Lebensmagie

Von Peter Kaiser · 11.09.2009
Im Berlin der 20er- und 30er-Jahre waren die Zaubervarietes Anziehungspunkt aller Vergnügungssüchtigen. Die Magier der damaligen Bühnen bedienten sich bei der Familie Kroner, einer alteingesessenen jüdischen Zauberer-Dynastie.
Ein Märzvormittag auf dem jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee. Überall haben Gärtner mit den Frühjahrsarbeiten zu tun.

Zehn Minuten Fußweg sind es zum Feld E 5, dem Grab von Charlotte Kroner. Sie starb 1943, kurz vor der Deportation ins KZ.

"Das Dramatische dabei war, als Charlotte aus dem Leben gehen wollte oder musste, funktionierte mit ihrer Dosis etwas nicht. (...) Und Arthur Kroner, ihr Mann, gab ihr von seinem Gift. (...) Ein paar Wochen später ist er aber auch gestorben."

"Die Kunst zu zaubern besteht nicht so sehr darin, wunderbare Dinge zu vollbringen, als darin, die Zuschauer zu überzeugen, dass wunderbare Dinge geschehen." (Jean Eugene Robert-Houdin)

Mehr als 65 Jahre nach dem Freitod des Ehepaares Kroner wird ihrer mit "Stolpersteinen" gedacht. Das sind Pflastersteine aus Beton, auf deren Messingoberfläche die Daten der jüdischen Mitbürger eingestanzt wurden, die an diesem Ort bis zur Deportation lebten. Birgit Barthel-Engelhardt, die Großnichte der Familie Kroner.

"Wir haben die Familie Kroner zurückgeholt an ihren historischen Platz ihres Wirkens, in die Friedrichstraße."

Die Geschichte der Familie Kroner ist eng verknüpft mit der Zauberkunst.

"Ja, zwischen Ende des 19. Jahrhunderts lebte zwischen Wien, München und Berlin das jüdische Paar Josef und Leonie Leichtmann. Sie heirateten in Wien und bekamen dort vier Kinder. Einen Sohn und drei Töchter."

Charlotte Leichtmann, die älteste Tochter, eröffnete 1899 in der Berliner Friedrichstraße Nummer 55 ein Fachgeschäft für Zauberartikel, den "Zauberkönig".

"Und wenn Sie heute das Lafayette sehen, in seiner Größe und Höhe, dann war "Zauberkönig" Friedrichstraße über ein, zwei Stockwerke hoch, hatte eine Bedeutung. Und wir haben sie aus der Isolierung, aus dem Nichts, aus dem Vergessen von Gräbern und Deportation zurückgeholt."

Besser als in der Friedrichstraße konnte der Ort des "Zauberkönigs" nicht gewählt werden. Der Name soll übrigens auf eine Figur aus Ödön von Horvaths "Geschichten aus dem Wienerwald" zurückgehen. Denn 20 Jahre später brodelt hier nachts das Leben in den Varietés.

"Ja, Berlin war natürlich in den 30er-Jahren die Hochburg des Amüsements. Also das, was heute in Las Vegas in Höchstform läuft, das war damals in Berlin. Und das war natürlich für Artisten und Zauberkünstler ein sehr guter Boden."

Peter Schuster ist Vorsitzender des Magischen Zirkels Berlin, einem der ältesten Zaubervereine der Welt. Auf die Frage, was Zauberkunst denn ist, holt Herr Schuster Spielkarten aus der Hosentasche. Und klingelt.

"Das ist unsere Klingel, mit der wir hier unsere Zaubersitzungen eröffnen. (...) Ich habe hier Karten auf denen Zahlen sind. In dem Fall gehen die Zahlen von 1 bis 63, und ich möchte Sie bitten, sich eine dieser Zahlen zu merken. Und die Karten, auf denen sich Ihre gedachte Zahl sich befindet, da sagen Sie Ja, die legen wir dann zusammen."

Geheimnisvoll sieht Peter Schuster die Karten an.

"Hier ist sie nicht drauf. Die legen wir auf Seite. Hier ...?"
"Ja."
"Und die letzte Karte?"
"Nein."
"Auch nicht. Das heißt also, Ihre gedachte Zahl befindet sich auf diesen drei Karten hier. Und ich werde jetzt versuchen durch meine hellseherischen Fähigkeiten herauszufinden, welche Zahl Sie gedacht haben. Sie haben eine magische Zahl gedacht. Es ist die Zahl 7."

Dann sagt er, dass es viele jüdische Zauberer gab, die im 1920 gegründeten Magischen Zirkel Mitglieder waren.

"In den 30er-Jahren ist mit den entsprechenden Gesetzen, dass Juden keine Reichsbürger sein durften, sind dann auch die jüdischen Mitglieder aus dem Magischen Zirkel ausgeschlossen worden. Und das ist langem mit einem Tabu belegt gewesen. Wir fangen jetzt an das Tabu zu brechen und die Geschichte öffentlich zu machen. Das betrifft die gesamten Magischen Zirkel von Deutschland, nicht nur uns hier in Berlin."

Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, wurde mit der "Arisierung" des "Zauberkönigs" der Familie der Lebensunterhalt und auch Lebensmittelpunkt entzogen. Während Arthur und Charlotte mit der Tochter Meta in Berlin blieben – Meta wurde später in Auschwitz ermordet – konnten die Töchter Hilde und Erna fliehen. Der weibliche Zauberlehrling der Kroners, Regina Schmidt, führte das Geschäft von 1938 bis 1978 weiter.

"Nach dem Tod von Regina Schmidt übernahm Zaubermeister Günther Klepke, (...) den Zauberkönig. Der den Laden 1995 an seine Tochter, Mona Schmid, weitergegeben hat. Der Name Schmid ist übrigens reine Namenszufälligkeit."

Seit 1952 ist der "Zauberkönig" in der Neuköllner Hermannstraße auf dem Gelände des Jerusalem-Friedhofs. Mona Schmid sagt, damit ist er der einzige Scherzartikelladen auf einem Friedhof. Und die Zeiten, sagt die große und freundliche Frau, sind für Zauberer jetzt miserabel.

"Wir verkaufen Scherzartikel, weil das ist wirklich eine Nische, die keiner im Umkreis hier in irgendeiner Form bedient. Zauberartikel, kann ich nicht wirklich sagen, dass man davon lebt."

Auf Charlotte Kroners weißgrauem Granitstein sind die Namen ihrer Töchter angebracht, Meta, Hilde und Erna. Geht man etwas weiter, zu F5, findet man den gleichen Grabstein für ihren Mann, Arthur. Über den Namen seiner Töchter liegen an diesem Vormittag drei Steine, gleich groß, gleich rund, ganz weich und warm. Ähnlich werden sich auch die Stolpersteine in der Friedrichstraße 55 erwärmen, werden manchmal von unten herauf in der Sonne golden glänzen, zauberhaft ...

"Ein Schüler hat einmal sehr schön gesagt, man stolpert nicht mit den Füßen, Stolpersteine, da stolpert man mit dem Kopf und mit dem Herzen."