Leben in einer Demenz-WG

Von Uschi Götz · 03.07.2009
Was spüren Menschen, die ihr Gedächtnis scheinbar ganz verloren haben noch von der Welt? Wie soll und kann eine würdevolle Pflege von demenzkranken Menschen aussehen? Noch gibt es keine befriedigenden Antworten. Neue Erkenntnisse soll ein Modellprojekt in Baden-Württemberg bringen, bei dem Demenzkranke in einer WG zusammenleben.
Mit einem kräftigen Satz springt Line in das Bett von Frau Kurz. Line ist eine schwarzhaarige, eindrucksvoll große Labradorhündin, 27 Kilogramm wiegt das Tier, das scheinbar wortlos auf die Anweisungen seines Frauchens reagiert. Genussvoll leckt Line an den Fingern von Frau Kurz. Die Dame ist über 80 Jahre alt und schwer demenzkrank. Ihre Tage verbringt sie meist im Bett, die Nächte sowieso. Die Augen der älteren Dame sind geschlossen, ihre Hände zu Fäusten geballt. Line scheint das nicht zu beeindrucken, die Hündin schleckt und schleckt.

Frau Kurz öffnet ihre Augen und beinahe zeitgleich ihre geballten Fäuste. Ein wenig verzieht die Dame den Mund. Vielleicht ein Lächeln?! Mit ihren Fingern greift sie in das Fell der kräftigen Labradorhündin, die Hündin schmiegt sich jetzt noch mehr an Frau Kurz. Ein großer schwarzer Hund im Bett einer zerbrechlich wirkenden alten Frau.

Am Bett und mit einer Hand an Line steht Christiana Schmitt. Sie ist Tiertherapeutin und kommt regelmäßig mit zwei Hunden in das Altenhilfezentrum Karlsruhe-Nordost, wo seit rund sieben Monaten eine neue Therapieform für Demenzkranke in der letzten Phase der Erkrankung erprobt wird.

Ein Schwerpunkt der Therapie ist die sogenannte basale Stimulation, was so viel wie die Anregung der Sinne bedeutet. Das Pflegekonzept wird seit Jahren erfolgreich bei Komapatienten, Hirnverletzten und zunehmend auch bei demenzkranken Patienten angewandt. Teil der Pflegephilosophie kann auch der hautnahe Kontakt mit Tieren sein. Tiertherapeutin Christiana Schmitt.

"Wichtig ist natürlich, dass man weiß, ob Leute, die hier sind, ob sie Zugang zu Tieren hatten und ob das für sie denkbar gewesen wäre früher. Wenn man weiß, da war eine absolute Abneigung gegen Tiere, dann darf man das nicht tun. Also die Biografie ist immer wichtig und dann kann man das auch machen. Das Bett wird abgedeckt, also da bringe ich Tücher mit. Die Hunde sind geimpft, entwurmt, entfloht, das ist klar."

Fühlen, spüren und hören und nicht alleine sein.

In dem mit Demenzkranken erfahrenen Karlsruher Altenhilfezentrum wird zurzeit auch eine neue Wohnform erprobt. Träger der Einrichtung ist der badische Landesverein für Innere Mission unter dem Dach der Badischen Diakonie. Eine Gruppe von Bewohnern wird zurzeit nicht - wie sonst in Pflegeheimen üblich - in Ein- oder Zweibettzimmern versorgt, sondern sie leben im Altenhilfezentrum in einem Raum, ähnlich einer großzügigen Wohnung, zusammen, einer Art Wohngemeinschaft.

Das Herzstück der WG ist ein etwa 100 Quadratmeter saalgroßer Raum, der auf den ersten Blick wie ein großes Wohnzimmer wirkt, trotz der Betten im Zimmer. Eine Sitzecke zählt zum Inventar, ebenso ein kleine Wohnküche in einer Ecke des Raums. Keine langen Flure, keine geschlossenen Türen, eine freundliche Stube, die zurzeit fünf ältere Damen bewohnen. Heimleiterin Roswitha Kaksch:

"Das war das Spannende am Anfang auch, weil es ist ja schon was sehr Abweichendes vom Heimkonzept, vom Heimgesetz, von der Heimmindestbauverordnung ist; da ist ja ein Raum von maximal von vier Betten erlaubt und wir haben ja jetzt einen großen Raum, wo fünf ältere Menschen drin leben, aber eben durch das besondere Raumkonzept, mit den Raumteilern, hat uns das die Heimaufsicht auch so genehmigt, weil, das Konzept, der Raum, alles im Ganzen gesehen wirklich auch gestimmt hat und da konnten die den Weg mit uns gehen und haben das mit uns getragen und befürwortet."

Trotz der Größe des Raums hat jeder Bewohner seinen Bereich. Links und rechts von jedem Bett stehen fahrbare Regalwände. Die Betten der Bewohner, selbst die Bettgitter, sind aus hellem Holz. Um die Intimsphäre der Patienten zu schützen, werden bei der Pflege raumhohe Vorhänge aus Leinenstoff um die Betten zugezogen. Die Inneneinrichtung hat ein Ausstatter für Pflegeheime exklusiv und in enger Abstimmung mit den Pflegekräften entworfen. Wohnbereichsleiterin Ursula Lihs:

"Man kann den Platz verkleinern und vergrößern und da sind die Vorhänge, wenn man die Leute pflegt, (...) und dann ist das alles abgeschirmt und man kann die Leute pflegen und da kann keiner reinschauen, aber trotzdem, die Stimme kann man durch den Vorhang hören."

Hören, sehen, spüren, riechen. Eine Klimaanlage an der Decke des Raums entfernt die für gewöhnlich in Krankenhäusern und Pflegeheimen als unangenehm empfundenen Gerüche. Aus der Küche in der Ecke des großen Raums duftet es nach frischem Kaffee, mal läuft die Spülmaschine, Geschirr wird ein- und ausgeräumt. Ursula Lihs:

"Wir versuchen ab und zu mal was zu backen, die Leute haben früher sehr viel gebacken selber. Die hatten nicht so viel Geld wie heutzutage. Die sind nicht zum Bäcker gelaufen und haben Kuchen gekauft."

Vielleicht werden mit dem Duft eines Kuchens Erinnerungen wach. Wenn nicht, so wirkt in der Regel schon ein in der Küche werkelnder Mensch beruhigend.

Vier kleinere Zimmer grenzen unmittelbar an den großen Raum: Ein durch eine Glasscheibe geschütztes Stationszimmer, ein Badezimmer und noch zwei größere Räume, für Sterbende bestimmt. Fast überall stehen die Türen offen, auch die Tür des Zimmers, wo ein alter Mann zurzeit im Sterben liegt. Er hört vielleicht die Stimmen und die Geräusche aus dem großen Zimmer.

Acht Plätze gibt es in der WG insgesamt. Heimleiterin Roswitha Kaksch:

"Gewachsen ist die Idee ja aus dem Bedarf heraus. Wir haben ja den Schwerpunkt hier in der Einrichtung mit der Demenzbegleitung; wir haben für mobile Demente, wir haben etwas für schwere Demente, aber für die Dementen in der letzten Demenz- und Lebensphase, wo eben doch im Vordergrund steht, dass die Immobilität eben gegeben ist, und dass die innere Isolation immer mehr voranschreitet, war das wichtig, dass wir da etwas schaffen, damit diese Bewohner viel mehr Zuwendung bekommen können, vom Leben umgeben sind."

Vom Leben umgeben, wenn der Geist schwindet, die innere Isolation fortschreitet. Früher starben die Alten geborgen und umgeben von der Familie. Wenn es auch dort sicher nicht ganz so idyllisch zugegangen sein mag, wie uns das heute bisweilen erscheint, so waren doch die Kinder und Enkelkinder für ihre Eltern und Großeltern zuständig. Das Karlsruher Modell ist einer familienähnliche Wohnsituation nachempfunden.

Dementia, lateinisch ohne Geist. Die Zahl derer, die zumindest ihre geistigen Fähigkeiten mit fortschreitendem Alter stark einbüßen, steigt mit der Lebenserwartung. Die Rede ist bereits von einer neuen Volkskrankheit. Stimmen aktuelle Zahlen, so werden zurzeit in Deutschland rund 90 Prozent an einer Demenz erkrankten Menschen von Angehörigen, in der Regel sind es Frauen, gepflegt. Doch für künftige Generationen bedarf es anderer Konzepte als die häusliche Pflege, das zeichnet sich heute schon ab.

Wissenschaftlich begleitet wird das Karlsruher Projekt von Dr. Stefanie Becker, vom Institut für Gerontologie an der Universität Heidelberg. Dr. Becker ist Psychologin und Gerontologin. Im Mittelpunkt ihrer wissenschaftlichen Arbeit stehen Fragen nach der Zufriedenheit der Pflegekräfte und ihrer Arbeitsbelastung, auch das Verhalten der Bewohner in Bezug auf die Veränderung ihrer Lebensqualität. Gleichzeitig werden regelmäßig die Angehörigen befragt. Dr. Stefanie Becker:

"Was am häufigsten als Befürchtungen geäußert wurde, war die Frage nach Privatheit. Kann ich mit meiner Mutter, mit meinem Vater noch Privatheit erleben, kann ich, wenn ich singen möchte, was ihr gut tut, kann ich das tun? Fühlen sich da nicht andere gestört oder wie wird das für mich vielleicht sein, ist mir das vielleicht auch unangenehm? Also diese Frage nach Privatem, sich zurückziehen und Privatheit leben, mit der Mutter, mit dem Vater, das war die häufigste Befürchtung der Angehörigen."

Roswitha Kaksch:

"Den Angehörigen dann bewusst zu machen: ihre Mutter, ihr Vater, denen ist das viel wichtiger in den 24 Stunden am Tag immer jemand um sich zu haben, als die kleine Besuchszeit vielleicht, wo sie da sind ... Individualität zu haben. Dass das andere gewichtiger ist, dass sie das versuchen zu verstehen und anzunehmen. Und das denke ich, ist uns sehr gut gelungen. Und im Nachhinein sind die Angehörigen glücklich, nicht alleine gelassen zu werden. Sie sagen, das ist ganz toll, da ist jemand, ich kann jederzeit auf jemanden zugehen, ich fühle mich auch nicht mehr allein gelassen. Und insofern ist das schön zusammengewachsen."

Hermann Raviol, Angehöriger, zu seiner dementen Mutter:

"Mach mal die Äuglein auf, dann siehst Du uns!"

Patientin hustet.

"Draußen scheint die Sonne. Mutter, Du musst schlucken … Ja, ist gut."

Hermann Raviol besucht seine Schwiegermutter regelmäßig. Er gibt ihr das Essen und ist auch ein gern gesehener Gast beim Pflegepersonal. Herr Raviol kennt sich aus in der Pflege von dementen Menschen, bereits der Schwiegervater hatte eine schwere Demenz:

"Wenn man so etwas durchgemacht hat mit dem Schwiegervater und jetzt mit der Schwiegermutter, wir haben da oben die oberen Wohnbereiche durchgemacht, ich muss sagen, das habe ich von Anfang an optimal gefunden, diese offene Art. Es ist zwar getrennt durch diese Vorhänge, durch diese Schränke und so weiter, aber trotzdem offen und nicht eingeengt, aber die Privatsphäre ist trotzdem gewahrt, also es ist eine optimale Lösung."

Viele Angehörige erleben die Entscheidung, die demente Mutter oder den Vater in ein Pflegeheim zu geben, als extrem belastend. Sie werden regelrecht von Gewissenskonflikten gepeinigt. Bei Familie Raviol stand die Entscheidung relativ schnell fest, da es räumlich keine Möglichkeiten gab, die Mutter aufzunehmen:

"Wir haben ein Häuschen, aber wir hätten ein weiteres Zimmer gebraucht, die Jungs sind schon älter, die konnte ich also auch nicht mehr zusammenlegen und deswegen haben wir diesen Weg gesucht und auch gefunden, das ist also optimal."

Nicht weniger entscheidend ist bei vielen Angehörigen aber die Frage, ob ein Platz in einem Pflegeheim überhaupt bezahlbar ist. Grundsätzlich tragen die Pflegekassen einen Teil der Kosten. Wie viel ein Heimplatz für einen demenzkranken Menschen kostet, hängt in erster Linie von seiner festgestellten Pflegestufe ab. Die Pflegestufe 3 ist die höchste Pflegestufe und bedeutet eine Schwerstpflegebedürftigkeit, gerade Demenzkranke in der letzten Lebensphase gehören in der Regel dazu.

Innerhalb des Karlsruher Pflegeheims gibt es bei den Kosten für einen Platz keinen Unterschied. Ein Platz in der WG kostet genauso viel wie ein Platz auf einer Pflegestation - in der Pflegestufe 3 derzeit rund 1900 Euro monatlich. Bei der Auswahl eines Pflegeheims sollte gerade die Frage nach einem guten Pflegekonzept bei der Entscheidung berücksichtigt werden. Herr Raviol ist sich sicher: sie haben das richtige Haus gefunden. Mal ist es die Klangschalentherapie, mal ein Vollbad, und regelmäßig kommt Tiertherapeutin Frau Schmitt samt Hunden:

"Ich muss sagen, es bringt was. Die Entkrampfung der Hände merke ich, ab und zu mal macht sie auch mal die Augen auf. Der Tageszustand ist unterschiedlich. Manchmal, wenn ich dann komme und spreche mit ihr, ich erzähle dann wie es der Familie geht, was die Jungs machen, wie draußen das Wetter ist, was es zu essen gibt, dann guckt sie mich manchmal an und folgt mit dem Kopf und den Augen."

Früher sei seine Schwiegermutter manchmal regelrecht explodiert und habe Wutausbrüche bekommen. Jetzt sei sie viel ruhiger, sagt Hermann Raviol, und das wiederum hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass sich auch die Raviols bei ihren Besuchen nicht als Eindringlinge, sondern als Teil des Teams verstehen:

"Und wir haben jederzeit den Zutritt, egal welche Uhrzeit und wenn ich abends meine Frau abhole, sie arbeitet noch, dann fahren wir auf dem Heimweg hier vorbei und geben ihr das Abendbrot. Man spricht nicht nur über die Krankheit, sondern manche Pflegekraft hat erwachsene Kinder oder Schulkinder, dass man darüber spricht. Das ist praktisch wie in einer Familie. Das muss ich sagen, das macht das ganze Leid etwas annehmbarer."

Herr Raviol erzählt, eine andere Bewohnerin bekommt ihr Essen, im Badezimmer läuft das Wasser ein. Frau Meinrat wird unruhig und ruft kaum hörbar "Mama". Ursula Lihs eilt an ihr Bett und tröstet sie.

"Kalt!"

"Kalt ist das, nein! Da machen wir zu, dann wir es Ihnen wieder warm, so."

Ihr sei kalt, sagt Frau Meinrat und draußen scheint die Sonne. Ursula Lihs deckt auch die Arme der alten Dame zu, kurz darauf schläft sie zufrieden ein. Links vom Bett von Frau Meinrat steht ein Notenpult, Franz Schuberts "Wiener Tänze" liegen aufgeschlagen auf dem Pult. Im Regal an ihrem Bett steht ein eingerahmtes Foto, das eine bildhübsche Dame mit einem weißen Hut an der Seite eines ebenso attraktiven Mannes zeigt. Oben auf dem Regal liegt eine Geige, die Geige von Frau Meinrat. Die Pflegekräfte wissen viel von ihrem früheren Leben. Fotos, persönliche Gegenstände und viele Gespräche mit den Angehörigen ermöglichen eine individuelle Ansprache, eine respektvolle Begegnung:

Eine ältere Dame liegt in der Badewanne, Altenpflegerin Barbara Epple weicht nicht von ihrer Seite. Im Badezimmer ist leise Musik zu hören, die Badewanne ist unter Wasser beleuchtet, ein zitronenartiger, feiner Duft steigt aus der Wanne. Das Badezimmer ist lichtdurchflutet, beim Blick aus dem oberen Teil des Fensters kann Frau Mayer in der Wanne die Wolken ziehen sehen. Frau Mayer genießt sichtlich das Vollbad. Nach nur fünf Minuten ist sie eingeschlafen und wacht erst wieder auf, als Altenpflegerin Barbara Epple ihr die Haare wäscht.

Frisch gebadet und zurück im Bett wartet bereits eine Friseurin auf Frau Mayer. Einmal in der Woche kommt die Friseurin und schneidet in der Regel die Haare ihrer Kundschaft im Bett.

"Noch ein Stückchen weiter... Das nützt nichts! Ich muss das ja nach unten kämmen zum Schneiden. Sie sagen, ich soll es einfach kürzer machen? Ja, es geht einfach darum, dass sie nicht mehr so schwitzen muss, gell, und dass sie einfach ihre Frisur, die sie hatte, noch machen kann, also die Zöpfchen, die wir manchmal flechten."

Nicht mehr Pflegekräfte als auf gängigen Pflegestationen für Demenzkranke erfordert das neuartige Konzept. Und doch werden gerade bei der Pflege von Demenzkranken höchste Ansprüche an das Pflegepersonal gestellt. Heimleiterin Kaksch:

"Also ich habe sehr viel Wert gelegt bei der Personalauswahl auf die persönlichen Fähigkeiten: Ruhe, Geduld, die menschliche Wärme, die Ausstrahlung, das war mir ein ganz wichtiger Aspekt bei der Teamfindung und die Schulungen, die sind selbstverständlich im Haus, das ist schon vorab gelaufen. Basale Stimulation, Palliativ-Hospizbegleitung, integrative Validation, so ganz viele Dinge, die man bei der Demenzarbeit einfach auch braucht und die wichtig sind, Supervision in der Teambegleitung."

Keine noch so in Aussicht gestellte, liebevolle Pflege wird künftig uns Menschen die Angst vor dem geistigen Verfall nehmen können. Dies trifft auch und gerade für die Phase am Ende eines Lebensweges zu, der in der Pflege nur noch wenig Spielraum lässt. Wenn geistig verwirrte Menschen weder durch eine Beschäftigungsangebot, noch durch die sogenannte Erinnerungspflege erreichbar sind. Dann muss die menschliche Hingabe im Vordergrund aller Zuwendungen stehen. Hören, fühlen, spüren, nicht alleine sein.

Die Würde des Menschen bis zum Schluss wahren und den urmenschlichen Bedürfnissen nachzufühlen. Was dem engagierten Karlsruher Team scheinbar gelingt, könnte zum Maßstab für künftige Betreuungskonzepte werden. Dr. Stefanie Becker:
"Ich würde nie sagen, das ist eine Endstation oder so etwas. Das ist ein gemeinschaftliches Leben, jeder eben in dem Rahmen, den er noch kann. Aber die Möglichkeit eben, dass Ansprache da ist, dass Geräusche, Lebensgeräusche da sind, und selbst wenn mal ein Schrei oder sonstige Lautäußerungen vom Bettnachbarn kommen, ist es Teilhaben an etwas Lebendigem und vielleicht dadurch auch das Gefühl, noch lebendig zu sein und nicht nur, sag ich mal, alleine und isoliert in einem Zimmer zu liegen. Ich möchte nicht sagen, dass das für jeden Demenzkranken immer das Richtige sein muss, ich denke, da gehören die Angehörigen, ganz wichtig, auch mit ins Boot. Man muss schon wissen, was für die Mutter, den Vater, die Großmutter richtig ist und danach kann man sicherlich entscheiden."

Es wird ein Prüfstein für die Humanität unserer Gesellschaft sein, wie wir mit demenzkranken Menschen künftig umgehen. Nicht zuletzt aus diesem Grund soll und muss diesem Anspruch in Bezug auf die Qualifikation, aber auch auf die Bezahlung der Pflegekräfte Rechnung getragen werden.

In Karlsruhe, aber auch in einigen bundesweit ähnlich arbeitenden Einrichtungen, ist heute schon festzustellen: die Betroffenen brauchen bei dieser Form von Pflege weniger Medikamente, weniger Beruhigungsmittel. Auch wenn aus Karlsruhe noch keine Zahlen vorliegen, zieht die Psychologin und Gerontologin Dr. Becker schon heute eine hoffnungsvolle Zwischenbilanz:

"Also das, was mir bis jetzt aus den Daten, die ich bisher erhoben habe, entgegen kommt, ist schon, dass die Angehörigen vor allem auch schildern, dass doch die Betroffenen aufmerksamer wieder wurden, nicht mehr nur apathisch, sag ich mal, im Bett liegen und, dass zum Beispiel die Augen wieder mehr gehen, die Augen wieder öfter offen sind, mit den Augen mehr Bewegungen verfolgt werden. Also dieses Wachsein, das ist so der Eindruck, dass die Betroffenen eher wach, wacher sind, durch diese Umgebung, durch dieses andere Betreuungskonzept."