Niedersachsen

Milchbauern in Not

Eine Kuh schaut in einem Stall hinter vier mit Milch gefüllten Flaschen hervor.
Ein Vierteljahr nach dem sogenannten Milchgipfel hat sich die Lage vieler Landwirte weiter verschlechtert. © Karl-Josef Hildenbrand, dpa picture-alliance
Von Alexander Budde und Dietrich Mohaupt · 01.09.2016
Der sogenannte Milchgipfel vor drei Monaten hat den niedersächsischen Milchbauern keine Verbesserung gebracht. Sogar Wasser sei inzwischen teurer als Milch, klagen sie. Mit neuen Produkten und Vertriebswegen kämpfen sie ums Überleben.
Wir sind in Bargstedt, einem kleinen Dorf im Norden Niedersachsens. Das Anwesen von Familie Wohlers liegt am Ortsrand. Um den Hof gruppieren sich Wohnhaus, Lagergebäude, Melkstand. Klaus Wohlers führt die Reporter herum.
Über die Anzahl seiner Kühe im Boxenlaufstall spricht Wohlers nicht so gern – es dürften eher 500 als 50 sein. Doch das Wohl seiner Tiere, versichert er, liege ihm sehr am Herzen.
"Wir wollen möglichst viel Platz für das Einzeltier haben. Wir möchten, dass jedes Tier für sich eine Box hat, dass die in Gruppen untergebracht sind. Licht, Luft, Wasser: das ist, was eine Kuh glücklich macht!"
Seit Tagen brennt die Sonne vom Himmel. Auf einer Wiese gleich neben dem Stall sucht eine Gruppe "Schwarzbunter" Schutz unter den Bäumen. Die sogenannten "Trockensteher" sind Mutterkühe, die in den Wochen vor der Geburt eines neuen Kalbes nicht gemolken werden.
"Die haben ganztägig Weidegang – können sich die Beine vertreten. Die sind im Moment ein bisschen am grasen, die ersten gehen wieder rein, weil sie sich im Schatten wohler fühlen. Jeder sucht sich im Moment sein Plätzchen, wo er es am besten aushält."

Bauern können Preise nicht beeinflussen

Seit mehr als 200 Jahren bewirtschaftet die Familie den Hof auf der Stader Geest. Zunächst als Mischbetrieb mit Getreide und Zuckerrüben. Als Klaus Wohlers 1993 die Geschäfte von seinem Vater übernahm, setzte der Junior um, was ihm vom Bauernverband, von der Politik geraten wurde. Er trimmt seinen so genannten "Fortschrittsbetrieb" auf Leistung.
Milchpackungen für den ausländischen Markt werden am 05.08.2015 am Deutschen Milchkontor (DMK) Standort Zeven (Niedersachsen) über ein Band transportiert. Foto: Carmen Jaspersen/dpa
Milchpackungen für den ausländischen Markt im DMK, aber die Nachfrage sinkt.© picture alliance / dpa / Carmen Jaspersen
Ein gewichtiger Faktor in der Kalkulation: Im April vorigen Jahres schaffte die Europäische Union die Milchquote ab. Das komplizierte Regelwerk hatte das Wachstum zwar nicht unmöglich, aber doch recht kostspielig gemacht. Für das neue Geschäftsmodell musste ein moderner Stall her, am Ortsrand wurden Flächen hinzu gepachtet. Investitionen in Millionenhöhe, deutet Wohlers an.
"Wir haben 2010 uns dazu entschlossen, in die Milchproduktion zu 100 Prozent einzusteigen und haben dann eben dementsprechend die Bauanträge gestellt und haben dann nach und nach viel Geld investiert, um das hier so hinzustellen."
Wohlers liefert seine Milch an den größten Molkereikonzern in Deutschland, das Deutsche Milchkontor, kurz: DMK. Die Molkerei muss ihre Milch loswerden. Sie zieht von den Einnahmen ihre Kosten für Transport, Verpackung und Logistik ab. Am Ende kassiert auch der Handel seine Marge und der Staat die Mehrwertsteuer. Was übrig bleibt, bekommt der Bauer.
Wohlers hat keinerlei Einfluss auf die Preisgestaltung – und zahlt nur noch drauf. Das Problem: Allein in Niedersachsen produzieren die Betriebe mehr Milch, als in ganz Deutschland konsumiert wird. Ein Großteil der Produktion geht deshalb zu Billigst-Preisen in Schwellenländer.

Wegen des Einfuhrstopps entfällt Russland als Absatzmarkt

Als Ursache für den Preisverfall auf dem Weltmarkt gilt neben der zuletzt rasant gestiegenen Produktion in Europa die zeitgleich sinkende Nachfrage aus China. Russland verhängte im Zuge der Sanktionen wegen der Ukraine-Krise seinerseits einen Einfuhrstopp - und fällt derzeit als Absatzmarkt europäischer Betriebe aus.
Im Mai dieses Jahres waren wir schon einmal bei Familie Wohlers zu Gast. Bereits damals – vor einem Vierteljahr – war die Stimmung gedrückt.
"Die Mitarbeiter wollen am Monatsende ihr Geld haben, aber ich als Chef muss mir im Moment Gedanken machen, ob ich Hartz IV beantragen könnte – weil meine Arbeit wird im Moment nicht bezahlt! Vor zwei Jahren waren wir bei 40 Cent - und jetzt gehen wir Richtung 20 Cent oder vielleicht auch darunter! Im Moment ist Milch billiger als Wasser. Und Wasser gibt es doch eigentlich auch genug. Warum können die Wasser teurer verkaufen als Milch?"
Jetzt - drei Monate, diverse politische Krisengipfel und Hilfszusagen über Hunderte Millionen Euro später - ist die Lage nur noch verzweifelter.
Kaum mehr als 20 Cent erhalten Landwirte wie Wohlers im September 2016 noch für ein Kilogramm Milch. Die Kosten für Tierarzt, Futter, laufende Kredite sind höher als der Ertrag. Um die Kosten zu decken, wären Erzeugerpreise von mindestens 35 Cent nötig.
"Im Moment bewegen wir uns jetzt im zweiten Monat schon bei 20,8. Für den jetzigen Monat wissen wir auch, dass wir 20,8 kriegen. So ein Landwirt stirbt still und leise! Wir haben ja kaum Chancen, uns zu wehren! Für uns geht's darum, durchzuhalten und immer noch Hoffnung zu haben, dass es jetzt zum Jahresende dann besser wird."

Milchmarkt ist aus den Fugen

Die Lebensversicherung aufgelöst, die Altersvorsorge geplündert: Wie so viele seiner Berufskollegen lebt Wohlers von der Substanz. Noch hält ihm seine Bank die Treue – aber wie lange noch?
"Liquiditätsrechnung hatten wir vorher schon, wir sind mittlerweile bei einer Wirtschaftlichkeitsberechnung. Ich sage Neudeutsch: Die wollen wissen, wo unser Break-even-Punkt ist – und ob sie uns die Stange halten können oder nicht."
Wohlers pumpt seine Milch in einen Markt, der aus den Fugen geraten ist. Und je mehr Milch hineinkommt, umso tiefer purzelt der Preis.
Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes und Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) nach dem "Milchgipfel" im Bundeslandwirtschaftsministerium, beide an Mikrofonen stehen.
Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes und Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) nach dem "Milchgipfel" © dpa/picture alliance/Maurizio Gambarini
Im Wonnemonat Mai lud Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) zum Krisengipfel. Ein Paket aus kurzfristigen Liquiditätshilfen und Bürgschaften soll die Milchbauern vor dem Ruin bewahren. Die Politik drängt auf eine Branchenlösung: Molkereien und Milchbauern sollen sich befristet auf eine reduzierte Milchmenge einigen. Wer freiwillig weniger liefert, soll dafür einen Ausgleich von rund 14 Cent pro Liter nicht gelieferter Milch bekommen.
Nothilfe angelaufen, Zahlungen auf dem Weg: Wohlers hört die Botschaft – allein ihm fehlt der Glaube:
"Im Moment kommen sie noch nicht bei uns an. Das Neueste ist jetzt die Liefereinschränkung bei 14 Cent Zahlung für nicht gelieferte Milch. Das ist im Moment so ein Bürokratiemonster – sehe ich jedenfalls so. Wir wissen noch gar nicht recht, was auf uns zukommt: Windhund-Verfahren? Wer kann das nachher wirklich beantragen? Und wenn, reden wir davon, dass das Geld dann irgendwann im Januar, Februar, März nächsten Jahres kommen soll. Wenn ich bis dahin durchgehalten habe, kann ich da auch drauf verzichten!"

Nur europäische Lösung möglich

Die Hoffnung stirbt zuletzt – die Anlieferung ist stark zurück gegangen, das wird sich früher oder später auch auf den Preis niederschlagen, sagt Klaus Wohlers.
"Also, ich gehe davon aus, dass wir zum Jahresende irgendwo einen Wechsel kriegen. Ob dann nachher beim Milchpreis vorne die zwei steht oder wir Richtung drei gehen, das wird sich zeigen. Der Markt schlägt jetzt um. Es wird noch eine Zeit dauern.
Ganz entscheidend wird jetzt sein, wie die neuen Kontraktverhandlungen jetzt im Herbst stattfinden. Ob die dann schon wieder langfristig zu schlechteren Konditionen abgeschlossen werden und wir dann wieder ein halbes Jahr irgendwo geknebelt sind – oder ob wir jetzt tatsächlich hinkommen, so dass wir peu à peu den bessern Preis mitnehmen können – und vor allen Dingen , dass der bei uns auf den Höfen ankommt."
Wer Planspiele durchrechnet, sollte gelegentlich über den Rand seiner Milchkanne hinausblicken, ärgert sich Wohlers. Es gebe da halt diese weltoffenen Märkte. Wohlers ist überzeugt: Eine Mengenreduzierung für einen begrenzten Zeitraum ließe sich nur in europaweiter Absprache durchsetzen.
"Wenn wir vor der eigenen Haustür jetzt weniger machen, was angestrebt wird, wir sollen ja freiwillig weniger liefern - ich sehe das so, dass das nicht funktionieren wird! Wir haben europäische Nachbarn, die wollen teilweise mit staatlicher Unterstützung mehr produzieren. Wenn wir uns europäisch nicht einig werden, dann nützt das nichts, wenn wir in Deutschland Alleingänge machen!"

Neue Marke Weidemilch

Von Alleingängen hält auch Hendrik Lübben nichts – er setzt stattdessen auf die besonderen Bedingungen im Nordwesten von Niedersachsen. In Nordenham in der Wesermarsch betrachtet er zufrieden seine Milchkühe, die friedlich unter blauem Himmel auf saftig grünem Gras vor sich hin dösen oder fressen.
Die traditionelle Weidehaltung ist hier in der Region noch überall zu finden, die Bedingungen dafür sind einfach ideal – die Landschaft ist geprägt von diesem Bild, das nicht nur bei Landwirten ganz bestimmte Emotionen transportiert.
"Ich sehe hier 150 Kühe auf einer satten Grünlandfläche, die meisten Kühe liegen – ich sehe die Euter, die schon gut gefüllt sind, denn gleich werden sie reingeholt zum Melken. Dieses Gefühl wollen wir gerne verkaufen – genau das!"
Weidemilch – das soll in Niedersachsen künftig zu einem echten Markenbegriff werden. Bereits seit 2014 fördert das Land den Schutz von Grünland mit einem speziellen Weidemilchprogramm – jetzt soll es endlich für die auf solchen Flächen produzierte Milch ein eigenes Label geben, mit klar geregelten Kriterien. Vertreter aus der Landwirtschaft, von Umweltverbänden, dem Handel und den Molkereien haben gerade den nächsten Schritt in diese Richtung unternommen, erläutert Niedersachsens grüner Agrarminister Christian Meyer.
"Wir haben eine öffentliche Charta gemacht, in der die Kriterien drinstehen, die genau sagen: Wie viele Tage müssen die Kühe mindestens real auf der Weide sein, damit es eine Weidemilch ist – dass kein gentechnisch verändertes Futter verwendet wird, da hat der Handel drauf bestanden.
Das heißt, wer ab nächstem Jahr ein niedersächsisches Weidemilchsiegel hat, da muss klar sein, dass da die Kriterien erfüllt sind, dass die erstens draußen weiden können, dass die auch frisches Gras haben. Also nicht nur rumstehen, sondern sich auch wirklich überwiegend dann auf der Weide auch ernähren, und nicht nur eine Grünlandwirtschaft ist – die Kühe stehen im Stall und kriegen ein bisschen Gras ab und zu – aus meiner Sicht wäre das eine Mogelpackung!"

Preisdumping der Discounter

An mindestens 120 Tagen müssen die Kühe mindestens sechs Stunden auf der Weide sein, kein gentechnisch verändertes Futter – das sind die Kernkriterien für das Weidemilchsiegel. Der damit verbundene zusätzliche Arbeitsaufwand müsse sich natürlich für die Landwirte lohnen, betont Bauer Lübben.
"Wir haben gesagt, wenn dieses Label entsteht und diese Weidemilch wird darunter vermarktet, dann wollen wir Milcherzeuger fünf Cent mehr dafür haben. Das ist realistisch."
Ein Kuh steht am 15.06.2015 auf einer Weide bei Wunstorf in der Region Hannover.
Durch den Milchpreisverfall setzen manche Milchbauern jetzt auf Weidemilch© picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte
Fünf Cent mehr – für die Bauern wohlgemerkt! Das heißt eigentlich, dass eine solche Weidemilch im Laden auf keinen Fall zu Niedrigstpreisen angeboten werden kann.
Und doch geschieht genau das – bei gewissen Discountern zum Beispiel, kritisiert Hendrik Lübben.
"Lidl hat jetzt angefangen, Weidemilch zu vermarkten für 43 Cent – das ist Dumping sondergleichen! Und sie haben trotzdem zugesagt, dass sie uns dann zusätzlich noch einen Mehrpreis zahlen wollen. Ob dieser Preis bei uns ankommt, kann ich mir im Moment nicht vorstellen."

Ein Drittel der Verbraucher würde mehr zahlen

Auch der Agrarminister ist mit dieser Preispolitik nicht sonderlich glücklich – vor allem weil die Verbraucher augenscheinlich zu mehr bereit wären. In einer Studie der Universität Göttingen hatten im vergangenen Jahr 33 Prozent der Befragten angegeben, sie würden liebend gern Frischmilch aus Weidelandprogrammen kaufen und dafür auch einen höheren Preis zahlen. Es fehle aber das Angebot, betont Meyer:
"Wir sehen in anderen Ländern – in Österreich nennen sie es 'Heumilchprogramme' – in den Niederlanden gibt es schon so ein Weidemilchlabel und 80 Prozent der Milch ist dort schon gekennzeichnet – also, was die Niederländer können, können wir auch, und deshalb hat der Handel gesagt, ja, wir wollen händeringend das machen, und deshalb freue ich mich, dass da Molkereien jetzt mitmachen."
Ende des Jahres soll das norddeutsche Weidemilchlabel endgültig aus der Taufe gehoben werden. Ob sich das dann auch wirklich rentiert, bleibt abzuwarten, sagt Hendrik Lübben. Fakt ist: Solange die Landwirte weiter nur zwischen 20 und 24 Cent pro Liter Milch bekommen, können sie nicht kostendeckend wirtschaften…
"…egal ob Weidewirtschaft oder Stallhaltung oder wie auch immer. Wir machen alle riesige Verluste!"

Direktvermarktung als Lösung?

Niedersachsen ist nach Bayern das wichtigste Milcherzeugerland in Deutschland. Zwischen Nordsee und Harz stehen rund 870.000 Milchkühe. Rund 10.000 landwirtschaftliche Betriebe liefern im Jahr knapp sieben Millionen Tonnen Milch – rund ein Fünftel des bundesdeutschen Bedarfs.
Milchglas mit Münzen
Preisdumping durch Discounter trage auch zum Milchpreisverfall bei, klagen die Bauern.© dpa / Paul Zinken
Hannover, die Landeshauptstadt, Ortsteil Döhren. Dienstags ist Bauernmarkt. Dann stehen die Verkaufswagen von Landwirten aus der Region auf dem Fiedeler Platz. Hier gibt es Käse, Obst und Gemüse vom Biohof, Wurst und Frischfleisch aus der Hofschlachterei – und Milch, Butter, Quark und Sahne von Bauer Banse.
- "Ich hätte gerne zwei Liter Milch, die grüne natürlich."
- "… zweimal 1,5 …
-
"Dann – gibt es noch die große Butter?"
- "Nee, heute nicht mehr!" "
- "Verdammt, dann nehme ich eine kleine…"
- "Als Sauerrahm, ne?"
- "Ja – und dann muss ich was vorbestellen für nächste Woche, zweimal große Butter, und das wär’s!"
Clarissa Beily ist seit dem ersten Tag Stammkundin bei Bauer Banse auf dem Döhrener Bauernmarkt. Sie selbst kommt vom Dorf, wohnt seit ein paar Jahren in Hannover und schätzt es sehr, direkt beim Produzenten einkaufen zu können.
"Also eigentlich steuere ich hier diesen Verkaufsstand seit drei Jahren an, genau, und ich finde es einfach toll, dass man direkt beim Erzeuger kaufen kann, weil man dann weiß, dass das Geld was man dafür bezahlt, direkt in der Tasche landet, wo es erwirtschaftet wird letztendlich."

Artgerechtes Futter und keine Gentechnik

Erwirtschaftet wird dieses Geld in der kleinen Ortschaft Kakerbeck im nordöstlichen Niedersachen, etwa auf halber Strecke zwischen Wolfsburg und Uelzen gelegen. Hier produziert Bauer Joachim Banse, was er auf Wochenmärkten, im eigenen Hofladen und in ein paar Supermärkten der Region direkt vermarktet.
Im Stall stehen 60 Milchkühe, auf einer Wiese hinter dem Wohnhaus laufen ein paar Hühner frei herum, keine romantische Idylle, sondern konventionelle bäuerliche Landwirtschaft, so beschreibt Joachim Banse seinen Betrieb.
"Das ist eine rein bäuerliche Landwirtschaft. Und wir sind auch den Weg gegangen, dass wir sagen, wir füttern komplett gentechnikfrei, und unser Grundfutter ist ein Produkt, das tiergerechter ist, pansengerechter ist für die Kuh."
Als Grundfutter bekommen die Kühe die klassische Mischung aus Gras- und Maissilage – allerdings enthält diese Mischung mehr Rohfaser als üblich.
"Das heißt, wir schneiden unser Gras wesentlich später als meine Kollegen, die wirklich auf Hochleistung arbeiten müssen, um für diese Milchpreise überhaupt noch Milch zu produzieren oder nicht gleich aufzuhören – das machen wir nicht mehr!
Wir haben unsere Leistung um, naja, so mindestens 3.000 Liter im Jahr reduziert, das heißt, so um die zehn Liter am Tag reduziert. Dadurch geht es unseren Tieren besser. Wir machen ein wiederkäugerechteres Futter, als wir es vorher gemacht haben. Und der stärkste Effekt ist, was unsere Kunden bemerken, ist, dass der Milchgeschmack sich verbessert hat – und das ist eben das Pfund, mit dem wir wuchern können."

Quark und Joghurt handgemacht

Die Rechnung geht auf – dabei hat Bauer Banse genau das Gegenteil von dem getan, was vor allem der Bauernverband und viele Politiker zuletzt eigentlich immer empfohlen hatten. Als vor ein paar Jahren der Auszahlungspreis für die Milch bei rund 40 Cent pro Kilo lag, da hat er eben nicht in einen größeren, effizienteren Stall und mehr Kühe mit höherer Milchleistung investiert – sondern angefangen, seine gerade erst aufgebaute Direktvermarktung massiv auszubauen.
"Also, wir haben die Leistung runtergenommen, den Tieren geht es besser, die sehen besser aus, wir haben weniger Stoffwechselprobleme bei den Tieren, die Tierarztkosten gehen gegen Null, und da haben wir den Weg gewählt, weil wir eben nicht für 20 oder 25 Cent produzieren müssen, sondern eben eine andere Kalkulation drin haben."
Und die beginnt schon in der kleinen, hofeigenen Molkerei. Ein alter, umgebauter Stall, alles ist fein säuberlich strahlend weiß gefliest, an den Wänden stehen blitzblanke Edelstahlbottiche in denen die Mitarbeiterinnen – insgesamt fünf an der Zahl – eifrig rühren und mischen. Die gesamte Produktion läuft auf gerade einmal 40 Quadratmetern Grundfläche ab.
"In diesem kleinen Raum machen wir zeitversetzt den Quark, den Joghurt, die Sahne, die Butter, die Milch – es sind keine Rohrleitungen, keine Abfülltechnik zu sehen. Bis auf eine kleine Abfüllpumpe, die wir händisch bedienen, wird alles wirklich von Hand gemacht.
Wir machen den Quark, den Joghurt in Säcken, in Tüchern, lassen die Molke abtropfen – wir fahren das nicht über Separatoren, wo es ausgeschleudert wird, brauchen natürlich wesentlich mehr Rohstoffe für diese Produktionsverfahren, haben aber dadurch ein ganz anderes Produkt."
Ein Milchbauer bereitet eine Kuh zum Melken vor.
Ein Milchbauer bereitet eine Kuh zum Melken vor.© dpa-Bildfunk / Peter Steffen
Im Klartext: Bei der Produktion von Quark und Joghurt muss Bauer Banse etwa doppelt so viel Milch als Rohstoff einsetzen wie die großen, industriell arbeitenden Molkereien. Dazu die angesprochene Handarbeit im Produktionsablauf. Da muss natürlich am Ende auch ein ganz anderer Preis auf dem Produkt stehen, beim Liter Vollmilch zum Beispiel 1,50 Euro. Weniger ist am Ende mehr – aber als Lösung für die grundsätzlichen Probleme am Milchmarkt könne sein Modell natürlich nicht herhalten, betont Joachim Banse.
"Nein, auf keinen Fall! Es ist kein Problem, das wir in Deutschland lösen können, es ist ein weltweites Problem – dem Markt muss man sich stellen. Ich bin einen anderen Weg gegangen, ob der nun letztendlich richtig ist, wird die Zukunft zeigen. Aber – ich kann eben auch nicht für 500 Kühe meine Milch da verarbeiten, und ich kann eben auch nicht diese Mengen dann an den Markt bringen, und deshalb ist das wirklich eine Nische, die wir bedienen, und die ist auch nicht unendlich erweiterbar."

Bauernverband setzt eher auf Markt und Masse

Beschränkung in der Nische – das ist dagegen so gar nicht die Sache von Werner Hilse. Als Präsident des niedersächsischen Landvolks setzt er weiter auf die Selbstheilungskräfte der Märkte. Durchhalten sei jetzt angesagt, betont der mächtige Boss des Landesbauernverbandes. Auch der Branchenprimus DMK sieht erste Anzeichen für eine baldige Entspannung auf dem Milchmarkt: Die produzierte Milchmenge in Deutschland und anderen EU-Ländern gehe bereits leicht zurück.
"Die derzeitige Situation, ein Milchpreis von 20 Cent, pauschal mal so betrachtet für den Landwirt – kein einziger Landwirt kann dafür produzieren, das muss man so sehen. Aber eines ist ganz sicher: Der Markt wird sich anpassen – und das sehen wir zurzeit schon!"
Die Empfehlungen des Bauernverbandes, mit Investitionen in moderne, größere Ställe, mit kontinuierlichem Wachstum also, effizientere Kostenstrukturen zu schaffen, seien sicher nicht grundsätzlich falsch gewesen, meint Werner Hilse. Allerdings habe man möglicherweise die Dynamik und Aufnahmefähigkeit der internationalen Märkte in den vergangenen Jahren nicht ganz richtig eingeschätzt.
"Also was man vielleicht auch in der Vergangenheit noch nicht so wesentlich eingeschätzt hat, das ist eben, mit welcher Geschwindigkeit das passiert. Und das ist ja nicht jetzt alleine ein Problem, das in Deutschland entstanden ist, sondern das ist ein Problem, das weltweit zum Tragen gekommen ist. Und da wir natürlich globale Märkte haben, ist das möglicherweise auch eine Fehleinschätzung gewesen, dass dieser Markt das aufnehmen konnte."

Krise ohne Gewinner

Zurück im Stall. Auf ihrem Hof bei Verden schaut Johanna Böse-Hartje zu, wie ihre Herde von 120 Kühen von der Weide zum Melkstand trottet. Die streitbare Bäuerin spricht auch für den Bundesverband Deutscher Milchviehalter (BDM) und die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Beide Initiativen verstehen sich als Opposition zum Deutschen Bauernverband.
Auch Böse-Hartje denkt eher nachhaltig und in Kreisläufen. Vor einer kleinen Ewigkeit, als die Pachtpreise für Grünland noch erträglich waren, stellte sie ihren Betrieb auf Biomilch um. Sie setzte früh auf einen Markt, der überschaubar ist: Nur zwei bis drei Prozent des in Deutschland produzierten Volumens ist Biomilch, was bereits einen Großteil des heimischen Bedarfs abdeckt.
"Die Biomilch, das hat es noch nie gegeben, dass die sich so abkoppelt vom konventionellen Markt. Wir haben schon noch Auszahlungspreise von 48, 49 Cent pro Kilo Milch. Das ist jetzt noch keine Vollkosten-Deckung, aber es ist so, dass wir unsere Rechnung damit bezahlen können."
In der aktuellen Krise gibt es nur Verlierer, sagt Böse-Hartje. Wohl fünf Mal mehr Milchviehbetriebe als bisher schon werden aufgeben, prophezeit sie düster.
"Wenn ich mich jetzt hier im Ort umgucke, habe ich jetzt schon mal zwei Betriebe, die jetzt schon das Handtuch geschmissen haben. Wir haben auch schon gehört von Banken, die Kredite gegeben haben, so dass der Hektar Land bis zu 70.000 Euro belastet ist – und das ist natürlich ein Preis, den man beim Verkauf des Landes beim besten Willen nicht raus kriegt. Und das wird natürlich für die Banken auch schwierig, das zu rechtfertigen. Es ist ja in der Tat so, dass im Moment fast alle Betriebe, um überhaupt ihren Betrieb am Laufen zu halten, das Geld von der Bank brauchen und das nicht mehr erwirtschaften – und da gibt es jetzt schon die ersten Betriebe, wo die Bank sagt: Ist fertig!"

Kritiker: Liquiditätshilfen ohne Mengenreduzierung sinnlos

Auch Johanna Böse-Hartje bezweifelt, dass Liquiditätshilfen für die bedrängten Landwirte der richtige Ansatz sind. Aus ihrer Sicht müssen europaweit Instrumente geschaffen werden, um die Produktion kontrolliert zurückfahren zu können.
Die Milchmengenquote hat die EU gerade erst abgeschafft – und niemand habe die Absicht, sie wieder einzuführen, betont sie. Doch Hilfsgelder an die Bauern machten nur dann Sinn, wenn alle Betriebe dazu verpflichtet würden, die Produktion auf ihren Höfen zurückzufahren - sonst stocken die einen auf, wo die anderen reduzieren.
"Natürlich ist jeder Cent auf den Höfen willkommen – aber was da jetzt so läuft, das ist einfach falsch! In dem Moment, wo ich nicht gesamt deckele und nur die Bauern, die jetzt ein bisschen reduzieren, Geld kriegen, dann wird das verpuffen. Letztendlich, ein Großteil der europäischen Länder steht hinter der Forderung jetzt eine europaweite Mengenreduzierung durchzuführen. Wir reden da um drei Prozent. Es ist nicht die Welt, die da reduziert werden muss!"
Der Deutsche Bauernverband setzt auf Export und Wachstum. Eine staatlich verordnete Produktionsmenge für Milch lehnt die Bauern-Lobby ab. Auch die Bundesregierung drängt auf eine Branchenlösung, die Betriebe mit großen Herden begünstigt.

Ist die Krise gewollt?

Die Industrialisierung der Branche werde die Kultur im ländlichen Raum dramatisch verändern, mutmaßen Kritiker wie Böse-Hartje düster:
"Die Krise ist gewollt! Wir haben zum Teil schon Betriebe, die komplett von Investoren übernommen werden, und dann geht auch diese nachhaltige Bewirtschaftung verloren. In dem Moment, wo ich dieses Land nur noch als Kapitalanlage sehe, dann ist es mir auch egal, ob da Genmais wächst, dann ist mir egal, ob da Glyphosat gespritzt wird, und dann ist mir auch egal, ob ich da Monokulturen habe."
Profiteure des Preisverfalls sind vor allem die großen Lebensmittelkonzerne. Doch Kritiker wie Böse-Hartje geben den Molkereigenossenschaften eine gehörige Mitschuld an der Misere.
"Aldi ist in der Tat kein Gutmensch, aber letztendlich ist es Aldi und Co. vollkommen egal, was die im Einkauf für ihre Milch zahlen - Hauptsache Edeka und Lidl und wie sie alle heißen zahlen nicht mehr. Und das sind die Molkereien, die die Milch da um jeden Preis verschleudern. Und nur darum können Aldi und Co. es auch so billig, weil sie es so billig kriegen. Die Molkereien müssen es verschleudern, weil sie zu viel haben!"
Genau damit wollen sich viele Landwirte nicht länger abfinden. Anfang der Woche zogen rund 120 aufgebrachte Milchbauern mit ihren Treckern vor die Tore eines Molkereibetriebes der DMK in der kleinen Gemeinde Edewecht bei Oldenburg.

Wut der Bauern auf Lebensmittelkonzerne wächst

Sie sind stinksauer über die seit Monaten viel zu niedrigen Auszahlungspreise. Aus Frust darüber haben bereits Hunderte Bauern ihre Mitgliedschaft in der Genossenschaft auf gekündigt. Mittelfristig könnten der Molkerei damit rund 800 Millionen Liter Milch fehlen. Das wären knapp zehn Prozent der gesamten im Konzern verarbeiteten Menge, meint Ottmar Ilchmann von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft.
"Es ist ein Witz! Die größte – mit Abstand größte Molkerei Deutschlands, hier ist das größte Käse-Werk Europas, hat mit Abstand den schlechtesten Milchpreis in ganz Europa, das muss man sich mal vorstellen. Die können wahrscheinlich auch nicht mehr auszahlen – ich denke mal, die haben ganz gewaltig aufs falsche Pferd gesetzt, auf die Exportorientierung, auf Masse, auf Billigprodukte, keine Marke aufgebaut – und jetzt kriegen leider die Bauern die Quittung!"
Spät in der Nacht wird die Stimmung hitziger: Erst brennen Strohballen vor der Werkseinfahrt, dann wird Milch auf die Zufahrt gekippt, auf der sich hunderte Meter weit die Tanklaster stauen. Am Ende greift die Polizei ein, die Milchbauern ziehen friedlich ab.
Es ist eine Momentaufnahme in einer Krise, die auch drei Monate nach den ersten Milchgipfeln weit entfernt von einer Lösung scheint. Die Proteste werden weitergehen.
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