"Le Havre"

Gesehen von Hans-Ulrich Pönack · 07.09.2011
In seinem Film "Le Havre" erzählt Aki Kaurismäki altersweise und ohne viel Worte, wie ein Schuhputzer in der französischen Hafenstadt einem minderjährigen Flüchtling aus Afrika hilft. Herrlich lakonisch inszeniertes Kino zum Durchatmen.
Schon die dicke Titel-Schrift fasziniert, hat was von "Retro" und ist klar, deutlich und verständlich. Eben wie ein Film von Kaurismäki - Aki Kaurismäki, der es so unvergleichlich versteht, sich eine einfache Menschengeschichte auszudenken und sie dann ebenso herrlich, wie einzigartig lakonisch zu erzählen und, "wie nebenbei", zu inszenieren.

Aki Kaurismäki erzählt in seinem Film "Le Havre" lakonisch eine einfache Menschengeschichte. Marcel Marx ist Schuhputzer in der Hafenstadt Le Havre und entdeckt einen minderjährigen Flüchtling aus Afrika. Solidarität ist angesagt: Marcel hilft dem Jungen ein Schiff zu finden, das ihn über den Kanal zu seiner Mutter nach London fährt.

"Le Havre" bedeutet ein herrliches Durchatmen der ganz besonderen Kino-Art. Auch, weil aus der skurrilen Trostlosigkeit seiner innigen politischen Alltagsbilder, siehe "Der Mann ohne Vergangenheit", "Wolken ziehen vorüber", "Das Mädchen aus der Streichholzfabrik", nunmehr eine "realistische Poesie" aus dem heutigen Alltag entstanden ist. Wie gehabt mit wenigen Worten. Dafür mit würdevollen Bewegungen, Regungen, Gesten, zutiefst melancholisch, berührend, fesselnd. Im Milieu "der Unteren", stinknormalen Typen, Überlebenskünstler".

Wie Marcel. Marcel Marx, typisch Aki. Marcel nach dem von ihm bewunderten französischen Regisseur Marcel Carné und dessen poetischen Realismus ("Hafen im Nebel"; "Der Tag bricht an" (1938/39). Marx nach dem deutschen Denker Karl Marx.

Marcel Marx ist Schuhputzer in einer Hafenstadt im Nordwesten von Frankreich.
André Wilms spielt ihn wie seine Figur aus Kaurismäkis "Das Leben der Boheme" (1992). Marcel lebt ein zufriedenes Leben mit seiner Frau Arletty. Doch dann kommt es knüppeldick. Arletty erkrankt schwer. Zugleich entdeckt Marcel am Wasser einen minderjährigen schwarzen Flüchtling aus Afrika. Idrissa, der illegal auf dem Weg zu seiner Mutter nach London ist. Keine Frage, resignieren gibt es nicht. Auch nicht im Quartier von Marcel. Solidarität ist angesagt. Marcel ist fortan kreditfähig, um den Jungen auf ein Schiff zu bringen, das ihn über den Kanal fährt.

Es gibt keine Handys, es wird viel geraucht, nicht wenig getrunken und wenig geredet. Ganz Aki Kaurismäki eben. Aki Kaurismäki - der altersweise, der kluge Rebell, der beharrliche Poet, der standhafte Beobachter: "Das europäische Kino hat sich bisher nicht sonderlich mit der sich ständig verschlimmernden finanziellen, politischen und nicht zuletzt moralischen Krise beschäftigt.

Die Krise ist auch die Ursache für die weiterhin ungelöste Flüchtlingsfrage. Immer mehr Menschen suchen verzweifelt nach einem Weg in die Europäische Union und werden dann, einmal angekommen, fragwürdiger Behandlungen und menschenunwürdigen Lebensumständen ausgesetzt. "Auch wenn ich selber keine Lösung habe, möchte ich mich trotzdem mit diesem, wenn auch unrealistischen Film, dem Problem widmen", erklärt Kaurismäki im Presseheft zum Film.

Als "Le Havre" bei den Filmfestspielen von Cannes im Frühjahr im Wettbewerb lief, wurde Aki Kaurismäki bei der Präsentation gefragt, warum der Film nicht in seiner Heimat spielt, sondern in Frankreich. "Niemand ist so verzweifelt, dass er nach Finnland kommen will", antwortet der Finne. Genau so lächelnd kommt "Le Havre" herüber.

Finnland / Frankreich / Deutschland 2011 - Regie: Aki Kaurismäki, Darsteller: André Wilms, Kati Outinen, Blondin Miguel, Laika, Jean-Pierre Darroussin, ohne Altersbeschränkung, 93 Minuten

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