Lafontaine: "Alberne" Diskussionen über Personen und Ämter

Oskar Lafontaine im Gespräch mit Nana Brink · 14.05.2012
Der ehemalige Vorsitzende der Partei "Die Linke", Oskar Lafontaine, hält sich nach wie vor bedeckt, ob er seine Partei noch einmal führen will. Wer den Parteivorsitz übernehme, müsse auch die Hauptverantwortung für die Bundestagswahl tragen.
Nana Brink: Neben lauter Gewinnern gibt es natürlich auch Verlierer der Wahl in Nordrhein-Westfalen, nicht nur die CDU, die fast 10 Prozent verloren hat, aber natürlich im Landtag sitzt - und dort nämlich werden die Linken künftig nicht mehr sitzen: Nach 5,6 Prozent bei der letzten Wahl 2010 kamen sie gestern nur noch auf 2,5. Oskar Lafontaine, Ex-Parteichef der Linken und Fraktionschef seiner Partei im Saarland, ist jetzt bei uns am Telefon. Schönen guten Morgen, Herr Lafontaine!

Oskar Lafontaine: Schönen guten Morgen!

Brink: Würden Sie dieses Wahlergebnis für Ihre Partei auch als herbe Niederlage beschreiben?

Lafontaine: Ja, selbstverständlich. Ich kann es auch anders bezeichnen, es ist sehr beschissen. Es ist aber nicht nur eine herbe Niederlage für die Linke, denn die Linke ist ja kein Selbstzweck als Partei, es ist eine herbe Niederlage für diejenigen, die auf den Sozialteil angewiesen sind und diejenigen, die Leiharbeit haben oder Niedriglöhne, denn die anderen mit uns konkurrierenden Parteien, wenn man von den Piraten einmal absieht, haben dies alles verbrochen, und die Entwicklung wird dann so weitergehen.

Brink: Nun ist ja die Einschätzung, das Wahlergebnis für Ihre Partei ja ziemlich eindeutig: Die Linke im Westen ist wieder da angekommen, wo sie schon oft war, nämlich bei unter 3 Prozent. Was haben Sie denn falsch gemacht?

Lafontaine: Na, das sollte man jetzt so vorschnell nicht feststellen, denn Sie reden mit jemandem, der gerade vor einigen, vor zwei Monaten 16 Prozent hatte, das ist also etwas anderes. Aber es ist richtig, dass wir auf Bundesebene eindeutig einen Rückgang der Zustimmung haben, und das schlägt sich darnieder in den Wahlergebnissen in den Ländern, wo wir nicht so stark sind. Und was wir falsch gemacht haben, ist jetzt in den letzten Monaten oft erzählt worden: Wir haben uns zu sehr mit Themen beschäftigt, die die Wählerinnen und Wähler nicht interessieren, und deshalb haben wir es versäumt, Themen populär zu machen, die uns nun wirklich Zustimmung bringen würden. Ich verweise immer darauf, dass wir die einzigen sind, die einen Ausweg aus der Finanzkrise in Europa wissen, indem wir empfehlen, dass etwa in Europa die Geldvergabe durch die Zentralbank genauso geschieht wie in Amerika oder in Großbritannien oder in Japan. Aber die europäischen Regierungschefs haben das noch nicht so richtig verstanden, dass man nicht die Steuerzahler bluten lässt für Milliardengeschäfte der Privatbanken.

Brink: Aber, pardon, das haben Sie dann aber in Nordrhein-Westfalen irgendwie nicht an den Mann und an die Frau gebracht.

Lafontaine: Ja, das ist richtig, und das ist ja auch so schwer, deutlich zu machen, dass die Ersparnisse, die dann wären, eben die Staaten davor bewahren würden, Rentenkürzungen durchzuführen und den öffentlichen Dienst zusammenzustreichen. Man kann das ja in Griechenland mustergültig feststellen, wohin der ganze Zug fahren wird, und wie gesagt, in Griechenland wird ja dann die Linke auch wieder sehr, sehr stark. Aber gehen wir zurück nach Deutschland: Vor ein paar Wochen hat man auch der FDP gesagt, sie ist jetzt endgültig erledigt - aber Sie sehen, wie schnell sich die Stimmungen ändern.

Brink: Aber bedeutet das jetzt, dass Sie im Westen der Republik endgültig keinen Fuß auf den Boden bekommen?

Lafontaine: Nein, ich habe doch gerade gesagt, wir hatten vor zwei Monaten über 16 Prozent hier an der Saar, also da kann man nicht sagen, kein Fuß auf den Boden.

Brink: Nun sind Sie ja an dem Debakel in Nordrhein-Westfalen nicht ganz unschuldig. Die Linken waren ja nicht gewillt, eine rot-grüne Minderheitsregierung zu stützen, ich erinnere noch da mal: Der Haushalt ist ja abgelehnt worden, deshalb gab es Neuwahlen. Spricht das nicht auch für die Regierungsfähigkeit Ihrer Partei, auch auf Bundesebene?

Lafontaine: Das Gegenteil ist ja der Fall. Die Linke hat ja in Nordrhein-Westfalen die Regierung Kraft gestützt über zwei Jahre lang, sie hat immer wieder auch Anstrengungen unternommen, um Mehrheitsfähigkeit herzustellen. Das Ganze scheiterte an einer Summe von 35 Millionen - die Linke hat ein Sozialticket gefordert, dass ärmere Leute nur 15 Euro zahlen müssen, um beispielsweise Busfahrten zu machen. Und Sie sehen, ...

Brink: Nun, pardon, aber die Grünen sind Ihnen da ja aber doch sehr, sehr entgegengekommen.

Lafontaine: Nein, das ist falsch, genau das wurde abgelehnt und die Neuwahlen sind teurer gewesen als das Sozialticket. Und hier sieht man, wie unsozial SPD und Grüne in Nordrhein-Westfalen in Wirklichkeit sind, wenn man näher hinguckt, und wer richtig zugehört hat, hat ja auch gehört, dass Frau Kraft jetzt weitere Kürzungen angekündigt hat. Das ist nun einmal so: Nach den Wahlen erhält man dann natürlich auch das Resultat der Politik, die gewählt wurde.

Brink: Also Sie fühlen sich nicht schuldig daran?

Lafontaine: Ich persönlich?

Brink: Nein, die Partei.

Lafontaine: Die Partei, nein, die Partei in Nordrhein-Westfalen hat auch nach allgemeinem Urteil, ich habe mich gewundert, auch in einzelnen Medienkommentaren, eine gute Politik gemacht. Sie hat für das gekämpft, was sie vor den Wahlen gesagt hat, beispielsweise die Abschaffung der Studiengebühren. Davon profitieren jetzt die Studentinnen und Studenten in Nordrhein-Westfalen. Sie hat eben auch dafür Sorge getragen, dass die Mitbestimmung in der öffentlichen Verwaltung besser geworden ist. Und die Forderung, 35 Millionen auszugeben für ein Sozialticket - wenn man den Haushalt in Nordrhein-Westfalen kennt - ist nun wirklich keine maßlose Forderung. Nein, das Ganze war doch ein Machtpoker von Rot-Grün. Die haben Umfragen gesehen, dass sie alleine eine Mehrheit kriegen, und die Rechnung ist aufgegangen.

Brink: Nun wird ja eine Wahl in Nordrhein-Westfalen immer auch als kleine Bundestagswahl bezeichnet. Ist diese Wahl auch ein Fingerzeig für die Wahl dann tatsächlich im Bund 2013, auch für Ihre Partei?

Lafontaine: Ja, alle Wahlen sind immer ein Fingerzeig für die Lage der Parteien auf Bundesebene, und diese Wahl ist ein Fingerzeig, dass unsere Lage auf Bundesebene nicht so günstig ist wie bei der letzten Bundestagswahl. Das zeigen ja alle Umfragen: Wir liegen jetzt etwa bei 7 Prozent. Und bei diesen 7 Prozent haben wir Schwierigkeiten, in einigen westlichen Ländern in die Landtage einzuziehen, und damit sind wir natürlich nicht zufrieden. Es ... Man sieht das ja in ganz Europa: Man braucht eine linke Partei, um die Interessen der Arbeitnehmer und der sozial Bedürftigen zu wahren, und dass SPD und Grüne hierbei versagen, sieht man auch bei der Zustimmungsbereitschaft zum Fiskalpakt, denn dieser Fiskalpakt, der jetzt hin- und herdiskutiert wird in Deutschland, führt ja in Griechenland dazu, dass wir dort massenhafte Armut haben, dass Leute sich umbringen und Mütter ihre Kinder abgeben müssen.

Brink: Aber was müssen Sie denn ...

Lafontaine: Also wer da zustimmt und dann noch sagt, er sei sozial, der muss mir das mal erklären.

Brink: Aber was müssen Sie denn dann Ihrer Partei heute sagen, speziell auch der Führung, was sie besser machen muss?

Lafontaine: Ja, sie muss eben diese albernen Personaldiskussionen einstellen. Ich war ja selbst, wenn Sie so wollen, Opfer dieser Personaldiskussionen, seit anderthalb Jahren höre ich immer wieder, welche Funktionen ich übernehmen soll. Das ist für die Wählerinnen und Wähler uninteressant. Die Linke muss in den Vordergrund stellen beispielsweise, dass sie für eine gerechte Steuerpolitik eintritt. Ich nehme jetzt mal den Nachbarn Frankreich, wo wir Jean-Luc Mélenchon hatten, der eben als Linker angetreten ist und ein hervorragendes Ergebnis hat - warum? Weil er eine klare Botschaft ins Volk gebracht hat, er möchte die schreienden Ungerechtigkeiten beseitigen, eine gerechte Besteuerung und eine andere Lohnpolitik. Das sind Themen, mit denen man Wahlen gewinnt.

Brink: Es gibt Gerüchte, sie erklären heute Ihre Kandidatur zum Parteichef?

Lafontaine: Ja, ich lese auch immer viele Gerüchte in allen möglichen Zeitungen, und dazu ist nur zu sagen, dass ich morgen dabei sein werde, wenn die Landesvorsitzende mit dem geschäftsführenden Vorstand beraten und mir anhören werde, welche Vorschläge gemacht werden, um die Bundestagswahlen erfolgreich zu bestehen. Und da bin ich natürlich auch im Gespräch, das ist ja bekannt.

Brink: Also Sie werfen Ihren Hut in den Ring?

Lafontaine: Das ... ich werde mir zuerst anhören, was die anderen sagen, das kann ja auch sein, dass niemand jetzt nach dieser Wahl diese Lösung für richtig hält, sondern andere Lösungen befürwortet werden. Ich selbst habe mich um nichts beworben. Ich höre mal jetzt zu, was gesagt wird, welche Argumente vorgetragen werden, und danach fälle ich meine Entscheidung.

Brink: Aber dann können Sie immer noch Spitzenkandidat werden zum Beispiel.

Lafontaine: Das ist nun eine falsche Herangehensweise. Wenn man die Weichen für die Bundestagswahl stellt, dann muss man sie jetzt stellen, denn Wahlen gewinnt man nicht vier Wochen vor der Wahl, sondern man muss da einen langen Anlauf nehmen. Also jetzt werden die Entscheidungen getroffen, und jetzt muss die Linke eben die Weichen stellen. Wer jetzt beispielsweise den Parteivorsitz übernimmt, ist auch derjenige, der für die Bundestagswahl die Hauptverantwortung trägt, also die beiden, die jetzt den Vorsitz übernehmen sollen.

Brink: Oskar Lafontaine, Ex-Parteichef der Linken und Fraktionschef seiner Partei im Saarland. Herr Lafontaine, schönen Dank für das Gespräch!

Lafontaine: Bitte sehr!

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