Leben mit Flüchtlingen

Wohnutopien statt Notunterkünfte

Flüchtlinge vor einer Notunterkunft in einer ehemaligen Bundeswehr Sporthalle in Stern Buchholz bei Schwerin
Flüchtlinge vor einer Notunterkunft in einer ehemaligen Bundeswehr Sporthalle in Stern Buchholz bei Schwerin © dpa / picture-alliance
Walter Siebel im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 27.12.2015
Über eine Million Flüchtlinge sind 2015 nach Deutschland gekommen, und alle wollen untergebracht sein - nicht nur provisorisch. Der Stadtsoziologe Walter Siebel empfiehlt, Leerstand gezielt zu nutzen, aber auch neue Wohnungen zu bauen.
Die Ankunft und Unterbringung von mehr als einer Million Flüchtlingen verschärft die Lage auf dem Wohnungsmarkt in Deutschland. Und sie benötigen nicht nur provisorische Unterkünfte, sondern Quartiere, in denen sie dauerhaft wohnen können. Die Stimmung in der Gesellschaft, der soziale Frieden in Deutschland ist perspektivisch auch davon abhängig, ob es dem Land gelingt, diese riesige Aufgabe zu stemmen.
Walter Siebel ist Stadtsoziologe und -planer und hat an der Universität Oldenburg gelehrt. Im Gespräch mit Sigrid Brinkmann geht es um den Leerstand in Deutschland, warum es so schwer ist, einfach und schnell zu bauen, und wie Stadtsoziologen, Architekten und Politiker in dieser Frage zusammenarbeiten.
"Es ist, weiß Gott, genug Raum vorhanden"
Grundsätzlich ist Siebel optimistisch, dass sich die nach Deutschland gekommenen Menschen auch unterbringen lassen:
"Wenn wir sehr hoch schätzen, dann werden bis zum Ende des kommenden Jahres zwei Millionen Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sein. Gegenwärtig stehen 1,8 Millionen Wohnungen in Deutschland leer, wir haben acht Millionen Quadratmeter ungenutzte Bürofläche, nicht gerechnet die ungenutzten Gewerberäume. Es ist, weiß Gott, genug Raum vorhanden, um diese Menschen unterzubringen",
sagt Siebel. Allerdings werde die Unterbringung "erheblich Geld kosten" und "erhebliche technische und organisatorische Schwierigkeiten aufwerfen". Hinzu komme, dass Leerstand hauptsächlich in strukturschwachen Regionen vorhanden sei, wo es wenig Arbeit geben und in der Nachbarschaft "auch so etwas wie eine Willkommenskultur" fehle. Daher müsse auch auf den Neubau von Wohnungen gesetzt werden.
Ausdrücklich weist Siebel auf Schätzungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hin. Diese gingen davon aus, dass langfristig nur rund 900.000 Menschen in Deutschland bleiben würden. Wenn jeweils drei Personen in einer Wohnung lebten, müssten also nur rund 300.000 Wohnungen zur Verfügung gestellt werden. Diese ließen sich auch neubauen, sagte der Stadtplaner.

Walter Siebel: Kultur der Stadt
edition suhrkamp, Berlin 2015
475 Seiten, 18,00 Euro

Mehr zum Thema