Laird Barron: "Hallucigenia"

Wie das Leben aus den Fugen geraten kann

Ein Messer liegt in Kunstblut.
Wenn es in Laird Barrons Erzählungen gewalttätig wird, spritzen Blut und Gehirnmasse. © picture alliance / dpa / Fritz Schumann
Von Marten Hahn · 27.11.2015
US-Autor Laird Barronin ist in der Lage, unheimlich hässliche Geschichte, unheimlich schön zu erzählen. "Hallucigenia" bündelt vier seiner verstörend-faszinierenden Erzählungen zwischen Psychothriller und Splatter-Movie.
Was wissen wir hier im herbstlichen Deutschland schon über die Geister, die einem beim längsten und härtesten Hunderennen der Welt begegnen? Aber: Sie müssen bösartig sein. Und sie müssen Laird Barron in Horden heimgesucht haben.
Drei Mal hat der US-Autor am 1850 Kilometer langen Iditarod in Alaska teilgenommen, bevor er sich einer literarischen Karriere zuwandte - und damit begann, in unheimlich schöner Prosa unheimlich hässliche Dinge aufzuschreiben.
Im Band "Hallucigenia" hat der kleine Berliner Golkonda-Verlag jetzt vier von Barrons Geschichten der vergangenen Jahre versammelt: "Hallucigenia", "Die Prozession des schwarzen Faultiers", Mysterium Tremendum" und "Strappado".
Alles nicht nett: Ein Paar macht bei einem Ausflug im Niemandsland von Washington State eine verstörende Entdeckung, wird schwer verletzt und tritt eine Reise des Schreckens an. Ein Experte für Wirtschaftskriminalität entdeckt bei einem Auftrag in Hongkong Dinge, die ihn um den Verstand bringen. Der Wander-Ausflug zweier schwuler Paare wird zum Horrortrip. Und der Besuch einer Kunstperformance in Indien hat katastrophale Konsequenzen für alle Teilnehmer.
Glaubwürdige Charaktere in kunstvollen Szenerien
Barron, geboren 1970, erzählt davon, wie das Leben aus den Fugen gehen kann, mal schnell, mal langsam. Er setzt seine wunderbar glaubwürdigen Charaktere in kunstvollen Szenerien zwischen Psychothriller und Splatter-Movie, und das Beste ist: Wenn der richtige Moment gekommen ist, ist Barron gerade nicht subtil. Dann wird es gewalttätig, dann spritzen Blut und Gehirnmasse, dann legt sich ein hysterisches Gelächter über die Szenierie, bis nicht mehr klar ist, wo die Realität aufhört und der Albtraum anfängt.
Dabei blitzt immer wieder wohltemperierte Humor unter dem Schleier des Schreckens auf. Wer sich von Barrons okkulten, breit ausgemalten Schreckenslandschaften und der dreckigen Coolness seiner Sprache an die erste Staffel von "True Detective" erinnert fühlt, liegt richtig. Nic Pizzolatto, der Schöpfer der US-Fernsehserie, zählt Laird Barron zu den Autoren, die ihn maßgeblich beeinflusst haben.
"Hallucigenia" ist dunkle Literatur für die dunkle Jahreszeit. Aber - dieses Buch ist keine Hilfe: Wem kalt ist, dem wird beim Lesen noch kälter. Die Ängstlichen werden schreckhafter. Und die Abergläubige sehen nur noch böse Omen .
Wer "Hallucigenia" liest, sollte sicher stellen, abends nicht allein ins Bett zu gehen oder zumindest eine Flasche Scotch – angeblich Barrons Narkotikum der Wahl – griffbereit haben. Wer schon immer Horror gelesen hat, sollte mit Barron weitermachen. Und wer noch nie Horror gelesen hat, sollte jetzt mit Barron anfangen.

Laird Barron: "Hallucigenia"
Aus dem Amerikanischen von Jakob Schmidt.
Golkonda, Berlin 2015
271 Seiten, 16,90 Euro. E-Book: 9,99 Euro

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