Landwirtschaft

Was für Tomaten aus Thüringen spricht

Tomatenpflanzen im Gewächshaus im thüringischen Schkölen
Tomatenpflanzen im Gewächshaus: Die Erntesaison in Thüringen hat begonnen. © Gemüseproduktion Schkölen GmbH
Von Annegret Faber · 21.03.2017
Langer Transportweg und Wassermangel vor Ort: Es gibt so einiges, was gegen die Produktion des Lieblingsgemüses der Deutschen in Spanien spricht. In einem Gewächshaus in Thüringen hat jetzt die diesjährige Tomatenernte begonnen – unsere Autorin war zum Geschmackstest vor Ort.
"Wir laufen da einmal rüber, das ist die Desinfektion."
Wer in das Tomatengewächshaus möchte, muss sich desinfizieren. Tomatenpflanzen sind empfindlich. Bakterien, Viren können ihnen zusetzen. Krankheiten verursachen und das würde den Ertrag mindern. Also gibt es strenge Vorschriften.
"Können sie sich noch die Hände desinfizieren…"
Ist alles erledigt, rollt sich per Knopfdruck ein breites Tor nach oben auf und wir blicken in ein riesen Gewächshaus. Fast neun Hektar ist es groß. 320 Meter lang, 260 Meter breit.
Thomas Henniger: "Wir sehen ein Meer von Tomatenpflanzen, oder wir können es auch als Hecke bezeichnen. Ja, die Tomaten stehen, wie man sieht, bei uns nicht im Boden, die stehen 70 cm da drüber, schweben quasi über den Dingen."
Thomas Henniger, 35 Jahre, Betriebsleiter, ist für alle Pflanzen zuständig. Insgesamt sind es 320.000:
"Stehen in einem Substrat, das ist Steinwolle. Steinwolle kann man sich so vorstellen wie gemahlener Stein, kann gut Wasser speichern und auch Nährstoffe, es kommt genug Sauerstoff an die Wurzeln und die freuen sich."

Steinwolle in viereckigen Plastikkissen

Die Steinwolle ist in viereckigen Plastikkissen verpackt und aus denen wachsen die Tomatenpflanzen. Alle 30 Zentimeter eine. Im Januar wurden sie gepflanzt. Jetzt sind sie zwei Meter hoch:
"Wichtig bei so einem modernen Betrieb in der Größe, ist alles voll automatisch."
Fast alles jedenfalls. Jede Pflanze wird einzeln über einen dünnen Schlauch bewässert. Alles gesteuert durch einen Computer. Der registriert Temperatur, Sonneneinstrahlung, Luftfeuchtigkeit. Zwischen den Reihen fahren Erntewagen und Hebebühnen auf runden Metallschienen. Die sind hohl und dienen gleichzeitig als Heizung:
"Wir haben unser Biomasseheizkraftwerk das versorgt uns ausreichend mit Wärme."

Wärmeverbrauch einer Kleinstadt

Das Biomassekraftwerk steht in Sichtweite zum Gewächshaus und liefert jedes Jahr 30 000 Megawattstunden. Das entspricht dem Verbrauch von 10.000 privaten Haushalten. Gewonnen wird die Wärme aus Holzhackschnitzeln:
"Hauptsächlich aus der Harz Region, Sachsen Anhalt Forst, da kommt das meiste her."
20 Grad sind momentan im Gewächshaus. Die Mitarbeiter tragen Sommerkleidung. 110 sind es zu Spitzenzeiten, davon zwei Drittel Saisonarbeiter aus Polen und Bulgarien. Letzte Woche hat die Ernte begonnen. Thomas Henniger pflückt eine der Tomaten und bietet sie mir an:
"Sie können gerne eine kosten. Sind auch garantiert frei von Pflanzenschutzmitteln, oder anderen Dingen, die können sie so essen wie sie ist, da ist nichts dran als, ich wollte gerade sagen Luft und Liebe."
Die Gewächshausanlage im thüringischen Schkölen aus der Luft fotografiert.
Die Gewächshausanlage aus der Luft© Gemüseproduktion Schkölen GmbH
Auf Pflanzenschutzmittel will Thomas Henniger weitestgehend verzichten.

Nutzinsekten statt Pestizide

Stattdessen setzt er Nutzinsekten ein, Raubwanzen, Schlupfwespen, Raubmilben:
"Schädlinge wie Blattläuse oder weiße Fliegen oder Spinnmilben, wenn die im Sommer reinkommen ins Gewächshaus, sind unsere Nützlinge schon da und werden die gleich, ja, attackieren."
Auch die Bestäubung übernehmen Insekten. Für diesen Zweck kauft Thomas Henniger in einer Erntesaison bis zu 450 Hummelvölker:
"Die Hummel ist die ganz normale Erdhummel, die hat auch jeder im Garten fliegen."
Sagt er und beobachtet, wie sich eine auf seinen Schuh setzt.
Annegret Faber: "So okay, wir können die ja mitnehmen, die Hummel. Zu den Kisten, da vorne. Da stehen schon Kisten mit ganz vielen Tomaten."
Thomas Henniger: "Ja sie sehen auch die Farbe in der wir ernten ist mindestens dunkelorange bis rot. Damit die auch ihren vollen Geschmack entfaltet haben."
Annegret Faber: "Wie würden sie den Geschmack dieser Sorte beschreiben?"
Thomas Henniger: "Also das ist die Sorte Solarino und vom Geschmack her ist sie knackig süß mit einer abgerundeten Note die so ein bisschen an Honig erinnert."
Die Thüringer Tomate schmeckt tatsächlich sehr aromatisch und süß. Spanische könnten nie so gut schmecken. Denn die müssen noch fast grün geerntet werden und das beeinflusse den Geschmack sehr stark, erklärt mir der Betriebsleiter auf dem Weg zurück ins Büro.

Die Transportwege sind kurz

Im Büro, gleich neben der Halle, wartet Dr. Lukas Scholz. Er ist 33 Jahre, Geschäftsleiter und Prokurist der Gemüseproduktion Schkölen GmbH:
"Wir müssen nicht die Ware mit LKW von Spanien nach Deutschland fahren, haben also den Vorteil, erntefrische Ware anbieten zu können und CO2-Emission zu minimieren, dadurch, dass wir die Transportwege so kurz wie möglich halten."
Lukas Scholz liefert nur innerhalb Deutschland aus. Nachhaltigkeit wird hier groß geschrieben. Geschlossene Kreisläufe unterstreicht Lukas Scholz. Nicht nur bei der Wärme, auch beim Wasser will er das einhalten:
"Wir nutzen zum einen Regenwasser, was wir auffangen über die Dachflächen und das Regenwasser wird gespeichert über die großen Wasserauffangbecken und die anderen Teile führen wir über städtisches Leitungswasser zu."

Vier Monate Winterpause

75 Prozent des Gießwassers sind Regenwasser. Ein weiterer Vorteil gegenüber spanischen Plantagen, wo es auch trockene Sommer ganz ohne Regen gibt und die Wasserknappheit verehrende Auswirkungen hat. Doch die heimische Produktion hat einen Nachteil. Im Winter ist Pause. Vier Monate, von November bis März, gibt es keine Tomaten. Die 320 000 Pflanzen kommen dann in die Häckselmaschine:
"Die Pflanzenreste werden der stofflichen Verwertung zugeführt und die werden dann in der Erdenproduktion weiterverwendet, sodass wir da auch einen geschlossenen Kreislauf haben."
3500 Tonnen Tomaten produzieren die Pflanzen von März bis November. Zu Spitzenzeiten 45 Tonnen an einem Tag, das sind volle drei LKW-Ladungen. Eine stattliche Menge und ein wichtiger Beitrag für ein besseres Klima. Denn Tomaten sind das Lieblingsgemüse der Deutschen. Jeder verzehrt im Jahr zehn Kilo. Und die aus Spanien zu holen, ist einfach nicht mehr zeitgemäß.
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