Lärmangriff

Experimental-Rock mit Rilke

Gitarrist und Sänger Michael Gira der amrerikanischen Post-Punk-Band Swans bei einem Auftritt 2013 im Akvarium Klub in Budapest. Sein Kopf ist grün-rot angestrahlt, das Haar zerzaust, das Gesicht zum Schrei verzerrt.
Gitarrist und Sänger Michael Gira der amrerikanischen Post-Punk-Band Swans bei einem Auftritt 2013 im Akvarium Klub in Budabest. © picture alliance / dpa / Balazs Mohai
Von Tobi Müller · 21.10.2014
Die Anfang der 80er gegründete Band Swans um den Sänger und Multi-Instrumentalisten Michael Gira gab im Berliner Berghain gleich zwei ausverkaufte Konzerte. Das erste war ein Hochamt des Lärms, ein Ritual jenseits gängiger Rockformate.
Die Swans lassen sich Zeit. Zuerst grummeln eine Viertelstunde lang nur die Bässe, dazu plustern sich ein paar Becken auf, die man mit Watteschlegeln zum anschwellenden Donnerklang provoziert hat. Nach 20 Minuten, noch ist die Band nicht vollzählig auf der Bühne, klingt es wie ein Flugzeuggeschwader. Nach einer halben Stunde rüttelt der Chef selbst an der Gibson-Gitarre, jetzt steuert Michael Gira den Lärmangriff, der zweieinhalb Stunden dauern wird. Ganz rechts steht der lange und dürre Norman Westberg, an dem ein Ziegenbärtchen hängt und eine alte Fender Telecaster-Gitarre, wobei das Ziegenbärtchen lustig wippt, weil Westberg unablässig Kaugummi kaut, als gelte es damit Strom zu erzeugen.
Norman Westberg ist ein Ur-Swan, seit 30 Jahren steht er Gira immer wieder zur Seite. Gira, der Schamane, stößt einige beschwörende, bereits verzückte Laute aus. Westberg, der Hirte, überblickt die Herde ruhig. Dazwischen: Ein Schlagzeuger namens Thor Harris, der mit nacktem Muskelkörper und vorchristlicher Behaarung auch genau so aussieht, wie man sich einen Thor vorstellt, dann noch ein Schlagzeuger, ein jüngerer Bassist und mit Christoph Hahn sitzt wieder ein alter Kämpfer an der krachenden Lapsteel Gitarre, der die Achtzigerjahre in Manhattans No Wave-Szene tatsächlich überlebt hat.
Nur noch Intros und Outros
Früher hatte man in Downtown NYC Rock gespielt, der nichts mit Mainstream-Rock und noch weniger mit Indie-Rock zu tun haben wollte. Heute spielen die Swans, die diesem Biotop entstammen, einen Rock, der eigentlich nur noch aus Intros und Outros besteht, und zwischendrin aus wiederholten, sehr lange wiederholten Breaks. Zum Auftakt ihrer Deutschland-Tour, am ersten von zwei ausverkauften Konzerten im Berliner Berghain, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder es braut sich was zusammen, ein böses Wetter, das sich vielleicht wieder beruhigt. Oder auch nicht, boom, zack, trrrrrr, ratatatatack, nimm’ das! Dann klingt es wie Stromstöße von kurzgeschlossenen Unterwasserleitungen in einer See aus Benzin. Es sind allerdings sehr dicke Kabel, die da durchbrennen.
Im Alter kommen die Swans mit ihrem Lärm sogar in die Hitparaden. Die Swans sind eher ein Soloprojekt von Michael Gira, dem Zentrum zumindest dieser experimentell rockenden Mannen. In den Achtziger- und frühen Neunzigerjahren hatten Swans ihre Hochzeit mit krachorientiertem Rock jenseits der üblichen dreieinhalb Minuten. 1997 löste sich die Band auf, vor vier Jahren nahm Michael Gira noch einmal einen Anlauf. Zurückgekehrt sind nicht, wie vermutet: Rock-Zombies, die ihre Vergangenheit verkaufen wollten. Sondern ein lebendiges Projekt, das es in den USA und in England zum Erstaunen vieler in die ersten 40 Plätze der Albumhitparaden schafft. Im Frühsommer erschien ein weiteres Swans-Album, "To Be Kind" heißt es, und auch wenn der Titel irreführt und das Baby auf Goldhintergrund auf dem Cover natürlich Tränen in den Augen hat und alles ganz schlimm und dunkel ist, hat dieses Album viele ruhige, ja besinnliche Momente. Die Swans waren immer auch zarte Seelen, sie hatten nur Angst davor, dass sich die Introspektion als menschenwarmer Kitsch veräußert.
Perkussion aus der Unterwelt
Vielleicht gehen sie deshalb nun noch einen Schritt weiter als bei der Tour vor zwei Jahren. Von Songs ist nämlich fast gar nichts mehr zu erkennen oder auch nur zu spüren. Nach den ersten 45 Minuten geht es in diesem Höllenritt, zu dem wir langsam verführt wurden, einzig um unterschiedliche Hitzegrade, alle nahe an der Sonne oder irgendwo, wo Sauna nur ein Kindergeburtstag ist. Da kommen mal Posaunenstöße durch, mal ein querliegender Bass, in einer kleinen Zwischenkammer der Unterwelt rasselt eine Perkussion oder es schmiert die Lapsteel unverständliches Graffiti an die Wand, als würden auch die Teufel ihre Problemjugendlichen kennen. Lustigerweise hat man stets den Eindruck, als wäre diese Klangattacke eine konzentrierte Lesung aus einem Buch. Geschrieben von einem Biest, dessen Namen wir noch nicht kennen. Von einem Ding vielleicht. Ganz am Schluss sagt Michael Gira auf Deutsch mehrmals Danke und als allerletztes, ganz unvermittelt: Rainer Maria Rilke.
Wer sich nicht mitnehmen lässt von der Rite de Passage zu Beginn des Abends, erlebt vermutlich etwas Ähnliches wie bei der ersten Rilke-Lektüre. Wirres, unverständliches Zeug.