Lampedusa-Flüchtlinge

"Die wollen tatsächlich arbeiten"

Monika Herrmann (Bündnis 90 / Die Grünen), Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Kreuzberg
"Sie haben keinen Anspruch auf irgendwas", sagt Monika Herrmann über die Lampedusa-Flüchtlinge. © dpa / picture alliance / Bernd von Jutrczenka
Monika Herrmann im Gespräch mit André Hatting · 19.02.2014
Angesichts zahlreicher Lampedusa-Flüchtlinge in Berlin-Kreuzberg spricht sich Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Bündnis 90/Die Grünen) dafür aus, den Aufenthaltsstatus zu legalisieren. Derzeit seien "alle staatlichen Hilfen im Grunde illegal".
André Hatting: Im Moment sind die Nachrichten voll mit der Krise in der großen Koalition und natürlich den Straßenschlachten in Kiew. Dadurch geraten andere Probleme etwas in den Hintergrund, zum Beispiel das der Flüchtlinge. Täglich kommen neue an, aus Nordafrika, erst gestern sind wieder zwei tot auf einem Flüchtlingsboot gefunden worden vor der italienischen Insel Lampedusa. Die es irgendwie nach Italien schaffen, die reisen weiter, zum Beispiel nach Deutschland.
In Berlin kampieren seit anderthalb Jahren Flüchtlinge auf dem Oranienplatz im Bezirk Kreuzberg und in einer verlassenen Schule. Geduldet, aber nicht unbedingt von allen geliebt. Verena Kemna hat sich die Situation vor Ort mal angesehen.
Verena Kemna über die Zustände in einer von Flüchtlingen besetzten Schule im Berliner Bezirk Kreuzberg. Am Telefon ist jetzt die Bürgermeisterin des Bezirks, Monika Herrmann von Bündnis90/Die Grünen. Guten Morgen, Frau Herrmann!
Monika Herrmann: Einen wunderschönen guten Morgen!
Hatting: Es ist allen klar, diese Zustände können keine Dauerlösung sein – was haben Sie jetzt konkret vor?
Herrmann: Diese Zustände zeigen eigentlich die Situation, in der sich vor allen Dingen auch das Land Berlin befindet, was die Asylfrage und die Flüchtlingsfrage betrifft, nämlich, dass wir im Grunde in Berlin noch kein Konzept haben, wie wir damit umgehen wollen, dass immer mehr Menschen nach Deutschland kommen und vor allen Dingen auch nach Berlin kommen, wo Menschen in Verhältnissen leben, die wir eigentlich nicht gut heißen.
Wir sind da im Moment immer noch relativ allein gelassen, weil wir im Land Berlin keine Alternativunterkunftsmöglichkeiten haben. Es ist ja auch immer wieder gerne diskutiert worden, wir sollen räumen lassen. Das Problem ist allerdings, und das sagen Polizei wie Senatsverwaltung auch, wir können aber keine alternativen Räume, Unterkünfte anbieten. Das ist das Problem, was wir gerade haben.
Hatting: Wäre es ein Anfang, Frau Herrmann, wenn man zumindest die räumt, die da eigentlich nicht hingehören? Denn wenn man sich dort umguckt, in dieser Schule, in der Reichenberger Straße, die Sie angesprochen haben, da sind nämlich nicht nur Flüchtlinge, da sind teilweise Obdachlose, Drogendealer - warum unterscheidet man nicht jetzt ganz klar, du bist Flüchtling, du nicht, du gehörst hier hin, und du nicht?
Herrmann: Es wird immer gerne verkürzt dargestellt. Der zuständige Stadtrat, der da jetzt tätig ist, der hat eine ganze Menge erreicht. Wir haben sicherlich das Problem mit der Obdachlosigkeit. Bei einer so großen Vielfalt von Menschen, die aus unterschiedlichen Bereichen kommen, ist das sicherlich eine große Herausforderung.
Hatting: Die Flüchtlinge kommen aus verschiedenen Ländern, auch aus der EU, Bulgarien zum Beispiel. Aber das größte Problem, das haben Sie ja schon angesprochen, Frau Herrmann, sind die, die über die italienische Mittelmeerinsel Lampedusa eingereist sind. Die haben nämlich keinen Anspruch auf Asyl. Was schlagen Sie für diese Gruppe vor?
Herrmann: Die haben nicht nur keinen Anspruch auf Asyl, das Problem ist, sie haben gar keinen Anspruch auf irgendwas. Das bedeutet, dass alle staatlichen Hilfen im Grunde illegal sind, weil wir das rechtlich nicht machen dürfen. Also keinen Wohnraum zur Verfügung stellen et cetera, et cetera. Das ist Gott sei Dank nicht so, dass wir die alle auf der Straße sitzen lassen müssen.
Wir haben in Deutschland circa 5000 Männer, die aus Libyen gekommen sind über Lampedusa. Da würde ich sagen, gerade, was den Berliner Raum betrifft, aber eben auch in Hamburg sind viele von ihnen untergekommen, dass sich die Bundesländer mit der Bundesregierung zusammen dazu verabreden, tatsächlich eine Aufenthaltsgenehmigung plus Arbeitsgenehmigung vor allen Dingen auch auszusprechen und den Aufenthalt dann auch dadurch zu legalisieren. Weil die Leute wollen hier nicht in irgendwelchen Häusern wohnen, weder in einer Schule noch in einem originären Flüchtlingsheim unterkommen und warten, sondern die wollen tatsächlich arbeiten.
Hatting: Gut, aber das ist jetzt der Teil, der jetzt in Deutschland ist. Es ist ja so, dass tagtäglich über Lampedusa weitere Flüchtlinge nach Europa kommen. Soll das dann so weitergehen, sollen die alle dann irgendwie eine Bleiberechtslösung bekommen?
"Wie es jetzt ist, wird es nicht hilfreich sein"
Herrmann: Die Diskussion, glaube ich, sollten wir nicht so emotional führen, sondern ein bisschen sachlicher. Die europäische Flüchtlingspolitik ist mit Sicherheit im Moment keine zielführende Flüchtlingspolitik. Weil das, was wir im Moment erleben, ist, dass eher die Grenzen hochgezogen werden beziehungsweise verschärft werden. Also Frontex letztendlich wird verstärkt und die Finanzierung von Frontex auch.
Das suggeriert, dass wir dadurch die Grenzen dichter machen, wie man immer so schön sagt. Die Realität ist allerdings eine andere. Von daher muss sich schon die Europäische Union miteinander verständigen, wie wir Lösungen gemeinsam entwickeln. Wie es jetzt ist, wird es nicht hilfreich sein. Aber es wird auch – wir haben das in der Schweiz erlebt, wie die Abstimmung ausgesehen hat, weil die Leute stark verunsichert sind.
Das heißt also, wenn wir einfach nur sagen, jetzt alles auf, ihr könnt kommen, werden wir das Problem haben, dass wir große Ressentiments von Teilen der Bevölkerung haben, auch, weil sie große Ängste haben. Weil es auch um Verteilung und Privilegien geht, das ist völlig nachvollziehbar.
Wenn wir sagen, okay, wir machen die Grenzen komplett zu, wird es auch nicht der Realität entsprechen. Und ich glaube, das ist so das Spannungsfeld. Und dieses "Wie sieht das denn aus?" und "Geben Sie jetzt mal die Lösung!" – das wissen wir beide doch, dass es da keine einfache Lösung gibt. Aber das, wo endlich begonnen werden muss, und zwar nicht nur in der EU und nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch hier in Berlin, dass wir zur Kenntnis nehmen, dass Menschen zunehmend nach Europa kommen und auch zunehmend nach Deutschland kommen.
"Kein Mensch ist illegal" steht auf einem Plakat geschrieben, das im Dezember auf dem Oranienplatz in Berlin im Rahmen einer Veranstaltung gegen eine Räumung des Flüchtlingscamps an dem Platz steht.
"Kein Mensch ist illegal", heißt es auf einem Plakat bei einer Veranstaltung gegen die Räumung des Berliner Oranienplatz im Dezember 2013.© dpa / picture alliance / Rainer Jensen
Und deswegen muss man einfach mal sich Gedanken darüber machen. Auf Initiative der Kirchen hat es einen runden Tisch gegeben. Eventuell gibt es im März ein zweites Treffen. Andererseits ist eine Senatorin gerade komplett alleine in irgendwelchen Verhandlungen, die sie zu führen hat, wo wir, glaube ich, nicht besonders optimistisch im Moment sind, dass die mit Erfolg gekrönt sind, aber sie ist relativ alleine.
Es wird hier in dieser Stadt vor allen Dingen von der verantwortlichen Politik wenig darüber konzeptionell diskutiert, wie wir damit umgehen. Das ist nicht die Aufgabe der Kirchen alleine oder eines Bezirks oder von Grünen oder von Linken oder wie Sie es wollen – dass alleine eine Lösung gefunden werden kann.
Hatting: Und wir werden es auch leider jetzt nicht mehr in diesem Gespräch klären. Vielen Dank, Monika Herrmann war das, die Grünen-Politikerin ist Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg.
Herrmann: Alles klar!
Hatting: Danke für das Gespräch!
Herrmann: Danke, tschüs!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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