"Lassen wir doch die Diskussion erst mal zu"

07.06.2010
Der sächsische FDP-Landeschef Holger Zastrow hält beide Kandidaten für das Bundespräsidentenamt, Christian Wulff und Joachim Gauck, für respektabel. Es sei nicht notwendig, sich jetzt "holterdiepolter" für einen der Bewerber zu entscheiden.
Jörg Degenhardt: Die Zeitungen sind voll davon in diesen Tagen, sie könnten das jüngste Präsidentenpaar werden, das es gab in Deutschland, die Wulffs nämlich. Er sei CDU pur, heißt es hier, und sie war alleinerziehend und habe ein Tattoo, ist dort zu lesen.

Auf der anderen Seite der Gegenkandidat Joachim Gauck, der Ostdeutsche, dem bis weit hinein ins schwarz-gelbe Regierungslager Respekt und Sympathie entgegengebracht werden, und bei den Bürgern kommt der ehemalige Bürgerrechtler sowieso gut an.

Nun werden am 30. Juni bekanntlich keine Präsidentenpaare gewählt, und ob am Ende wirklich der Koalitionsfavorit triumphiert, ist noch gar nicht ausgemacht. Und das liegt auch an einem Mann wie Holger Zastrow. Er ist der FDP-Chef im Freistaat Sachsen. Guten Morgen, Herr Zastrow!

Holger Zastrow: Guten Morgen, Herr Degenhardt!

Degenhardt: Sie haben bereits gesagt, es gäbe – Zitat – "keinen Blankoscheck" für Wulff. Wollten Sie die in Berlin ein bisschen ärgern, vor allem Ihre Parteiführung, oder missfällt Ihnen wirklich so viel an Herrn Wulff?

Zastrow: Ja ich glaube, zunächst mal muss man sagen, dass es zwei sehr respektable Kandidaten gibt, die auch beide natürlich in der Lage sind, das höchste Staatsamt hervorragend auszufüllen. Aber wir müssen zwar schnell entscheiden, aber wir müssen nicht holterdipolter entscheiden. Wir haben noch genug Zeit, um auch uns intensiv mit den Kandidaturen auseinanderzusetzen, und beide haben es auch verdient, dass man sich damit auseinandersetzt. Und das werden wir jetzt tun.

Wir haben im Landtag als Landtagsfraktion entschieden, dass wir keinen Blankoscheck ausstellen, sondern dass wir erst mal unsere Parteigremien befragen wollen, unsere Kreisvorsitzenden, unsere Bürgermeister, das machen wir diese Woche, und dann sehen wir mal weiter. Diese Diskussion gehört auch zu Demokratie.

Degenhardt: Hat sich Ihre Parteispitze in Berlin die ... möglicherweise zu schnell auf Wulff festgelegt?

Zastrow: Ja das, für mich kam das auch ein bisschen überraschend, dass es dann doch so schnell ging, noch dazu wo ich diese Hektik auch gar nicht verstehen kann. Uns hat der Rücktritt von Horst Köhler natürlich alle überrascht, aber es ist eben noch Zeit.

In Sachsen wählen wir die Wahlmänner erst am 16. 6., und man kann schon eine Diskussion führen. Ich denke, dass dieses hohe Amt es eben auch verdient hat, diese Diskussion zu führen, noch dazu, wo es so zwei spannende Kandidaten gibt. Und eines muss man eben auch in der FDP in Berlin verstehen: Christian Wulff ist ein Mann, den ich mir sehr gut in dem Amt vorstellen kann, aber mit Joachim Gauck ist jemand in das Rennen gestiegen, der gerade für uns hier in Ostdeutschland natürlich eine wichtige Rolle spielt. Er ist eine der zentralen Identifikationsfiguren der friedlichen Revolution von 1989, er steht für den demokratischen Wiederaufbau Ostdeutschlands wie kaum ein Zweiter. Und dass uns das bewegt hier in Sachsen, das kann sich ja jeder vorstellen.

Degenhardt: Das ist sicher gut und schön, werden Sie aber nicht letztendlich für Wulff stimmen müssen? Oder wie viel Abweichlertum kann sich die schwarz-gelbe Koalition in Berlin leisten?

Zastrow: Ja, es ist schwierig zu sagen. Wir haben zunächst mal natürlich ein Bündnis mit Schwarz-Gelb, sowohl hier im Land als auch im Bund, das ist ganz klar. Aber ich glaube, dass das Amt des Bundespräsidenten was anderes ist, das sollte man nicht parteipolitischen Überlegungen opfern, sondern wir suchen ja eine Persönlichkeit, der auch als moralische Instanz dieses Land mitführen kann, der als Ratgeber dieses Land mitführen kann.

Und ich glaube, da sollte man ab und zu auch mal beiseite lassen, zu welcher Partei der eine oder andere gehört, sondern wirklich hören, was ist das Beste für Deutschland. Und dann kommt dazu, wir haben aus Sachsen sieben Wahlmänner, drei vom Land, vier vom Bund, und jeder muss nach seinem Gewissen abstimmen, und jeder muss auch von der Wahl überzeugt sein. Es gibt gute Gründe, die für beide Kandidaten stimmen, und lassen wir doch die Diskussion erst mal zu!

Degenhardt: Sollten wir dann den Bundespräsidenten nicht gleich lieber vom Volk wählen lassen?

Zastrow: Ja, das halte ich sowieso für eine gute Idee, wir als FDP haben das ja auch über die Jahre hinweg gefordert und ich denke auch, das wäre ein Stück ein ... das wäre ein Gewinn für die Demokratie, wenn man das machen würde. Die Direktwahl des Bundespräsidenten wäre etwas, was glaube ich von der Bevölkerung gut angenommen würde. Allerdings ist es so, diesmal wird es auf keinen Fall funktionieren, denn diesmal müssen wir schnell entscheiden, und da kommt es noch nicht infrage. Aber grundsätzlich bin ich Anhänger dieser Idee.

Degenhardt: Was ist nun, wenn Wulff am 30. Juni nicht gewinnen sollte? Ist dann die Koalition in Berlin infrage gestellt?

Zastrow: Das kann ich mir nicht vorstellen. Wenn ich den Worten unserer höchsten Repräsentanten Glauben schenken darf. Denn das Amt des Bundespräsidenten ist eben etwas, was man nicht tagespolitischen Überlegungen opfern darf, das steht über den Dingen. Das war schon bei Horst Köhler so, das war bei allen Bundespräsidenten so oder sollte zumindestens so sein, und deswegen würde ich das nicht so gern verknüpfen wollen.

Aber man muss auch ganz klar sagen: Es gibt zwei Kandidaten, beide Kandidaten legen viel in die Waagschale, und ich habe auch große Sympathien für Christian Wulff, das will ich klar sagen. Er wäre jemand, der für ein erfolgreiches schwarz-gelbes Politikmodell steht, und vielleicht könnte er auch der Bundesregierung ja mal so einen kleinen Impuls geben und zeigen, dass es mit Schwarz-Gelb doch gut vorangeht.

Degenhardt: Wenn Sie sich die derzeitige politische Gemengelage in Deutschland betrachten auch vor dem Hintergrund der Spardiskussion, die läuft, die Sparklausur, im Bundeskanzleramt geht ja heute weiter, sehen Sie dann eigentlich auch wie Herr Gauck eine Diskrepanz zwischen Regierung und Regierten?

Zastrow: Ach das ist ja nichts Neues, das haben wir, seit vielen Jahren müssen wir das schon beobachten, dass es diese Diskrepanz sicherlich gibt. Ich glaube, dass die Diskussion aber auch nicht so richtig weiterhilft, denn es ist eine schwere Zeit, gerade jetzt, gerade jetzt wo eben auch unangenehme Entscheidungen getroffen werden.

Man muss eben sagen, die Vorgängerregierung (und daran war die FDP ja nicht beteiligt) haben in Zeiten des Aufschwungs eben die Weichenstellung nicht richtig gestellt, man hat, obwohl man über, sich über Rekordsteuereinnahmen auf allen Ebenen gefreut hat, den Staat nicht umgebaut, man hat die Weichenstellung nicht auf Sparen gesetzt und hat die notwendigen Schritte nicht gemacht. Das baden wir heute aus.

Das ist unpopulär, das ist unangenehm, der Widerstand wird sicherlich noch größer werden. Aber wir müssen das tun, wir müssen es halt nur besser erklären, weil ich glaube, dass alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland wissen, dass es so wie bisher nicht weitergeht, und die allerallermeisten auch Verständnis dafür haben, dass wir unser Land umbauen müssen.

Degenhardt: Jetzt klingen Sie wieder ein bisschen wie Ihr Vorsitzender, wie Guido Westerwelle.

Zastrow: Ja so groß ist der Unterschied ja auch nicht.

Degenhardt: Holger Zastrow, der FDP-Chef in Sachsen, war das zum Streit um den besseren Bundespräsidenten. Vielen Dank für das Gespräch!

Zastrow: Dankeschön!