Leben wie alle anderen

Von Wolfgang Martin Hamdorf · 05.08.2010
Der 35-jährige Spanier Pablo Pineda hat vor fünf Jahren als erster Europäer mit Down-Syndrom ein Hochschuldiplom erhalten - in Psychologie und Pädagogik. Zugleich wurde er durch den Film "Yo, tambien" zum Filmstar und in San Sebastian mit der Silbernen Muschel als bester Darsteller ausgezeichnet.
"Reisen, Vorträge, Flugzeuge. So ist mein Leben heute. Alles dank der Medien."

Sagt Pablo Pineda und lacht von einem Ohr zum anderen. Er ist jetzt 35 Jahre alt und machte Schlagzeilen als erster europäischer Hochschulabsolvent mit Down-Syndrom. Dann bekam er die Hauptrolle in dem spanischen Film "Yo, tambien" und erhielt völlig überraschend im vergangenen September auf dem Festival in San Sebastian die "concha de plata" für den besten Schauspieler.

"Ich kann mich mit der Rolle identifizieren, weil sie auch unsere inneren und geheimen Gefühle und Wünsche zeigt, alles, was unser kleines Herz bewegt."

In dem Film findet er seine eigene Lebensgeschichte wieder, weil er ohne übertriebene Fürsorglichkeit von den Sehnsüchten, Ängsten und Problemen junger Menschen mit Down Syndrom erzählt. Am Anfang stand er dem Angebot skeptisch gegenüber:

"Ich dachte zunächst, was soll das denn? Natürlich habe ich Vorträge gehalten und Unterricht gegeben. Aber ich im Film? Ich dachte, die sind verrückt, was machen die mit einem Schauspieler mit Down-Syndrom? Aber langsam begann mich der Gedanke doch zu reizen."

Am Ende überzeugte ihn die sensible Geschichte und die Tatsache, dass Julio Medem, der spanische Regisseur, der diesen Film produzierte, selbst eine Tochter mit Down-Syndrom hat. Und wer wäre für die Rolle besser geeignet gewesen als er? Sehr offen und mit brillanter Schlagfertigkeit geht Pablo Pineda, in "Yo, tambien" mit seiner Situation und der seiner Leidensgenossen um: "Ich sehe eben so aus, wie man sich einen jungen Mann mit Down-Syndrom vorstellt", sagt er von sich und bezieht sich auf die schräggestellten Lidachsen, die ein leicht asiatisches Aussehen verleihen und das weiche, kindliche Gesicht.

"Yo, tambien" erzählt von der Liebe eines Büroangestellten mit Down-Syndrom zu einer jungen Frau, einer "normalen" jungen Frau. Die Frage nach der Liebe und seinen eigenen Sehnsüchten beantwortet er knapp, es habe sich noch nichts ergeben, aber, und dann lacht er wieder, nichts sei unmöglich. Seine Eltern, sein Umfeld, seine Lehrer, sagt Pablo, haben ihn immer sehr unterstützt:

"Leider haben die meisten Menschen mit Down-Syndrom wenig Selbstständigkeit entwickeln können, weil ihre Eltern es gar nicht zugelassen haben. Diese unterschiedliche Entwicklung wird mir manchmal sehr schmerzlich bewusst. Ich habe wenig Kontakt zu anderen Menschen mit Down-Syndrom, denn die Down-Realität geht in eine Richtung und meine Realität in eine andere. Das ist manchmal hart. Ich habe viele Freunde, aber die meisten haben nichts mit dem Down-Syndrom zu tun."

Seine Bekanntheit ist durch den Film und durch den Preis als bester Schauspieler noch gestiegen:

"Ich zeige in diesem Film sehr viel von mir selbst. Aber auf der anderen Seite bin ich das gewöhnt. Seitdem ich auf eine normale Schule ging und noch stärker später an der Hochschule, haben mich die Massenmedien begleitet. Ich weiß, dass Film vielleicht das einflußreichste Medium ist, noch stärker als das Fernsehen. Aber ich hätte im Film nicht so viel von mir zeigen können, wenn ich nicht in den Jahren vorher schon die Scheu vor den Medien verloren hätte."

Pablo Pineda ist Lehrer und will besonders anderen Menschen mit Down-Syndrom vermitteln, dass nichts unmöglich ist, wenn sie es nur wollen und wenn die Familie und das Umfeld sie unterstützen. Er selbst ist sehr herzlich, aber im Gespräch rückt er seine schwarze, rechteckige Brille zurecht und bekommt einen fast belehrenden, manchmal altväterlichen Ton. Aber seine Gefühle, Freude und auch Traurigkeit drückt er ganz unmittelbar durch Weinen und Lachen aus.

Der Film war für ihn eine aufregende Erfahrung, doch seine Pläne sind eher solide: Zunächst einmal will er die Prüfungen für den Staatsdienst bestehen und eine Festanstellung als Lehrer bekommen. Dann will er aus seinem Elternhaus ausziehen. "Ich bin ja nicht mehr der Jüngste", sagt er mit leichtem Sarkasmus, "aber viele Spanier ohne Down-Syndrom wohnen noch länger bei ihren Eltern." Seine Eltern unterstützten ihn dabei, aber:

"Meine Mutter sagt mir zwar, ja, ich nähe dir die Gardinen für deine Wohnung, aber ich weiß, dass sie mich sehr vermissen werden. Wir haben doch so lange gemeinsam gelebt. Und ich werde sie auch vermissen, ich... Jetzt muss ich wieder weinen. Schluss mit der Aufnahme! Abbrechen!"