügelt er bereits den Politrentner Silvio Berlusconi, der bis heute den Anspruch hat, die Gallionsfigur der italienischen Rechten zu sein. Doch Salvini ist frischer, smarter und vor allem populistischer. Grund allen Übels ist für ihn die Einwanderung nach Italien.
Matteo Salvini, Parteichef der Lega Nord
Matteo Salvini, Parteichef der Lega Nord.© picture alliance / dpa / Riccardo Antimiani / Eidon
"Die Tatsache, dass eine unkontrollierte Einwanderung dazu führt, dass man die schwachen Italiener beschützen muss, macht mir Sorgen. Nehmen Sie die U-Bahn in Mailand und sagen Sie mir, wie viele Mädchen nach 20.00 Uhr die Metro oder den Bus nehmen. Null!"
Als Stadtrat in Mailand hat Matteo Salvini schon einmal gefordert, dass es in der Metro eigene Waggons nur für Mailänder geben soll.
In Problemvierteln wie im römischen "Tor Sapienza" fallen solche Thesen auf fruchtbaren Boden. Vor wenigen Monaten protestierten hier die Anwohner gegen eine Unterkunft für minderjährige Asylbewerber, lieferten sich kleine Straßenschlachten mit der Polizei, die Migranten mussten schließlich aus Sicherheitsgründen umziehen. Befeuert werden solche Konflikte von Politikern der Lega Nord, die den Anlass nutzt, um sich als Anwalt der "kleinen Leute" zu präsentieren.
Mario Borghezio, Europaabgeordneter der Lega stattete den Menschen in Tor Sapienza einen Solidaritätsbesuch ab und wetterte gegen "falsche Asylbewerber", die sich nicht zu benehmen wissen, sich nicht identifizieren lassen. Denen würde Borghezio am liebsten einen "Tritt in den Hintern" verpassen.
Umberto Bossi ist der Parteigründer der Lega Nord. Auch kein Kind von Traurigkeit. Ein Populist, der gemeinsam mit dem Populisten Silvio Berlusconi lange Jahre Italien regierte. Sein Nachfolger Matteo Salvini hat die Partei neu ausgerichtet. Befreit von allen Bündniszwängen in Italien sucht er sich Partner in der EU. Der Europaparlamentarier Salvini hat sich in Brüssel mit anderen euroskeptischen und rechtsextremen Parteien zusammengeschlossen, aus Holland, Österreich und Frankreich: die Front National von Marine Le Pen ist die wichtigste Verbündete.
"Sie ist eine fähige, entschlossene, moderne, brillante Frau, der ich wünsche, dass sie das erreicht, was sie sich vorgenommen hat. Auch weil wir einige Schlachten gemeinsam schlagen."
Der Kampf gegen Brüssel eint
Was Le Pen und Salvini eint, ist der gemeinsame Kampf gegen Brüssel, gegen die Europäische Union, gegen den Euro. In Italien betreibt die Lega Nord eine Kampagne zum Ausstieg aus der europäischen Einheitswährung. Salvini träumt allen Ernstes von der Lira, er will, dass das Land wieder Herr seiner eigenen Währung wird.
"Ich bin kein Nostalgiker. Sicherlich ging es der Wirtschaft besser als Italien noch seine Währung kontrollierte. Es gab mehr Arbeit, mehr Ersparnisse. Gut, es gab eine Inflation, aber die Leute haben eingekauft. Mit der schwachen Lira, klein, hässlich und unansehnlich, war Italien die fünftgrößte Wirtschaftsmacht der Welt."
Es ist neu, dass die Lega Nord von Italien spricht. Von Ganz-Italien. Bis vor kurzem noch hatte man ausschließlich den Norden im Blick. Das legendäre "Padanien" des Parteigründers Umberto Bossi. Doch seit Matteo Salvini die Partei leitet, ist der Anspruch ein anderer, sagt der Journalist Gad Lerner.
"Er ist sich bewusst, dass es in der italienischen Rechten eine große Lücke gibt, dass die nationalistischen und ausländerfeindlichen Bewegungen gegen die EU und die Währungsunion in ganz Europa auf dem Vormarsch sind. Und so hat die Lega aus ihrem Logo das Wort "Padanien" gestrichen. Sie sieht sich nicht mehr nur als politische Bewegung des Nordens und hat sich auch in den Süden aufgemacht und hat damit alle rechtsextremen Bewegungen geschluckt, die ohne ein Zuhause waren."
Ausgerechnet Va Pensiero! Ausgerechnet Giuseppe Verdi, der Komponist des "Risorgimento", der italienischen Einheit! Umberto Bossi hatte sich dessen Gefangenenchor aus Nabucco als Hymne für sein unabhängiges "Padanien" ausgesucht. Diesen Fantasiestaat im Norden Italiens, der von den französischen Alpen reichen sollte bis zur Mündung des Po in die Adria.
"Der Zentralstaat ist nicht in der Lage, die Gesundheitsversorgung zu garantieren. Er zieht sich zurück und nachdem er die Bürger beraubt hat, macht er sich davon. Gut. Vorwärts mit der Republik des Nordens! Vorwärts mit dem Föderalen Staat!"
Umberto Bossi im Februar 1992. Damals trat die kurz zuvor gegründete Lega Nord zum ersten Mal zu Parlamentswahlen an. Die etablierten Parteien waren am Ende. Der "Mani Pulite" Skandal um Korruption, Amtsmissbrauch und illegale Parteifinanzierung bedeutete das Ende der ersten italienischen Republik und den Anfang einer Partei, die sich ausschließlich um die Interessen des Nordens kümmern wollte.
"Das System war untragbar geworden. Die Verschwendung öffentlicher Gelder. Sie haben unnütze öffentliche Aufträge vergeben und die Mafia gefüttert. Ein Desaster. Und da haben die Leute gesagt: Ja, die Lega hat Recht! Doch dann wurden wir in eine Schublade mit Rassisten gesteckt. Und das hat uns etwas gebremst."
Entstanden aus der Autonomiebewegung
Enzo Flego ist 74 Jahre alt, ein Gründungsmitglied der Lega Nord. Für diese Partei saß er im italienischen Parlament, heute noch vertritt er sie im Stadtrat von Verona. Sein Wunsch nach mehr Selbständigkeit ist älter als die Partei. Schon Anfang der 80er Jahre gab es in Venetien eine Autonomiebewegung, die "Liga Veneta". Zeitgleich entstand in der Lombardei die "Lega Lombarda" von Umberto Bossi.
"Wir sind entstanden, weil wir etwas zu verteidigen hatten: Unsere Kultur, unsere Tradition, unsere Sprache – gegen einen Staat, der uns kolonisierte, der uns verbot, Venezianisch zu sprechen, der uns die venezianische Kultur verbot und alles, was venezianisch war. Wir fühlten uns unterdrückt, deshalb war es richtig "Basta" zum italienischen System zu sagen."
Der Wunsch nach der Bewahrung der eigenen Tradition trieb im Norden teils kuriose Blüten. Die Lega betonte eine eigenständige norditalienische, vermeintlich keltische Kultur. Ihr Symbol wurde ein Strahlenkranz, angeblich die keltische Sonne der Alpen. Umberto Bossi "taufte" persönlich Parteimitglieder mit Wasser aus der Quelle des Po.
"Auch das ist eine keltische Tradition. Wir habe eine großartige keltische Geschichte. Das sind Dinge, die der Vergangenheit angehören und nicht einfach weggeworfen werden dürfen. Deshalb muss man ja die Moderne nicht ablehnen. Japan z.B. pflegt seine Traditionen und verweigert sich trotzdem nicht der Moderne."
Doch das Geschichtsbild des Umberto Bossi, der weder sein Medizin- noch sein Jurastudium beendet hatte, ist interessengeleitet und hält einer historisch-kritischen Überprüfung nicht stand. Vor allem das Land "Padanien", dieser Lieblings-Fetisch der Lega Nord, ist ein Fantasiegebilde. Was die Lega nicht davon abhielt, padanische Miss-Wahlen, padanische Fußballturniere zu organisieren und padanische Medien, wie Radio und Fernsehen zu unterhalten. Alles im Kampf gegen den korrupten Zentralstaat, gegen die verkommene Hauptstadt. Roma Ladrona. SPQR, die Abkürzung für das lateinische "Senatus Populusque Romanus" übersetzte Bossi mit: "Sono porci questi romani." Die Römer sind Schweine.
Umberto Bossi, Gründer der Lega Nord, spricht auf einer Parteiveranstaltung.
Umberto Bossi, Gründer der Lega Nord, spricht auf einer Parteiveranstaltung.© picture alliance / dpa / Daniel Dal Zennaro
"Die Lega - und das weiß auch unser schlimmster Feind - ist eine neue Partei, ein ehrenhafte Partei. Die einzige Partei, die ihre Abgeordneten vor die Tür setzt, wenn sie merkt, dass diese unredlich sind."
Soweit die Theorie. In der Praxis haben die Lega Nord und die Familie Bossi alles getan, um das selbst errichtete Lügengebäude wieder einzureißen. In der Parteizentrale in Mailand wurden Millionen Steuergelder veruntreut. Renzo Bossi, der Sohn des Parteigründers und ein paar andere zwielichtige Gestalten haben Mittel aus der staatlichen Parteienfinanzierung in die eigene Tasche gesteckt. Im April vor zwei Jahren musste Umberto Bossi als Vorsitzender der Lega Nord zurücktreten.
Schleichende Entfremdung von der Partei
Von einem "Riesenschaden" spricht Flavio Tosi, der Bürgermeister von Verona. Durch den Skandal sei die Lega Nord in der Wählergunst von zwölf auf vier Prozent abgerutscht. Möglicherweise begann damals, 2013 die schleichende Entfremdung des Bürgermeisters von seiner Partei, die nun im offenen Bruch endete. Flavio Tosi will die von Parteichef Salvini betriebene Radikalisierung der Lega nicht mittragen, dafür wurden er und einige Gefolgsleute offiziell ausgeschlossen.
"Die Lega müsste eine besonders territorial ausgerichtete Bewegung sein. Sehr populär. Und dann könnte man den Weg der bayerischen CSU einschlagen. Das ist das Modell, an dem man sich orientieren muss."
Wer Tosis Ideal der Lega Nord besichtigen will, muss in seine Stadt reisen, nach Verona. Die Großstadt südlich des Gardasees mit antikem Amphitheater, sommerlichem Opernspektakel, herausgeputzten Gassen. Weltkulturerbe und Industriestadt. Tosi ist hier seit 2007 Bürgermeister. Ein selbstbewusster Bürgermeister.
"In Verona wächst der Tourismus. Was die Verwaltung betrifft, ist Verona eine der effizientesten Städte Italiens. Verglichen mit einer Stadt wie Rom erscheint Verona sauber, gut organisiert. Rom dagegen ineffizient, dreckig, chaotisch."
Vor allem in seinen ersten Jahren im Amt hat Tosi von sich Reden gemacht. Als Rüpel: Er hat das Porträt von Staatspräsident Napolitano in seinem Büro abgehängt, weil er sich durch den nicht repräsentiert sah. Eine typische Lega Attitüde. Und als Scheriff. Veronas Parkbänke bekamen in der Mitte eine Barriere, damit sie Obdachlose nicht mehr als Schlafstatt nutzen können. Seinen Ruf als "Law and Order" Politiker festigte Tosi mit der Entscheidung, auch eine zivile Bürgerwehr in Verona auf Streife zu schicken.
"Als wir das in Verona organisierten, geschah das größtenteils mit Vereinen, die bereits aktiv waren. Zum Beispiel den Fischern und andere Freiwillige. Die bekamen eine Aufwandsentschädigung. Diese Bürgergruppen zeigten ausgestattet mit einem Ausweis zu bestimmten Zeiten und bestimmten Orten physische Präsenz zum Beispiel in Parks oder Problemvierteln. Als Zeichen der Sicherheit, ohne Waffen, ausgestattet nur mit einem Handy, um im Notfall die Polizei rufen zu können."
Mittlerweile patrouillieren keine Bürgerwehren mehr in den Straßen Veronas. Vermutlich auch, weil das nicht so richtig zum Image einer bürgerlichen Partei passt, in die Tosi die Lega verwandeln wollte.
Als moderate Kraft etablieren
Veronas Bürgermeister wollte die Lega noch mehr in die Mitte der Gesellschaft rücken. Darüber kam es zum Bruch mit seiner Partei und zu einem Bruch in seiner Biographie. Der Politiker ist rechtskräftig wegen Aufwiegelung zum Rassenhass verurteilt. Er hat auch Rechtsextreme in die Kommunalpolitik geholt. Nun verlangt er, dass sich die Lega Nord von eben jenen rechtsextremen Kräften distanziert. Auf lange Sicht soll sich die Lega als moderate Kraft im konservativen Lager etablieren.
"In diesem Umfeld muss die Lega wachsen. Wenn ihr das gelingt, wird sie nicht nur rechte sondern auch gemäßigte Wähler erreichen. 2010 hat die Lega Nord im Veneto 35 Prozent geholt, weil sich Wähler aus dem Mitte-Rechts-Spektrum in der Lega wiederfanden."
Die stärkste Waffe der Lega Nord ist die Angst. Davon hat Italien in diesem Moment reichlich. Das Land befindet sich krisenbedingt im Umbruch. Vor allem junge Menschen blicken in eine ungewisse Zukunft. Für den jungen Politiker Matteo Salvini, den neuen Star der italienischen Rechten, ist das Wählerpotential. Seine Rezepte zur Rettung Italiens sind derart simpel, dass sie als Slogans auf die T-Shirts passen, die er sich bei Kundgebungen seiner Partei immer wieder überstreift. "Stop Invasione" steht auf einem – das muss man nicht übersetzen.
"Vor 100 Jahren war der Erste Weltkrieg. Wie viele Großväter und Urgroßväter haben damals gekämpft, damit der Fremde nicht einmarschiert. Heute kommt der Fremde nicht mehr, wir holen ihn! Aus Respekt vor denen, die 1915 unsere Grenzen verteidigt haben, muss ein anständiger Staat diese Grenzen verteidigen."
Bei der letzten Kundgebung der Lega Nord in Rom gab es erstmals auch offene Unterstützung von rechtsextremen Kräften für die Parolen und die Politik von Matteo Salvini. Vertreter der nationalistischen Bewegung Casa Pound, die einen bizarren Faschismus Kult pflegt, standen mit auf der Bühne. Neofaschisten zeigten Bilder des Duce Benito Mussolini und hielten den rechten Arm zum "Römischen Gruß" in die Luft. Auch internationale Gäste hatte Salvini nach Rom eingeladen. Anhänger der xenophoben "Goldenen Morgenröte" aus Griechenland und Götz Kubitschek, einen der Vordenker der Dresdner Pegida Demonstrationen.
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