Laurent Mauvignier: "Mit leichtem Gepäck"

Alles beginnt mit einer gigantischen Flutwelle

März 2011: Erdbeben und Tsunami in Japan.
März 2011: Damals wurde Japan von einem Tsunami erschüttert. © picture alliance / dpa / EPA
Von Carolin Fischer · 24.10.2016
Am Anfang von Laurent Mauvigniers Roman "Mit leichtem Gepäck" steht eine reale Katastrophe: der Tsunami, der im März 2011 die japanische Ostküste überrollte. Davon ausgehend erzählt der französische Autor die unterschiedlichsten Reisegeschichten.
Eher ein Kaleidoskop als ein Roman ist das neue Buch von Laurent Mauvignier, und entgegen dem Titel reisen seine Figuren in der Regel nicht mit leichtem Gepäck, sondern eher beladen mit ihrer Lebensgeschichte.
Es sind Menschen aus aller Herren Länder, unterschiedlichster Altersstufen oder sozialer Herkunft, die aus den diversen Gründen unterwegs sind: Touristen, aber auch ein philippinischer Gastarbeiter in Dubai, ein junger Tramper, der die USA auf dem Weg zu seinem Bruder durchquert, ein Malaye und ein Russe, die sich als Ingenieure auf Montage ineinander verlieben, oder zwei Chileninnen, die sich am Flughafen von Tel Aviv begegnen, die einen auf der Suche nach ihren jüdischen Wurzeln, die anderen Mitglied einer NGO zur Unterstützung der Palästinenser.
Kurze Augenblicke im Leben dieser Menschen reiht Mauvignier aneinander, Augenblicke, die zumindest von den Betroffenen als dramatisch empfunden werden, oft sogar Katastrophen sind.
Der Autor Laurent Mauvignier im Jahr 2011. Links: Sein neues Buch "Mit leichtem Gepäck".
Der Autor Laurent Mauvignier im Jahr 2011. Links: Sein neues Buch "Mit leichtem Gepäck".© dtv/imago/Leemage
Ausgangspunkt ist eine reale Katastrophe: der Tsunami, der im März 2011 die japanische Ostküste überrollte. Wir erleben sie eingangs gewissermaßen live mit. Und schon geschieht das erste Drama. Die junge Japanerin Yuko ist nach exzessivem Sex und Alkoholkonsum nicht in der Lage, Guillermo, einen mexikanischen Globetrotter, zu warnen oder selbst die Flucht zu ergreifen.
Alle weiteren Episoden ereignen sich zum selben Zeitpunkt. Doch nicht nur dieser Kunstgriff verbindet die Geschichten miteinander sondern vielmehr die ungeheure Intensität des persönlichen Erlebens der Figuren und deren Beschreibung.

Mauvignier trifft den richtigen Ton

Darin besteht auch die Stärke des Buches: Jede Episode wird mit großer Spannung geschildert, egal ob sich ein tatsächliches Drama abspielt, oder schlicht etwas Neues passiert. So folgt etwa die Kaffeefahrt zweier norditalienischer Rentner auf die Geschichte über einen pensionierten baskischen Polizisten, der mit seiner Frau die Welt umsegelt und dabei von somalischen Piraten überfallen wird. Dabei liegt der Fokus nie auf den äußeren Geschehnissen, mögen diese auch noch so erschütternd sein.
Wir erleben die Innenperspektive des gefahrenerprobten baskischen Ex-Polizisten, wie er auf den Angriff erst professionell reagiert, doch dann den tödlichen Fehler begeht, zum Gewehr zu greifen, wohlwissend, dass er es nicht tun dürfte. Und immer sind es auch zwischenmenschliche Beziehungen, die mit größter Sensibilität geschildert werden, ob es die gegenseitigen Vorwürfe und Selbstvorwürfe der recht schlichten Italiener sind, oder die heftige letzte gemeinsame Nacht der beiden Ingenieure, während derer die Frau des Russen einen Sohn gebiert.
Stets gelingt es Mauvignier, den richtigen Ton zu treffen, um uns das Schicksal seiner Figuren nahe zu bringen, ohne dabei auf die Tränendrüse zu drücken. Selbst dann nicht, als er am Ende den Kreis schließt mit der Stimme einer achtjährigen Japanerin, die nicht versteht, warum ihre Familie den Parisurlaub verlängert und die Erwachsenen sich so komisch benehmen.

Laurent Mauvignier: "Mit leichtem Gepäck"
Deutsch von Annette Lallemand
München, DTV, 2016
416 Seiten, 24 Euro

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