Lange Nacht der Religionen

Offene Kirchen, Moscheen, Synagogen und Tempel

Fünf Symbole stehen auf dem Friedhof Gerliswil, Gemeinde Emmen, für die Weltreligionen Judentum, Christentum, Hinduismus, Islam und Buddhismus, von links
Fünf Symbole stehen auf dem Friedhof Gerliswil, Gemeinde Emmen, für die Weltreligionen Judentum, Christentum, Hinduismus, Islam und Buddhismus, von links © picture alliance/dpa/Keystone/Urs Fueller
Von Antje Stiebitz · 23.08.2015
Es begann als exotisches Experiment und ist nun etabliert: die lange Nacht der Religionen. Eine Nacht also, in der sich die Türen der Glaubensgemeinschaften öffnen - eine Feier der Vielfalt des Glaubens.
Aus einem Beutel fallen 26 Runensteine auf den Esstisch. Mit ihrer Hand streicht Patricia Wulle die Steine auseinander, damit man die Runenzeichen besser erkennen kann:
"Die Runen, manche nehmen sie für Divination, aber ich mag es nicht, sie zu einem Zirkusrummel zu machen. Aber die Runen können einem sehr helfen, zu sehen, was man in seinem Leben ein bisschen aufpassen muss."
Eine schwarze Katze huscht über den Parkettboden, als wolle sie ein gängiges Klischee über Hexen bestätigen: Denn in diesem Wohnzimmer im Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg sitzen vier Anhänger des modernen Heidentums, auch Pagane genannt. Alle lauschen einem Lied zu Ehren der Göttin Frija.
Die kleine Gruppe gehört dem Zusammenschluss „Pagane Wege und Gemeinschaften" an: darin sind germanische und keltische Glaubensrichtungen, Schamanismus, Hexen und Druiden vertreten. Viele von ihnen verehren die nordische Götterwelt und die Natur als Quelle des Lebens.
An die Öffentlichkeit gehen sie selten, doch dieses Jahr präsentieren sich die modernen Heiden bei der Langen Nacht der Religionen in Berlin. Am 29. August werden sie sich neben 90 jüdischen, islamischen, buddhistischen, hinduistischen und christlichen Gruppen als ein Teil des religiösen Lebens in Berlin vorstellen. Das Nebeneinander von Göttern, erklärt der Druide Björn Wertheimer, gehöre ohnehin zum Paganismus:
"Bei einem pantheistischen Glaubenskonstrukt, wo es sowieso schon hundert Götter gibt, ist es weitaus einfacher, den hundertersten noch zu integrieren als in einem monotheistischen System."
Nicht alle Heiden sind begeistert
Der Initiativkreis der Langen Nacht der Religionen habe die Paganen mit offenen Armen empfangen, erinnert sich Gudrun Pannier. Allerdings seien nicht alle Heiden begeistert, mit Christen zusammen zu arbeiten, weil sie die Zwangschristianisierung noch im Hinterkopf hätten. Doch irgendwann müsse man diesen Mist eben vergessen, vertritt die Pagane energisch. Genauso vehement spricht sie sich gegen den Vorwurf des Völkischen aus, der oft gegen heidnische Gruppen erhoben wird:
"Das ist eine kleine Minderheit von Radikalen, deswegen müssen wir mit an die Öffentlichkeit, das ist ein Grund, weil die Radikalen stärker ins Gewicht fallen. Genauso wie der IS nicht der Islam ist, und der Ku-Klux-Klan ist nicht das Christentum, so sind auch irgendwelche völkischen Heiden nicht das Heidentum."
Dass die Paganen dieses Jahr bei der Langen Nacht der Religionen mitmachen können, verdanken sie dem Politologen Thomas Schimmel. Er koordiniert den Initiativkreis der Langen Nacht der Religionen und leitet gleichzeitig die franziskanische Initiative 1219 für Religions- und Kulturdialog, die sich in der Tradition des Franz von Assisi sieht. Thomas Schimmel:
"Dieser Name bezieht sich auf das Jahr 1219. In diesem Jahr ist der heilige Franz von Assisi nach Ägypten gereist, ins Nildelta, um den Sultan zu treffen, das geistliche und politische Oberhaupt der Muslime. Und er wollte mit dieser Reise nach Ägypten den fünften Kreuzzug beenden."
Diese Reise gilt den Franziskanern als Vorbild, um den Dialog mit anderen Religionen zu fördern, etwa durch die Unterstützung der Langen Nacht. Der Politologe Thomas Schimmel erklärt, warum das so wichtig ist:
"Unsere Stadtgesellschaft wird immer pluraler, es leben in unserer Stadt Menschen aus vielen Nationen, Menschen mit vielen Weltanschauungen und religiösen Anschauungen und für den Zusammenhalt einer Gesellschaft ist es wichtig, dass man miteinander redet und sich kennt."
Der Politologe sieht den interreligiösen Dialog noch in den Kinderschuhen. Die Mehrheitsgesellschaft müsse interessierter auf Andersgläubige zugehen und die nicht-christlichen Gruppen dürften sich nicht abschotten, fordert er:
"Wir sind im Moment in der Phase, wo wir die Religionen kennenlernen. (...) Und jetzt müssen wir anfangen, uns über die anderen zu informieren."
Mehr als 90 weltanschauliche Gruppen stellen sich vor
Das Programmheft der vierten Langen Nacht der Religionen in Berlin ist kleinformatig, aber 146 Seiten stark. Der Leser findet darin 91 Kurzporträts weltanschaulicher Gruppen von A wie Adventgemeinde bis Z wie Zen Zentrum. Und alle laden interessierte Besucher zu unzähligen Besichtigungen, Vorträgen und musikalischen Darbietungen ein.
Durch einen Konferenzraum der Alevitischen Gemeinde in Berlin-Kreuzberg flirren die Töne einer türkischen Langhalslaute, Baglama oder Saz genannt. Cagdas Aslan ist in sein Instrument versunken. Er ist Zakir, ein musikalischer Spezialist, der durch sein Spiel und seinen Gesang Gott herbeiruft.
Die Baglama, erklärt Generalsekretär Kadir Sahin, sei ein Koran mit klingenden Saiten. Das Instrument und die Lieder ihrer Dichter transportierten seit vielen Jahrhunderten die Geschichte und das religös-kulturelle Verständnis der Aleviten.
"Also die Musik spielt eine zentrale Rolle im Alevitentum, (...) ist essentieller Bestandteil unseres Gottesdienstes. Ein alevitischer Gottesdienst ohne Musik ist unvorstellbar und auch nicht machbar, nicht zu praktizieren."
Deshalb hat die alevitische Gemeinde für die Lange Nacht der Religionen eine Einführung in ihre Musik angekündigt, bei der auch Cagdas Aslan mit seiner Baglama dabei sein wird. Der 27-Jährige spielt das Instrument seit rund 12 Jahren. Als Kind, erinnert er sich, habe er oft mit seinen Eltern und seinem Onkel zusammengesessen und zugehört, wie sie die alten Lieder spielten. Seine Augen glänzen, wenn er über die Musik und seine Aufgabe als Zakir spricht. Er ist kein Geistlicher, trotzdem hat er in der Cem-Zeremonie, einer Art alevitischer Gottesdienst, eine entscheidende Rolle inne.
"Es ist für mich eine Ehre, da vorne zu sitzen, es ist wirklich was Tolles, und du siehst halt, dass den Leuten die Musik gefällt. Das klingt vielleicht komisch, aber es ist ein gutes Gefühl, wenn man die Leute mit der Musik berühren kann."
MEHR INFOS:
Das Programm der Langen Nacht der Religionen in Berlin am 29. August 2015
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