Late-Night-Shows

"Harald Schmidt stand sich selbst im Weg"

Moderation: Dieter Kassel · 13.03.2014
Das Ende einer Ära: Harald Schmidt präsentiert seine letzte Late-Night-Show. Der Radio- und Fernsehmoderator Thomas Koschwitz erklärt, warum das Format in Deutschland nicht funktioniert.
Dieter Kassel: Am 5. Dezember 1995 lief die allererste Harald-Schmidt-Show, damals bei SAT1. Heute Abend läuft die allerletzte, wieder bei einem Sender, dessen Name aus drei Buchstaben besteht und der "S" beginnt, allerdings bei einem anderen, bei Sky. Dort, im Bezahlfernsehen, war Harald Schmidt seit September 2012 zu sehen, heute Abend immerhin braucht man kein Abo - Sky überträgt die Sendung auch frei auf dem eigenen YouTube-Kanal. Wir wollen über das Ende der Harald-Schmidt-Show mit Thomas Koschwitz reden. Der Radio- und Fernsehmoderator hat selbst 1994 und 1995 die RTL-Nachtshow moderiert, war also der Nachfolger von Thomas Gottschalk, der nun wiederum der erste war, der eine Late Night in Deutschland ausprobiert hat. Schönen guten Tag, Herr Koschwitz!
Thomas Koschwitz: Guten Tag!
Kassel: Hat Harald Schmidt eigentlich jetzt knapp 20 Jahre lang bewiesen, dass Late Night im Deutschen Fernsehen funktioniert, oder hat er eigentlich nur bewiesen, dass Harald Schmidt funktioniert?
Koschwitz: Nee, eigentlich hat er bewiesen, dass das geht. Das Schlimme ist, dass Harald Schmidt sich leider selbst im Weg stand und steht. Also, man muss als Late-Nighter leider etwas mitbringen, was wir Deutschen, glaube ich, so nicht haben, nämlich die Arbeitnehmermentalität. Also, man muss wirklich wollen, dass man wie ein Möbel fünf Tage die Woche da rumsteht und seinen Job macht. Das ist manchmal sehr langweilig, und das ist, glaube ich, Harald Schmidts Sache nicht.
Kassel: Es gab ja immer, schon bei Gottschalk, dann auch bei Ihnen und später bei Schmidt diese Frage: Kann man eigentlich mit deutschen Promis so reden, wie das die berühmten amerikanischen Vorbilder tun, Jay Leno, David Letterman und inzwischen auch viele andere, jüngere. Kann man?
"Man muss nur eine deutsche Form des Zusammentreffens finden"
Koschwitz: Ja, na klar kann man! Ich glaube, dass man zwei Dinge voneinander trennen muss. Man muss gucken, dass die Amerikaner eine eigene Tradition haben, Unterhaltung zu machen. Und wir Deutschen haben eine andere. Nichtsdestotrotz wäre es - ich meine, gerade am heutigen Tage, Uli Hoeneß, was wäre das für ein großartiges Thema, auch mal die Frage zu stellen, wieso 20 Millionen von einem Adidas-Freund sinnlos an den gegeben werden, damit er damit zocken kann. Da hätte man doch Themen ohne Ende. Das muss doch behandelt werden. Und das muss man natürlich auch täglich machen, weil die Geschichte geht ja jeden Tag weiter. Man muss nur sozusagen eine deutsche Form des Zusammentreffens finden. Und ich glaube, das ist uns tatsächlich allen nicht gelungen, weil wir alle völlig fasziniert - also mit wir meine ich die Medienmenschen -, völlig fasziniert nach Amerika geguckt haben, wie ein David Letterman mit einer unglaublichen Eleganz und Boshaftigkeit, aber Freundlichkeit gleichzeitig - da durch den Abend führt. Was wir aber in Deutschland genauso bräuchten, wäre eine Plattform. Eine Plattform, auf die dann, wenn sie lange genug existiert, eben auch, was der Traum so manch eines Fernsehdirektors war, dann Frau Merkel käme, um Wahlkampf zu machen. Das brauchen wir. Aber wir haben es halt mit Harald Schmidt dann insofern vergurkt, als dass der dann plötzlich anfing, schwerintellektuell zu werden. Das brauchen wir wiederum nicht.
Kassel: Aber es war ja nicht nur das. Ich hatte so das Gefühl, je kultiger, jetzt nehmen wir mal dieses schlimme Wort, die Harald-Schmidt-Show wurde, desto kürzer wurde auch der Teil, der mit Gästen verbracht wird. Eigentlich war das doch eine Sendung, die dann ein viel stärkeres Augenmerk auf den Standup-Teil legte als die Vorbilder.
Koschwitz: Ja, und damit sind wir dann doch bei der Frage, die Sie gestellt haben, hat nur Harald Schmidt bewiesen, dass er das 20 Jahre kann. Ja, also Standup kann er, und zwar wie kein Zweiter. Das Trauerspiel ist, dass die Kunst der Late Night oder der Idee, dass man sich um was weiß ich, in der Stunde vor Mitternacht zusammensetzt und den Tag Revue passieren lässt, aus mehreren Säulen bestehen könnte, die in der Tat zu tun haben mit einem Rückblick auf den Tag, und der darf boshaft sein, der darf freundlich sein, der darf traurig sein, der darf eigentlich alles sein. Er muss bloß ein Rückblick sein, der dann auch in Gesprächsform mit Prominenten sozusagen fortgesetzt werden darf, dieser Rückblick, und dann eben auch musikalisch. Diese drei Säulen hat Harald nie gesehen, sondern der hat immer nur sich gesehen und seine in der Tat grandiosen Standups.
"Die Amerikaner verstehen es als Entertainment"
Kassel: Nun ist es aber tatsächlich so, um noch mal auf diese Gäste zu kommen, das wurde ja auch viel diskutiert bei Gottschalk und dann bei Ihnen, wie man das machen kann. Wenn man sich das in Amerika mal anguckt, dann wird da ja mit einer - ich weiß nicht, ob das Wort respektlos richtig ist, weil das stimmt nicht. Respekt haben die Moderatoren da schon vor ihren Gästen, aber mit einer unglaublichen Lockerheit auch gemeinsame Comedy auch mit Gästen gemacht. Und da hieß es ja immer, auch schon am Anfang in den 90-ern, das aber geht in Deutschland nicht, weil es kaum Promis gibt, die so was mitspielen.
Koschwitz: Das stimmt nicht. Und es stimmt vor allen Dingen auch ein Hintergrundwissen nicht, was sozusagen in die Abteilung Zaubertricks gehört, nämlich, dass die Amerikaner, wenn sie merken, dass ein Gast da nicht mitspielen könnte, obwohl er wollte, kriegt der seine Gags ja geschrieben. Das heißt, die Amerikaner verstehen an dieser Stelle diesen gesamten Abendauftritt des Gespräches nicht als "wir werden jetzt mal tiefenpsychologisch oder philosophisch", sondern sie verstehen es als Entertainment. Und Entertainment geht im Zweifel dann eben auch nur im geschriebenen Dialog, wenn es nicht anders geht und der Gast nicht mehr hergibt. Das ist das eine, das andere ist - es stimmt übrigens nicht. Ich habe ja eine Zeit lang, und das war eigentlich meine Hochformzeit, die Null-Uhr-Dreißig-Ausgabe der Nachtshow machen dürfen. Null-Uhr-dreißig kriegt man keine Superstars mehr. Da kam wirklich alles von irgendwelchen Hinterwäldlern aus Berlin bis hin zu, was weiß ich, Viva-Moderatoren, die gerade zwei Tage lang auf dem Sender waren. Die waren aber unfassbar lustig, weil die sich präsentieren wollten. Und da ging es auch gar nicht darum, dass sie großartig prominent sind, sondern dass man eine schöne Stunde der unterhaltsamen Tagesrückblickunterhaltung hatte. Und man muss nur Leute hin kriegen in dieses Studio - die dürfen auch übrigens häufiger kommen -, die einfach mal gute Laune verbreiten und schlau sind. Schlau genug, um jedenfalls den Spaß mitzumachen.
Der Moderator Thomas Koschwitz kommt zur Geburtstagsfeier des Radiosenders 104.6 RTL am Freitag (09.09.2011) in Berlin. Der Sender feiert seinen 20. Geburtstag. Foto:
Thomas Koschwitz begann seine Karriere 1975 als jüngster Hörfunk-Nachrichtensprecher beim Hessischen Rundfunk© picture alliance / dpa / Jörg Carstensen
Kassel: Aber ist das mit schlau nicht das Problem? Ich habe oft das Gefühl, wenn man Fernsehen guckt - ein bisschen ist es manchmal auch, wenn man Radio hört in Deutschland -, es gibt ganz viel von beiden Extremen. Es ist zwar Unsinn, wenn immer gesagt wird, da läuft nur Trash. Ich finde, das stimmt nicht. Es gibt natürlich Arte und 3sat und auch noch das eine oder andere Hochintellektuelle spät abends in den Hauptprogrammen, aber es fehlt so ein bisschen das dazwischen, und auf eine gewisse Art und Weise war Harald Schmidt ja auch eine Form von fast schon Hochkultur. Das hat man ja auch daran gemerkt, dass die Feuilletons immer so gerne über ihn geschrieben haben. Fehlt uns nicht irgendwo das Dazwischen, also irgendwas, was hoch unterhaltsam ist, auch nicht allzu anspruchsvoll, aber eben doch auch nicht blöd.
Koschwitz: Das fehlt uns in der Tat, und das hat was zu tun mit Leidenschaft und Herz und all diesen Dingen. Das alles übrigens findet man idiotischerweise, und das nervt mich selber so, bei der Volksmusikabteilung. Da sind ja, man achte nur drauf, dass, ich glaube, in irgendeinem Musikantenstadl plötzlich Larry Hagman auftauchte, als er noch lebte. Da wurde plötzlich nämlich genau dieses Gefühl, man macht zwar Humpa-Pumpa, aber ist trotzdem gut gelaunt, das wurde dorthin transportiert. Das Schwierige ist, dass wir Deutschen, und da neigen wir Medienleute leider auch dazu, das auch sofort in diese Kästchen zu tun. Sie tun es ja auch gerade wieder mit meiner Hilfe, nämlich dass wir sofort unterscheiden und sagen, ja, das wäre ja ganz intelligent, das muss aber dann gleich im späten, Mitternacht, ausgestrahlt werden. Das ist blöde, und das ist nur Titten. Und diese Unterteilung, die funktioniert in Amerika gar nicht. Da darf jemand kommen, der ein Star geworden ist im Verkaufskanal, genauso wie jemand, der ein Star geworden ist in der Oper oder ein Star geworden ist in der Politik oder eben im letzten Film. Und dieses Zusammenführen - ich versuche das im Radio, aber im Fernsehen ist es bis heute leider tabu, weil jemand den Spaß auch nicht hat, diese Leute und diese Welten zusammenzuführen.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur heute Nachmittag mit Thomas Koschwitz über die allerletzte - na ja gut, so heißt es im Moment -, die wahrscheinlich allerletzte Harald-Schmidt-Show im Fernsehen. Was sagt denn das jetzt alles über das Fernsehen? Man muss doch mal, Herr Koschwitz, auch ehrlich bleiben, Superquoten hat Schmidt ja eigentlich nie eingefahren, bei keinem seiner Sender. Es gab mal eine Phase bei SAT.1, da war es, sagen wir mal, sehr ordentlich für diese Tageszeit, aber das war eine relativ kurze Phase. Das heißt, selbst ein Privatsender wie SAT.1, der ja logischerweise von Werbung leben muss, hatte mal den Mut, die Sendung zu machen, obwohl sie keine Kuh ist, die man total gut melken kann. Wenn den Mut heute keiner mehr hat - was sagt das über das Fernsehen?
Koschwitz: Das sagt was ganz Grauenhaftes, sowohl beim Fernsehen als auch beim Radio. Und zwar brauchen wir da gar nicht nur auf die Privaten zu gucken, sondern auch leider beim Öffentlich-Rechtlichen. Es fehlen diese Menschen, und zwar wohlgemerkt in den Management- und Entscheidungsetagen, die die Laune haben und das breite Kreuz, Sachen zu entwickeln. Woher kommt das? Es kommt leider von einer grausamen Geschichte, die wir eigentlich nur als kleines Steuerungsinstrument haben wollten für die Werbeindustrie, nämlich der Quote. Die ist aus meiner Sicht der Untergang von allem. Warum? Weil jeder Mensch natürlich auf Zahlen gucken kann und sagen kann, oh, das war aber gestern besser, und heute ist es schlechter. Kein Mensch aber macht sich mehr die Mühe zu gucken, wie war es denn inhaltlich. Und solange wir die Diskussion nur noch darüber führen, dass etwas erfolgreich ist, was hohe Zahlen hat, können wir die gesamte Nummer beerdigen.
"Es gibt zwei Einschnitte, die Harald nicht hätte machen dürfen"
Kassel: Wenn heute Abend Harald Schmidt läuft - ich nehme an, dass Sie, wenn Sie es zeitlich schaffen, live oder später sich das angucken werden -, sehen Sie das dann nur mit einem weinenden Auge und auch einem lachenden, weil sie sagen, das ist jetzt aber vernünftig, dass er jetzt aufhört, oder sagen Sie, an sich hätte er die Kraft haben müssen, jetzt noch weiterzumachen.
Koschwitz: Nein, ich neige nicht mehr zu Tränen beim Fernsehen, das habe ich mir lange abgewöhnt, obwohl, man müsste es ab und zu mal wieder tun, um Gefühle zu haben. Aber ich habe eigentlich schon eigentlich das Tränenprogramm an. Denn es ist natürlich ganz furchtbar. Es gibt zwei Einschnitte, die Harald aus meiner Sicht nicht hätte machen dürfen, aber Privatleben und Leben ist das eine, und Beruf und Karriere ist das andere - er hätte zum Beispiel auch dieses eine Jahr nicht auf Weltreise fahren dürfen aus meiner Sicht. Wenn du so eine geile Show hast, die so funktioniert, dann geht man da nicht raus. Aber er ist ein Jahr rausgegangen, dann ist er woanders hingegangen, nämlich zur ARD, dann ist er wieder zu SAT.1, dann ist er zu Sky. Das darf man nicht tun mit solch einer Sendung.
Kassel: Das klingt ein bisschen so, als unterstellten Sie ihm, er sei auch an seiner eigenen Arroganz gescheitert.
Koschwitz: Nee, Arroganz ist das gar nicht, sondern der hat natürlich, und das verstehe ich auch - wir sind ja nicht alle nur eine Person, sondern wir haben ja mehrere Rollen in uns drin -, der hat auch einfach Lust gehabt - jetzt habe ich genug Kohle -, mal die Welt zu sehen. Das verstehe ich ja. Das Traurige ist nur, dass wir, wenn wir uns sozusagen auf die Bühne dieses Hochamtes der nächtlichen Unterhaltung begeben, dann muss man wissen, dass das einen Preis erfordert, so wie es einen Preis erfordert, wenn man Bundeskanzlerin wird - da darfst du einfach nicht bestechlich sein. Und als Moderator von so einer Sendung darfst du halt nix anderes machen als das. Das ist blöde, ist aber so.
Kassel: Ist damit jetzt eigentlich - wir haben uns ja ein bisschen drauf geeinigt, Harald Schmidt ist Harald Schmidt und vielleicht nicht das Beispiel überhaupt für Late-Night. Aber ist eigentlich der Late-Night-Zug endgültig abgefahren im deutschen Fernsehen oder haben Sie die ernsthafte Hoffnung, dass irgendjemand es mit irgendjemandem noch mal probiert?
Koschwitz: Ach, es gibt ja so Pflänzchen am Rande der Veranstaltungen. Wo ich große Hoffnungen hege - der hat es allerdings schon mit Verve abgesagt, ist Oliver Welke, der ja nun freitags Großes leistet im ZDF mit seiner Sendung. Und das Vorbildformat in Amerika ist dann später täglich ausgestrahlt worden. Das hätte, und er auch, übrigens, das Zeug zu einer ordentlichen Late Night.
Kassel: Thomas Koschwitz über Oliver Welke, vor allen Dingen aber über das Ende der Harald-Schmidt-Show, deren allerletzte Ausgabe ist heute Abend um 22:15 bei Sky zu sehen. Und für alle, die kein Sky-Abo haben, also für 99 Prozent der Bevölkerung, ist das Ganze auch frei, live und auch später noch nachzusehen auf dem YouTube-Channel von Sky.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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