"Le Canard enchaîné" wird 100

Humor als Waffe

Die französische satirische Wochenzeitung Le Canard Enchaîné (Ausgabe vom 27.07.2011).
Die französische satirische Wochenzeitung Le Canard Enchaîné (Ausgabe vom 27.07.2011). © imago/epd
Von Hans Woller  · 10.09.2015
Vor 100 Jahren wurde die französische Satirezeitschrift "Le Canard enchaîné" gegründet. Mit Ironie kämpften die Autoren gegen Zensur und Kriegsverherrlichung. Bis heute gilt das Motto: "Die Pressefreiheit geht nur verloren, wenn man sich ihrer nicht bedient."
Der Erste Weltkrieg dauerte schon über ein Jahr, unter Frankreichs Soldaten machte sich erster Unmut breit. Gleichzeitig sorgten eine ultra-nationalistische Presse und strenge Zensur dafür, dass von den Kriegsschauplätzen nur Falschmeldungen, also "Enten", verbreitet wurden. Dem wollte der 33-jährige Maurice Maréchal mit dem "Canard enchaîné", der "Gefesselten Ente", etwas entgegen setzen. Das Blatt, das am 10. September 1915 erstmals erschien, wählte den Humor als Waffe, bestach von Anfang an mit bitterbösen Karikaturen und Texten aus spitzer, frecher Feder und hielt das bis heute gepflegte Motto hoch:
"Die Pressefreiheit geht nur verloren, wenn man sich ihrer nicht bedient."
Laurent Martin, Autor einer Geschichte des "Canard enchaîné":
"Seine Identität zu Anfang, das waren der Pazifismus und der Antimilitarismus. Das Blatt war antiklerikal und kritisch gegenüber allen staatlichen Institutionen."
Diese Identität, gepaart mit absoluter Respektlosigkeit vor den Mächtigen, hat sich die mittwochs erscheinende, achtseitige, nur in Schwarz und Rot gedruckte Satirezeitung bis heute bewahrt.
De Gaulle: ein gefundenes Fressen
Die wirklich große Zeit des Blatts begann mit der Rückkehr General de Gaulles an die Macht. Die Persönlichkeit des "großen Charles" und die quasi monarchische 5. Republik waren für den"Canard" ein gefundenes Fressen. Die Rubrik "Der Hofstaat", die neun Jahre lang erschien, mit de Gaulle als Sonnenkönig, ist Legende geworden. Ihr Autor Roger Fressoz:
"Wenn der Präsident im Fernsehen auftrat, kam vorher Musik von Luly oder Lalende, Agence France Presse meldete abends, dass er sich in seine Privatgemächer zurückzog, und seine Entourage und seine Minister verhielten sich wie Höflinge zur Zeit Ludwig XIV. - also haben wir begonnen, über die Vorgänge am 'Hof' zu berichten."
Von der Satire zum Investigationsjournalismus
In jenen Jahren wurde die reine Satirezeitung nach und nach auch zu dem von Politikern und Wirtschaftsbossen bis heute gefürchteten Monument des Investigationsjournalismus. Die Liste der Korruptionsaffären und Politskandale, die der "Canard" in den letzten 60 Jahren aufgedeckt hat, liest sich wie eine Parallelgeschichte der 5. Republik. Reihenweise haben Minister ihm ihre Rücktritte zu verdanken, ja Staatspräsident Giscard d'Estaing verlor sogar seine Wahl gegen Mitterrand, hatte das Blatt doch 1979 die "Diamantenaffäre" ans Licht gebracht: Giscard hatte einst als Finanzminister Edelsteine im Wert von einer Million Francs vom zentralafrikanischen Kaiser Bokassa akzeptiert und nicht deklariert.
"Wir hatten zweieinhalb Jahre lang unseren Informanten, Monsieur Lespinasse, der ein Beweisstück besaß, immer wieder getroffen. Als Bokassa dann gestürzt wurde, haben wir den Mann überzeugt, uns das Dokument zu überlassen",
so Ex-Chefredakteur Claude Angelli.
Die Stärke des "Canard enchaîné": seine Beständigkeit, sein langes Gedächtnis und seine einzigartige Unabhängigkeit. Seit Beginn ohne jede Werbung, die Firmenanteile in Händen der Redaktion, jährlich zwischen drei und fünf Millionen Euro Gewinn bei einer Auflage von rund 450.000 und Rücklagen von sage und schreibe 120 Millionen Euro. Die Prozesse, von denen der "Canard" ohnehin fast alle gewinnt, schüchtern ihn nicht ein. Die knapp 60 Karikaturisten und schreibenden Redakteure gehören zu den bestbezahlten Journalisten Frankreichs:
"Der 'Canard' hat ein sehr gutes Team, sehr intelligent, sehr kultiviert, historisch sehr bewandert und mit einer extrem strengen Berufsethik. Alle Informationen sind absolut verifiziert und nochmals verifiziert", erklärt Michel Charasse, einst Intimus von Präsident Mitterrand. "Und außerdem gibt es eben in der Politik und in der Wirtschaft genügend Leute, die den 'Canard' informieren."
Geheimdienst blamiert sich
Für diese Leute interessierte sich unter Präsident Pompidou sogar der Geheimdienst. Doch die als Klempner verkleideten Agenten wurden beim Anbringen von Wanzen in den Redaktionsräumen unweit des Louvre ertappt und zum Gespött der Nation. Der "Canard enchaîné" reagierte auf seine Art. Das Loch, das die Agenten in der Wand hinterlassen hatten, ist bis heute konserviert. Und darüber hängt eine Gedenktafel mit den Worten:
"Hier wurden in der Nacht des 3. Dezember 1973 Klempner beim Anbringen von Mikrofonen auf frischer Tat ertappt."
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