LafargeHolcim

Machte der Zementkonzern Geschäfte mit dem IS?

Logo des Zementherstellers LafargeHolcim, aufgenommen im Hauptsitz in Zürich
Logo des Zementherstellers LafargeHolcim, aufgenommen im Hauptsitz in Zürich © picture alliance / dpa / Patrick B. Kraemer
Von Suzanne Krause · 03.01.2017
Französische Medien und Justiz hegen einen großen Verdacht: Der Zementhersteller LafargeHolcim betrieb bis 2014 ein Werk in einer Region in Syrien, die ab 2012 dem sogenannten IS in die Hände fiel. Hat der Konzern dabei seine Angestellten gefährdet? Und die Terrormiliz finanziert?
Ja. Man kann in einem Land, in dem Krieg herrscht, Geschäfte machen. So interpretiert der französische Fernsehsender France 2 das Verhalten des weltweit größten Zementherstellers, Lafarge. In Syrien hat das französische Unternehmen ein Zementwerk betrieben. Und dort kam es zu:
Sprecher: "Verstörenden Arrangements zwischen Lafarge und der Terrormiliz 'Islamischer Staat'",
titelte die französische Tageszeitung "Le Monde" schon Ende Juni. Dabei geht es um das Zementwerk von Jalabiyeh, im Norden Syriens, das Lafarge 2010 in Betrieb nahm. Bevor die gewalttätigen Proteste gegen Assad aufflammten. Ab Ende 2012 dann gewann auch die Terrormiliz Islamischer Staat in Fabriknähe an Boden. Damals beschlossen andere ausländische Unternehmen den Abzug. Nicht so Lafarge.
Wie konnte der Zementkonzern zwischen 2013 und 2014 sein Werk am Laufen halten, obwohl der IS die Region kontrollierte? Um diese und weitere Fragen zu beantworten, hat die "Le Monde"-Journalistin Dorothee Myriam Kellou zwei Jahre recherchiert.
"Ich konnte belegen, dass es Vereinbarungen mit der Terrororganisation Islamischer Staat gegeben hat. Das beweisen Passierscheine, die den Stempel des IS-Finanzministers tragen. Auf denen steht ganz klar geschrieben, dass ein Abkommen zwischen Lafarge und dem IS existierte, um ein- und ausgehende Waren passieren zu lassen. Gleichfalls habe ich, dank Aussagen von Werksangestellten sowie E-Mails, entdeckt, dass es auch Passierscheine für das Personal gab. Dafür wurde gezahlt, es war ein Austausch mit Gegenleistung."
Anschuldigungen, die die Pariser Firmenzentrale zurückweist. Saad Sebbar, einer der Direktoren:
"Ein Umgang mit terroristischen Gruppen ist für uns völlig ausgeschlossen. Wir wollen in dieser Affäre unbedingt Licht ins Dunkel bringen und die einzige Art, dies zu tun, ist eine unabhängige Untersuchung."
Diese hausinterne Untersuchung sei im Gange, bestätigt das Unternehmen. Und versichert in einer Stellungnahme:
Sprecher: "Der Konzern hat stets größten Wert auf die Sicherheit seiner Mitarbeitenden und deren Familien gelegt."

Zugeständnisse gegenüber den Terroristen

Das sieht der ehemalige Personalchef der syrischen Zementfabrik anders: Nidal Wahbi hatte sich Mitte 2014 an die französische Journalistin Kellou gewandt.
Ihm zufolge soll der IS mehrfach Werksangestellte entführt haben. Syrer.
Die ausländischen Mitarbeiter hatte Lafarge schon 2012 evakuieren lassen.
Eines Tages erwischten islamistische Terroristen auch Nidal Wahbi.
"Zehn Tage lang haben sie mich gefangen gehalten. Lafarge hat sich damals nicht sehr nett verhalten. Man hielt die Entführer lange hin und erklärte dann, nicht zahlen zu wollen. Lafarge hat damit mein Leben gefährdet. Die Geiselnehmer wollten mich umbringen. Ich konnte einen Teil des Lösegelds auftreiben und wurde freigelassen. Aber Lafarge hat sich leider sehr unprofessionell verhalten. Niemand hat mir das Geld erstattet oder je nach meinem Befinden gefragt. Man hat sogar jeden Kontakt mit mir verweigert."
Die Schilderungen von Wahbi decken sich mit denen von Jakob Waerness. Er war für die Sicherheit der Fabrik von September 2011 bis Oktober 2013 zuständig. Der IS habe monatelang indirekt von der Zementfabrik in Syrien profitiert, schreibt der Norweger in seinem Buch, das er vor einigen Monaten veröffentlichte. Darin schildert er auf 245 Seiten seinen Alltag im Zementwerk.
Sprecher: "Anfangs hat Lafarge klare 'rote Linien' definiert zum Umgang mit bewaffneten Gruppen."
Nach und nach jedoch, sagt der Ex-Sicherheitschef, seien die Zugeständnisse des Konzern gegenüber den Terroristen zu weit gegangen. Erst Mitte September 2014 hat Lafarge das Zementwerk endgültig aufgegeben – als der IS die Fabrik stürmte. Heute bilanziert Jakob Waerness:
Sprecher: "Ich denke, Lafarge hätte seinen Betrieb in Syrien schon früher einstellen müssen. Denn wir konnten nicht weitermachen, ohne dass dies direkt oder indirekt radikalen islamistischen Gruppen zugute käme."

Komplize bei Kriegsverbrechen

Der französische Verein Sherpa in Paris und das 'Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte' in Berlin gehen in einem gemeinsamen Communique viel weiter:
Sprecherin: "Indem Lafarge Geschäftsbeziehungen mit der Terroristengruppe IS in Syrien unterhalten hat, könnte das Unternehmen beteiligt gewesen sein an der Finanzierung dieser Gruppe. Und somit Komplize sein bei Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit."
Die beiden Menschenrechtsorganisationen haben in Paris Klage gegen Lafarge eingereicht. Gemeinsam mit elf Ex-Angestellten der syrischen Zementfabrik sind sie Nebenkläger. Das juristische Verfahren läuft gerade an, sagt Sherpa-Chefin Laetitia Liebert.
"Es handelt sich um das allererste Mal, dass zwei Nichtregierungsorganisationen ein multinationales Unternehmen wegen Terrorismus-Finanzierung verklagen. Es geht um das Ausmaß der potenziell negativen Auswirkungen, die die Aktivitäten eines multinationalen Konzerns im Ausland haben können, wenn diese nicht reguliert sind. Wie dies derzeit überall der Fall ist. Bei der Globalisierung hinken die Gesetze hinterher, es mangelt international, national oder regional an Regeln, die verhindern könnten, dass Konzerne im Ausland die Menschenrechte verletzen."
Diesbezüglich könnte das geplante Ermittlungsverfahren gegen den französischen Zementkonzern weltweit das Bewusstsein voranbringen. Große Hoffnung setzt Aktivistin Laetitia Liebert auch in den Pariser Gesetzestext, der zur Verabschiedung ansteht: Egal in welchem Sektor, von Textil- bis Bau-Konzerne wie Lafarge sollen zukünftig dazu verpflichtet werden, bei jeglicher Aktivität im Ausland die Menschenrechte global einzuhalten.
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