Lebensmittel

Fleisch ohne Grenzen

Pferdewürste liegen in der Auslage einer Metzgerei.
Auch ungewöhnliche Kreationen sind nach der Aufhebung des Importverbots in den Handel gekommen. © dpa/picture alliance/Stephan Jansen
Von Caspar Dohmen · 02.02.2014
Vor 25 Jahren hob der Europäische Gerichtshof das Importverbot für ausländische Wurstwaren auf, deren Zutaten nicht der deutschen Fleischverordnung entsprachen. Erst dadurch kamen Würste zum Beispiel mit Soja, Mehl und Reis auf den hiesigen Markt.
Auf einem Tisch in den Schulungsräumen der Fachschule für Fleischer auf dem Berliner Großmarkt liegen ein Rückenstück vom Rind sowie Keulen von Hirsch und Schwein. Einige Auszubildende zerlegen mit Sägen und Messern das Fleisch. Ihr Lehrer ist Olaf Nikolaus, seit 30 Jahren Fleischermeister. Er erklärt, welche Fleischanteile zu Wurst verarbeitet werden.
"Alles, was man nicht als Edelfleischteile bezeichnet, wie zum Beispiel Abschnitte, die sortiert werden nach Magerfleisch, Anteil Fettgewebe und Bindegewebe und das ist dann unser Grundmaterial für verschiedene Wurstsorten."
Die Fleischbestandteile werden zerkleinert und mit Salz und Gewürzen vermischt, bisweilen verwenden die Fleischer auch Innereien, Blut und Schwarten. So entsteht eine Masse, das sogenannte Brät. Es wird in Därme und Mägen oder künstliche Hüllen gefüllt, erhitzt, geräuchert und getrocknet. Mehr als 1500 verschiedene Wurstsorten gibt es. Die Geschichte der Wurst reicht mindestens ins achte Jahrhundert vor Christus zurück. Schon Homer dichtete in seiner "Odyssee":
"Höret, was ich euch sage, ihr edelmütigen Freier!
Hier sind Ziegenmagen, mit Fett und Blute gefüllet.
Die wir zum Abendschmaus auf glühenden Kohlen geleget.
Wer nun am tapfersten kämpft, und seinen Gegner besieget;
Dieser wähle sich selbst die beste der bratenden Würste."
Wurst gehört wie Bier und Brot zu den kulinarischen Traditionen in Deutschland. Schon im Mittelalter stimmten die Fleischer die Zubereitungsmethoden untereinander ab. Martin Stock ist Geschäftsführer der Fleischerinnung Berlin.
"Das wissen wir, dass es in den Zünften Absprachen gegeben hat, wo man gesagt hat, es gibt bestimmte Produktionsschritte, die wir machen wollen, auch bestimmte Zutaten, die wir verwenden wollen."
Fleischhauer aus Thüringen beschlossen bereits 1432 ein "Bratwurst-Reinheitsgebot". In Deutschland waren noch mehr als ein halbes Jahrtausend später prinzipiell unbedenkliche pflanzliche Zutaten wie Mehl oder Toastbrot, Soja oder Reis verpönt, die in anderen Ländern traditionell mit verarbeitet wurden. Diese Ware durfte nicht nach Deutschland exportiert werden. Das Importverbot verstoße jedoch gegen das Recht der Europäischen Gemeinschaft, befanden die Richter des Europäischen Gerichtshofs am 2. Februar 1989. Sie hoben das Importverbot für Wurstwaren mit Zusätzen auf, die die deutsche Fleischverordnung nicht zuließ. Geklagt hatten französische und belgische Hersteller von Pate. Ihre Rezepte haben die Fleischermeister hierzulande trotzdem nicht geändert, so Martin Stock:
Frisch geräucherte Würste hängen in einer Fleischerei.
Frisch geräucherte Pommersche Schlackwürste© dpa/picture alliance/Stefan Sauer
"Wir in Deutschland wollen das so machen, wie es in den Leitsätzen festgeschrieben ist, wie wir das eben traditionell seit vielen, vielen Jahrhunderten auch machen. Und wir wollen diese Zusatzstoffe und diese Dinge, wollen wir nicht und wir brauchen sie auch nicht für den Produktionsprozess."
Seit dem Richterspruch ist der Import von Fleisch und Wurstwaren nach Deutschland laut Statistischem Bundesamt um mehr als ein Drittel auf rund 2,4 Millionen Tonnen gestiegen. Die Öffnung des Marktes habe den hiesigen Fleischern jedoch wenig anhaben können, erklärt Stock. Sie kämpften vielmehr mit den Billigangeboten der Discounter und dem fehlenden Nachwuchs. Einige Metzger setzen beim Konkurrenzkampf auf kreative Wurstrezepte. Der Fleischermeister und Lehrer Olaf Nikolaus:
"Wir hatten vor Kurzem eine Erfindung, die nannte sich Marzipan-Chilli-Bratwurst, klingt erst einmal ganz verrückt, hatte letztendlich beim Kunden einen sehr guten Erfolg, dass man also auch Marzipan in Kombination mit einem scharfen Gewürz in der Wurst verarbeiten kann."
Trotz der viel beschworenen Tradition verarbeitete so mancher deutsche Wurstfabrikant minderwertige oder unappetitliche Substanzen. Im November 2013 wurde beispielsweise bekannt, dass ein Hersteller aus Niedersachsen verdorbenes Fleisch verwertete. Zwei Jahre zuvor rief ein Discounter die Teewurst eines saarländischen Betriebes wegen Salmonellen zurück. Solche wiederkehrenden Skandale sind ein Grund für den Bio-Boom. Aber der bietet auch Chancen für findige Wurstmacher. Olaf Nikolaus:
"Es ist also mittlerweile gar kein Problem, dass man tierisches Fett komplett durch pflanzliches Fett ersetzt. Und auch Pflanzen enthalten Eiweißstoffe, also kann ich durchaus ähnliche Wurstsorten auch aus rein pflanzlichen Bestandteilen herstellen."
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