Leben an der ukrainischen Front

"Hauptsache, es fallen keine Bomben"

Frauenschuhe in einem zerstörten Haus in Donezk.
Frauenschuhe in einem zerstörten Haus in Donezk. © picture alliance / dpa / Irina Gerashchenko
Von Gesine Dornblüth, Deutschlandradio-Korrespondentin in Moskau · 07.07.2015
Veronika und Julia leben in Svetlodarsk, dem letzten Ort auf ukrainisch kontrolliertem Gebiet. Die Front verläuft gleich hinter der Stadt. Gerne würden die Mädchen einen unbeschwerten Sommer verbringen, doch jede Nacht fallen Schüsse.
Veronika und Julia schlendern über den weitläufigen Platz im Stadtzentrum. Ringsum graue Wohnblöcke. Ein Supermarkt. Lenin auf dem Sockel. Tannen. Eine typische sowjetische Kleinstadt. Es ist heiß. Hinter den Häusern liegt ein See. Die Mädchen sind auf dem Weg zur Badestelle.
"Aus der Stadt dürfen wir nicht hinaus. Dort könnten Minen liegen. Deshalb liegen wir meist am Strand rum. Sonst nichts. Da sitzen alle, den ganzen Tag."
Die beiden Mädchen leben in Svetlodarsk. Es ist der letzte Ort auf ukrainisch kontrolliertem Gebiet. Die Front verläuft gleich hinter der Stadt. Der nächste Ort, Debalzewo, wurde im Februar von den Separatisten erobert. Fast jede Nacht gibt es Schusswechsel.

Früher gab es Ferienkurse

"Früher gab es im Sommer Englischkurse, Malen, Kosmetik. Wegen des Krieges wurden fast alle gestrichen. Es gibt nur noch einen Handarbeitskurs. Doch da geht kaum einer hin, weil die Eltern Angst haben, ihre Kinder rauszulassen. Hier sind ja so viele Soldaten. Auch abends sitzen alle zu Hause. Die Laternen sind ausgeschaltet – Verdunkelung."
All ihre Freundinnen seien weggezogen, erzählen die Mädchen. Von ursprünglich rund 20.000 Einwohnern ist noch etwa die Hälfte da. Zwei Rentner kommen aus einem Supermarkt. Sie leben in ständiger Unsicherheit, erzählen sie.
"Jeden Morgen stehst du auf und fragst dich, wie es weitergeht. Selbst wenn es ruhig ist, sind wir doch innerlich total unruhig. Überall sind Soldaten, überall wird geschossen, und was weiter wird, weiß niemand."
"Vor zwei Tagen gab es so starke Explosionen. Dahinten irgendwo hinterm See. Das hat sicher eine Stunde gedauert. Du fühlst dich dann nicht mehr als Mensch. Es ist schrecklich."
Die OSZE warnt vor einer stetigen Verschlechterung der Lage. In den letzten Tagen und Wochen hat sie schweres Kriegsgerät wie Panzer und Haubitzen entlang der Frontlinie ausgemacht, und zwar im Separatistengebiet und auf der ukrainisch kontrollierten Seite. Solche Waffen müssten laut dem Minsker Abkommen vom Februar längst abgezogen sein. Für die anhaltenden Gefechte schieben sich beide Seiten gegenseitig die Verantwortung zu.

Sympathien für die Regierung in Kiew gering

Die Menschen im ukrainisch kontrollierten Svetlodarsk vermeiden eindeutige Schuldzuweisungen. Doch die Sympathien für die Regierung in Kiew sind gering, das ist nicht zu übersehen: Im Stadtzentrum sind die in den ukrainischen Nationalfarben blau-gelb gestrichenen Laternenmasten rot beschmiert. Auch das ukrainische Militär scheint nicht willkommen. Veronika und Julia haben Angst vor den Soldaten:
"Gestern waren welche hier, die haben einfach so geschossen und sich dabei fotografiert. Im Park beim Strand. Nur zum Spaß."
Im Nachbarort Luganskoje berichten die Bewohner von Plünderungen durch die ukrainischen Soldaten. Ähnliches wird von den Bewaffneten auf der anderen Seite der Front erzählt. Die Menschen wünschen sich hier vor allem eines: Frieden. Der Rentner Vladimir:
"Ich hoffe, die Politiker einigen sich. Denn vom Krieg haben alle genug."
Das meinen auch die beiden Mädchen Veronika und Julia:
"Wir wollen vor allem Frieden. Und dabei ist uns ganz egal, wer hier regiert. Hauptsache, es fallen keine Bomben."
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