Landesverrat-Debatte

Geheimschutz im digitalen Zeitalter

Demonstranten protestieren am 1.8.2015 in Berlin gegen den Vorwurf des Landesverrats, der zu Ermittlungen gegen die Journalisten des Blogs netzpolitik.org geführt hat.
Demonstranten kommentieren in Berlin den Vorwurf des Landesverrats, der zu Ermittlungen gegen die Journalisten von netzpolitik.org geführt hat. © dpa / picture alliance / Britta Pedersen
Von Sabine Adler · 07.08.2015
Jeder kann im Intertnet öffentlich in einem Medium Autor sein. Was also ist noch Presse? Wer ist Journalist, Informant, Verräter? Die Affäre um netzpolitik.org offenbare, dass sich die Gesellschaft in etlichen Punkten neu verständigen müsse, kommentiert Sabine Adler.
Generalbundesanwalt Harald Range hat Dresche gekriegt. Dabei wollte er nicht als geprügelter Hund vom Hof schleichen, wie er selbst sagte. Schleichen musste er nicht, im Gegenteil: Seine Beamten- und Richterkollegen in Karlsruhe haben ihn zum Abschied gefeiert.
Dass einer nach einem Rauswurf bejubelt wird, kommt vor. In der Regel dann, wenn sich jede der Konfliktparteien im Recht fühlt. Und in einem anderen den Schuldigen sehen. In Justizminister Heiko Maas zum Beispiel. Man muss auch nach Innenminister Thomas de Mazière fragen und nach dem Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt, vor allem aber doch wohl nach Hans-Georg Maaßen, dem Chef des Bundesverfassungsschutzes. Was sollten die von ihm initiierten Ermittlungen eigentlich zutage fördern? Wirklich Landesverrat? Verrät man die Bundesrepublik Deutschland, wenn man den Haushaltsplan des Bundesverfassungsschutzes veröffentlicht, der mehr Mittel für die Internetüberwachung plante? In Zeiten, in denen Konflikte immer öfter im Netz ausgetragen werden, war das keine Nachricht. Die Mittel nicht aufzustocken, wäre eine gewesen.
Abgesehen vom Inhalt des Dokuments: Wieso ist der ein Landesverräter, der ein Staatsgeheimnis veröffentlicht, und nicht der, der es verrät? Wieso versucht man, Journalisten zu fassen, auch einzuschüchtern, die Dokumente zitieren bzw. ganz abdrucken, und nicht Beamte, die sie aus höchst unterschiedlichen, auch niedrigen Beweggründen durchstechen? Der Rechtsausschuss des Bundestages muss das klären. Auch, wer sagt, wann was zum Staatsgeheimnis wird.
Journalisten dürfen keineswegs befreit werden von der Verantwortung abzuwägen, wann eine Veröffentlichung eines Staatsgeheimnisses tatsächlich nötig ist für den gesellschaftlichen Diskurs und wann sie die Sicherheit des Landes, Menschenleben gefährdet. Die geplante Internetüberwachung des Bundesverfassungsschutzes jedenfalls muss öffentlich debattiert werden.
NSA, NSU: Die Behörden haben versagt
Sowohl Range wie auch Maaßen haben ein gestörtes Verhältnis zu Öffentlichkeit. Ihre Behörden, die Generalbundesanwaltschaft wie der Verfassungsschutz, haben bei der Spionage des amerikanischen NSA und der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds versagt – erst bei der Verhinderung dieser Machenschaften, dann bei ihrer Aufklärung.
Auch das Bundesinnenministerium ist der Öffentlichkeit noch ein paar Antworten schuldig. Warum es die Falschaussage gab, dass man angeblich nicht wusste, dass gegen zwei Journalisten ermittelt werden soll. Obwohl die als einzige namentlich genannt worden sind. Warum dieser Vorgang nicht sofort Alarmstufe Rot ausgelöst hat. Von Justizminister Maas wüsste man gern, warum er erst tätig wurde, als sich ein neues Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats anzubahnen drohte. Maas machte Gebrauch von seinem Weisungsrecht, das darf er. Er hätte es aber auch lassen können, weil es anachronistisch anmutet.
Journalisten sind nicht sakrosankt, doch häufig genug schlägt man mit ihnen den Sack und meint den Esel. Sprich: Wenn Behörden Lecks in den eigenen Reihen suchen, können sie nicht die Justiz einspannen, um an die Informanten zu kommen oder mit dem Vorschlaghammer "Landesverrat" die Veröffentlichung von geheimen Dokumenten abzublocken.
Die Affäre offenbart, dass sich die Gesellschaft in etlichen Punkten neu verständigen muss. Jeder kann im Netz und damit öffentlich in einem Medium Autor sein. Was also ist noch Presse, wer ist Journalist, wer Informant, wer Verräter?
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