Lebensgefühl der untergehenden DDR

Von Silke Lahmann-Lammert · 30.09.2012
Als unverfilmbar galt Uwe Tellkamps Roman "Der Turm". Eine unüberschaubare Zahl von Figuren und ein Erzählstil voller Auslassungen sprachen gegen eine Adaption. Man fragt sich, woher Drehbuchautor Thomas Kirchner und Regisseur Christian Schwochow den Mut nahmen, aus dem ausufernden DDR-Familienepos einen TV-Zweiteiler zu destillieren.
Dezember 1982: Der schönste Weihnachtsbaum im Volkseigenen Forstbetrieb ist für Parteifunktionär Barsano reserviert.

"Der isses. Den nehmen wir. Wir klauen den Baum vom SED Bezirkssekretär?"

Dr. Richard Hoffmann und seine Kollegen finden, dass sich die Tanne besser in der chirurgischen Abteilung ihrer Klinik machen würde. Sie sind allerdings nicht die Einzigen, die es Barsanos Baum abgesehen haben. Auch Pfarrer Magenstock tappt mit Taschenlampe und Säge durch die dunklen Baumreihen.

"Was machen Sie denn hier? Ja, glauben Sie denn, der VEB Forstwirtschaft stellt für eine Kirche einen Dreimeterbaum in den Plan ein?"

Jan-Josef Liefers spielt den Oberarzt, der seinen Glauben an den Arbeiter- und Bauernstaat längst verloren hat. Tag für Tag schlägt er sich mit der sozialistischen Mangelwirtschaft herum: In der Klinik fehlt es an Verbandsmaterial und medizinischer Grundausstattung, in den Behandlungsräumen regnet es durch. Doch: Je mehr die DDR ihrem Untergang entgegensteuert, um so heftiger drangsaliert sie ihre Bürger. Auch Richard Hoffmann, der es auf den Posten des Klinikchefs abgesehen hat, setzt die Stasi unter Druck. Der Chirurg soll als IM seine Kollegen ausspionieren. Sonst - drohen die Kontaktmänner von "Horch und Guck" - werden sie Ehefrau Anne wissen lassen, dass ihr Gatte sie seit Jahren betrügt.

"Ist es nicht legitim, dass der Staat wissen will, wie der zu unserem Land steht, der durch Studium und Beruf privilegierte Positionen einnehmen will? Wie Leiter einer Klinik, zum Beispiel?"

Mit Jan-Josef Liefers, Claudia Michelsen, Sebastian Urzendowsky, Nadja Uhl Götz Schubert ist der ARD-Zweiteiler erstklassig besetzt. Wie Drehbuchautor und Regisseur stammen die Darsteller aus dem Osten und beherrschen die feinen Zwischentöne von Menschen, die gelernt haben, aufzupassen, wer mithört. In manchen Szenen steigt der Geruch von Wofasept und Bohnerwachs auf, von kleinbürgerlichem Muff und perfiden Zwängen. Gleichzeitig versprüht "Der Turm" die Freude eines verschworenen "Jetzt erst recht!". Kein anderer Film hat das Lebensgefühl in der untergehenden DDR so auf den Punkt gebracht: Schonungslos und liebevoll zugleich.

Service:
Der zweiteilige Fernsehfilm "Der Turm" nach dem gleichnamigen Roman von Uwe Tellkamp ist am 3.10. und 4.10. jeweils um 20.15 Uhr, in der ARD zu sehen.
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