Lafontaine: Kapital weiß nicht mehr weiter

Moderation: Christopher Ricke · 20.03.2008
Der Vorsitzende der Linken, Oskar Lafontaine, hat den Staat angesichts der internationalen Finanzkrise zum stärkeren Eingreifen aufgefordert. Derzeit könne man nur spekulieren, wie groß das Chaos an den Finanzmärkten wirklich sei. Deshalb gelte es, neue Regeln einzuführen, sagte Lafontaine. Neben der Stabilisierung der Wechselkurse und der Kontrolle des Kapitalverkehrs fordere die Linke schärfere Regeln für die Geschäftsbanken in allen Einzelstaaten.
Christopher Ricke: Aus einem bestimmten Blickwinkel heraus beweist der Kapitalismus gerade, dass er doch nicht die perfekte Gesellschaftsform ist. Es ist die Finanzmarktkrise, die nach Expertenmeinung inzwischen irrationale Züge angenommen hat, die viel mehr Schaden anrichtet, als nur die Depots der Spekulanten zu verbrennen. Sie wirkt sich möglicherweise schon direkt auf die Konjunktur aus - auf die Märkte, auf die Arbeitsplätze. Der Hilferuf von Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann ist nicht zu überhören. Er bittet um eine gemeinsame Aktion von Banken, Regierungen und Notenbanken. Ich spreche jetzt mit einem Kapitalismuskritiker und ehemaligen Bundesfinanzminister. Er ist einer der beiden Chefs der Partei "Die Linke". Guten Morgen Oskar Lafontaine!

Oskar Lafontaine: Guten Morgen!

Ricke: Ist denn die Zeit gekommen, jetzt zusammenzustehen, Zeit für Solidarität mit dem Kapital?

Lafontaine: Die Zeit ist gekommen, denn offensichtlich weiß ja das Kapital nicht mehr weiter. Wenn Herr Ackermann den Staat zur Hilfe ruft, dann haben wir doch eine besondere Situation. Ich hatte schon überlegt, ob ich Herrn Ackermann einen Aufnahmeantrag für die Partei Die Linke zusenden soll. Er wäre ja ein interessantes Mitglied wegen der Beiträge, die wir dann zu erwarten hätten. Aber Scherz bei Seite! Die Banker haben sich so verzockt, dass sie nur noch mit Hilfe des Staates die Krise bewältigen können.

Ricke: Haben die das denn verdient, die Hilfe des Staates? Muss man nicht eigentlich sagen, ihr arbeitet eigenverantwortlich, tragt die Last alleine?

Lafontaine: Das wäre auf den ersten Blick die richtige Reaktion, und ich hatte ja im Hinblick auf die deutsche IKB geraten, die ja eine Privatbank ist, bei der die BDI-Präsidenten - der ehemalige als Verwaltungsratsvorsitzende, der andere als Vorsitzender des Beirats - auch tätig sind, mitverantwortlich sind für die Pleite, hier nicht mit Milliarden staatlich gesicherter Kredite einzuspringen. Aber letztendlich muss man sehen, wenn die Krise die Konjunktur schädigt, was Sie ja schon gesagt haben, dass dann viele Tausend Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen, und das kann uns ja nicht gleichgültig sein. Insofern sollte man auch in Deutschland auf den Internationalen Währungsfonds hören. Der Währungsfonds plädiert ja dafür, dass die Staaten jetzt im Vorhinein konjunkturell gegensteuern. Das hieße für Deutschland, endlich etwas für die Binnenkonjunktur zu tun.

Die Linke fordert schon seit Monaten drei Dinge: erstens Steuererleichterungen für Facharbeiter und Kleinbetriebe, zweitens eine Stärkung der öffentlichen Investitionen, also wenn Sie so wollen ein Infrastrukturprogramm, und drittens, dass die Europäische Zentralbank sich ähnlich verhält wie die amerikanische Fed und nicht so zögerlich ist bei der Hilfe für die internationalen Finanzmärkte.

Ricke: Jetzt werden aber Steuererleichterungen für Facharbeiter nicht direkt all denen helfen, die sich mit faulen Immobilienkrediten verspekuliert haben. Da muss doch noch etwas anderes passieren, und es ist sehr schwer zu verstehen, dass Oskar Lafontaine sagt, nachdem jahrzehntelang Gewinne privatisiert wurden, sollen wir jetzt Verluste sozialisieren.

Lafontaine: Das sagt Oskar Lafontaine ja nicht, sondern er tut ja alles, dass solche Regeln eben nicht Platz greifen. Aber unsere Bemerkungen zur Konjunkturpolitik, zur konjunkturellen Situation sind deshalb notwendig, weil die Bundesregierung die gegenwärtige Lage nicht analysiert. Vielmehr sagt der Bundeswirtschaftsminister ja, er überlegt, ob er vielleicht irgendetwas machen wolle. Er hat keine Vorstellung, was er machen soll, wenn die Weltkonjunktur weiter zurückgehen wird, was sich jetzt ja schon abzeichnet. Das kann uns nicht gleichgültig sein.

Ansonsten sind wir strikt dabei, wenn es darum geht, private Verluste auch im Privaten anzulasten, aber wir sind in einer Situation, in der das Weltfinanzsystem so miteinander verflochten ist und so ungeordnet mittlerweile ist, dass man fordern muss, dass der Staat eingreift - aber nicht nur mit Finanzspritzen, wie das derzeit geschieht, sondern viel, viel wichtiger sind neue Regeln. Seit langem fordern wir erstens Stabilisierung der Wechselkurse, zweitens Kontrolle des Kapitalverkehrs und drittens stärkere Regeln für die Geschäftsbanken in allen Einzelstaaten.

Ricke: Wenn man solche Regeln einführt, wenn man solche Regeln durchsetzen und auch kontrollieren will und zudem den Banken, die in der Misere sind, helfen will, dann spricht das ja eigentlich nach einem Einkaufen in dieses System - Übernahme von Anteilen. Sind wir vor der Verstaatlichung von Banken?

Lafontaine: Das ist ja in England bereits geschehen und wenn man so will auch die Rettungsaktion in Amerika, die wir gerade erlebt haben, ist so etwas wie eine Verstaatlichung, wenn das auch vornehm anders ausgedrückt wird. Aber das ist ja nur die eine Seite der Medaille. Die Ursache für diese Entwicklung ist ja die Deregulierung oder ist der Neoliberalismus. Der Neoliberalismus, der ein Credo hatte: "Wir müssen alles deregulieren", ist jetzt an die Wand gelaufen, denn die Deregulierung des internationalen Finanzsystems ist so gewaltig geworden, dass letztendlich keiner der Deregulierer mehr weiß, was eigentlich los ist. Es gibt niemanden in der internationalen Finanzfachwelt, der heute weiß, was auf den Finanzmärkten los ist. Man kann tatsächlich auch nur spekulieren, wie groß das Chaos ist.

In dieser Situation muss man eben einsehen, dass es so wie im Flugverkehr oder im Schiffsverkehr Regeln geben muss, wenn man sicherstellen will, dass es nicht zu großen Katastrophen kommt. Wir plädieren dafür schon seit vielen Jahren, aber offensichtlich musste es jetzt zu dieser Krise kommen, dass man die Einsicht hat.

Es gibt aber ein Problem: Der amerikanische Finanzminister hat erklärt, er wolle jetzt eben stärker regulieren, die Finanzindustrie stärker regulieren - auch innerhalb der Vereinigten Staaten. Aber wir wissen, dass die Präsidentschaftskandidaten immer von der Finanzindustrie finanziert werden, sodass ich Sorge habe, dass sich letztendlich wieder kurzsichtige Interessen durchsetzen und nicht die zwingende Notwendigkeit, endlich dem internationalen Finanzsystem Regeln einzuziehen.

Ricke: Oskar Lafontaine, einer der Vorsitzenden der Partei Die Linke. Vielen Dank Herr Lafontaine!
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