Länger, schneller, besser

Die Steigerung im Sport

 Sport ist dann gesund, wenn wir uns individuell entwickeln.
Sport ist dann gesund, wenn wir uns individuell entwickeln. © picture-alliance / dpa / Oliver Berg
Von Silvia Plahl · 11.12.2016
Wie wird aus einer Couchpotato ein Leistungssportler? Und wo ist die Grenze zwischen gesundem Sport und Sucht? Unser Feature über Bewegungsfanatiker und die richtige Herangehensweise ans Training.
Mann: "Ich hab mir Ziele gesetzt und dementsprechend arbeite ich darauf hin. Also es ist halt wichtig, sich sehr viel Mühe zu geben, ansonsten erreicht man nicht wirklich viel."
Frau: "Es ist super und es kann noch mehr gefordert werden, ja ich brauch das einfach! Na ja,man muss ja immer bis an seine Grenzen gehen. Weil man sonst weniger macht. Wenn da jemand ist, der einen ein bisschen anpowert, denn ist das alles toll."
Ein junger Mann trainiert fürs Body-Building. Die 70-Jährige schwört auf Aqua-Fitness. Im "Cyberobics-Kurs" spornt eine prominente Amerikanerin vom Bildschirm mit Skyline-Kulisse zum Tritt in die Pedale an.
Krafttraining, Wassergymnastik und Fahrrad-Sprint - alle drei Sportarten erfordern physische und psychische Leistung und den Willen durchzuhalten. Die sportlich Aktiven wollen gesund bleiben und sich fit halten. Sie möchten immer weitermachen und sich steigern. Egal, wie alt sie sind. Das gilt für alle Sportarten.
"Es gibt so einen Antrieb und man will da wirklich ein bisschen ehrgeizig, dass man halt wirklich fitter wird und merkt: Och, diesmal ist es nicht mehr so anstrengend wie vor ein paar Wochen, sondern man merkt, dass man halt bessere Kondition hat. Man merkt, dass Verspannungen weggehen. Teilweise Sachen, wo ich sag: Ich kann die Beine nicht weiter beugen - aber wenn man regelmäßig macht, merkt man: Es geht immer ein bisschen besser."
"Natürlich schwitzt man, man spürt auch das Brennen seiner Muskeln, beispielsweise auf dem Fahrrad. Oder dass sich deine Atmung auf die Spitze steigert. Und dass man im Nachhinein ziemlich stolz darauf sein kann, dass man am Anfang dachte: Okay, ich schaff nur so und so viel, und man im Endeffekt doch vielleicht ein bisschen mehr geschafft hat."
"Steigerung der Gesundheit, Steigerung des Wohlbefindens. So zwanzig bis dreißig Minuten hab ich Zeit dafür und dafür gebe ich halt Gas. Da werfe ich alles rein und ist ein geiles Gefühl, wenn ich dann die nächsten zwei Tage Muskelkater spüre. Dann weiß ich, dass ich mich verausgabt habe."

Sportler wollen ans Limit gehen

Einsamer Marathonläufer
Es fängt mit einem Schritt an. Manche können irgendwann nicht mehr aufhören.© picture alliance / Hinrich Bäsemann
Was spornt die Menschen denn nun an?
"Einen inneren Antrieb haben - Schwitzen - Die Muskeln spüren - Ans Limit gehen - Außer Atem sein - Sich verausgaben und sich wohlfühlen."
Sport zu treiben zielt ganz allgemein darauf, sich zu verbessern - auf Profi-Niveau wie im Freizeitbereich. Der Trainer und frühere Leichtathlet Pierre Geisensetter im Fitnessstudio:
"Ich glaube, der Grundcharakter des Sports ist eine Steigerung, ist eine Verbesserung. Die Steigerung kommt durch entsprechendes Training. Ich möchte schneller laufen, dann trainiere ich vielleicht mehr Maximalkrafttraining an einer Beinpresse. Oder ich möchte einen kräftigeren Rücken. Dann gehe ich an die Lat-Zug-Maschine. Ich möchte eine breitere Brust. Dann mache ich Bankdrücken. Ich pass mein Training meinen Trainingszielen an. Und durch die Häufigkeit und durch die Intensität meines Trainings erreiche ich meine Ziele."
Die Aqua-Fitness-Trainerin Katharina Meyer weiß das natürlich. Sie gibt Kurse im Schwimmbad eines Krankenhauses:
"Vor allem im Wasser fällt es leichter. Man spürt den Körper anders, man kann andere Übungen machen wie ohne Wasser. Auch wenn man ein bisschen mehr Gewicht hat, fühlt sich das viel leichter an. Es ist sehr knochenschonend. Jeder kann sich belasten und wenn man ein bisschen Muskeln aufbauen möchte, wenn man jetzt merkt: Okay, beim Einkaufen die Tüten tragen fällt mir schwer, dann haben wir Handschuhe zur Verstärkung, wir haben Hanteln, die wir unter Wasser einsetzen können, wo wir dann mit dem Wasser arbeiten, mit dem Wasserdruck. Dass es Spaß macht und nicht weh tut, aber auch ein bisschen anstrengend ist."
Wie steigert man sich?
"Trainieren - Sich Ziele stecken - Gezielte Körperübungen machen - Die Dosis erhöhen - Sich belasten - Muskeln aufbauen - Sich anstrengen und Spaß haben."
Eine Steigerung beim Sport hat vielfältige Facetten und Effekte: Die meisten üben und trainieren für eine bessere Kondition - dazu gehören mehr Ausdauer und Kraft, mehr Schnelligkeit und Beweglichkeit. Oder es geht um eine bessere Koordination. Der Sportmediziner Robert Margerie zählt weiter auf:
"Eine Steigerung kann zum Beispiel sein, dass man einfach nicht schlechter wird. Wenn man das über Jahrzehnte halten kann, das Niveau, dann ist das eine Steigerung. Oder im Gesundheitssport kann ein Ziel sein, flüssiger Golf zu spielen, wieder Tennis spielen zu können, das kann alles Steigerung sein!"
Sport stärkt Herz und Kreislauf und ist gut für die Organe wie für Muskeln und Gelenke. Wenn wir uns darin fordern, ist dies ein Anreiz für den ganzen Körper. Es regt die Blutzirkulation noch kräftiger an, stimuliert den Stoffwechsel und fördert auch die Muskelbildung. Diese Reaktionskette verändert den Körper, sie macht gelenkiger, stabilisiert, hält gesund und fit - und ermöglicht vielleicht sogar wiederum neue sportliche Leistungen. Eine solche Vorstellung von einer persönlichen Entwicklung und Verbesserung treibt die Aktiven zum Laufen in den Wald oder zum Yoga gegen Rückenschmerzen.
Die einen wollen einen Marathon-Lauf durchhalten. Andere, wie beim Yoga, ein konkretes Ziel verfolgen. Diese Frau im Yoga-Kurs ist 50 und möcht "kräftiger werden. Und dass dadurch weniger Schmerzen im Rücken auftreten. Und dass man natürlich allgemein ein besseres Körperempfinden bekommt, ein besseres Körpergefühl, im Alltag auch sich anders bewegt, und auch dadurch Schmerzen vermeidet." Viele Studien haben es bereits bestätigt: Die Aktiven profitieren von einer sportlichen Steigerung. Vorausgesetzt, sie finden dabei ihr persönliches Maß.

High Intensity Training kann Krankheiten vorbeugen - und sie fördern

Woche für Woche schickt die Berliner Lauftherapeutin Annette Hinrichsen eine Gruppe von Frauen auf die Runden um das Sportgelände. Die Frauen sind Brustkrebspatientinnen - auch sie wollen sich trotz oder gerade wegen ihrer Erkrankung sportlich verbessern. Was ihnen dabei zu viel, was zu wenig ist, kontrollieren die Patientinnen selbst über ihre Pulsfrequenz:
"Wir wollen immer länger laufen. Das wirkt sich eben auch auf das allgemeine Leistungsvermögen im Alltag und überall wirkt sich das aus. Das längere durchhalten können oder sich auch etwas vornehmen. Dieses Anfang setzen, Ziel erreichen, das ist ein ganz wichtiger Punkt."
Die sportliche Steigerung kommt den Brustkrebspatientinnen zugute - ihre von der Krankheit und der Behandlung geschwächten Körper werden wieder fitter, ihre Psyche erstarkt. "Man traut sich wieder mehr zu. Man versöhnt sich wieder mit dem eigenen Körper - man ist einfach besser drauf", sagt eine der Frauen.
(Zitat) "In Kopenhagen liefen übergewichtige Versuchspersonen gemeinsam über den Sportplatz. Der dänische Sportwissenschaftler Jens Bangsbo testete mit ihnen in den zurück liegenden Jahren die Wirkung des so genannten hochintensiven High Intensity Trainings, eine Abfolge schneller Intervallwechsel zwischen höchster Anstrengung und Ruhephasen."
Ein solches hochintensives Training gilt als Turbomittel für die bessere Ausdauer und ist zuweilen mit Vorsicht zu genießen, vor allem bei Herzbeschwerden. Hoch intensiv zu trainieren, kann allerdings auch einigen Krankheitsrisiken vorbeugen: Im besten Fall sinken der Blutdruck oder auch der Blutfettspiegel - ein Effekt, der besser vor Diabetes schützt.
Wassergymnastik ist auch eine Möglichkeit so richtig ins Schwitzen zu kommen.
Wassergymnastik ist auch eine Möglichkeit so richtig ins Schwitzen zu kommen. © picture-alliance / ZB / picture-alliance / ZB
Professor Jens Bangsbo spricht sich allgemein für eine abgeschwächte Version dieser Methode aus: Nach dem Aufwärmen 30 Sekunden lang traben, 20 Sekunden normalschnell laufen, 10 Sekunden bis an die persönliche Grenze gehen. Nach zwei Minuten Pause folgt die nächste Runde, und bis zu fünf sollten es insgesamt sein.
(Zitat) "Die getesteten Dänen durften auch weniger laufen oder die Pausen verlängern. Es kam ihnen zugute. Sie erzielten jeder für sich einen niedrigeren Blutdruck und eine bessere Lungenfunktion - und haben das Training laut Bangsbo bis heute nicht aufgegeben."
Es kommt auf das Zusammenspiel der Dosis und ihrer Wirkung an. Denn ein Besser, Länger und Weiter kann einerseits gesundheitsfördernd, andererseits aber auch gesundheitsschädlich sein. Robert Margerie berät am Zentrum für Sportmedizin am Berliner Olympiapark Kinder, Mittelalte, Senioren, Anfänger und Olympiasieger.
"Das heißt, wir kommen nicht umhin, individuell zu gucken: Wo steht der einzelne Sportler? Was möchte er? Sind die Ziele realistisch? Und wie können wir den Sportler gesundheitlich flankiert, also medizinisch kontrolliert diesem Ziel näher bringen? Oder auch von Zielen abraten!"
Man erinnert sich an die erschreckenden Meldungen: Herzinfarkte bei Marathonläufen, Tote bei Extremsportarten, lebensgefährliche Verletzungen, chronische Schäden, ein Kreislaufkollaps. Ab wann wird es gefährlich, wenn man möglichst nah ans Limit geht?

Belastung ist wichtig, Regeneration auch

Das Zentrum für Sportmedizin veranstaltet im November 2016 ein Symposium zum Thema "Sport - stets gesund?" In der historischen Kuppelhalle im Olympiapark stellen die Referentinnen und Referenten aktuelle Erkenntnisse und Forschungsergebnisse vor.
(Zitator)"Beispiel Bluthochdruck. Je häufiger und je länger Sport getrieben wird, desto stärker ist die Blutdruck-Senkung. Doch muss auch hier genauer differenziert werden: Beim Krafttraining etwa senkt eine niedrige Intensität den Blutdruck am stärksten, bei höherer Intensität ist auch der Blutdruck höher. Bei extremem Sporttreiben nimmt daneben auch die Anzahl der aktivierten so genannten Reparaturzellen aus dem Knochenmark ab - wären sie stattdessen ausreichend vorhanden, könnten sie kleine Schädigungen an den Blutgefäßen ausbessern und so Herzinfarkte verhindern."
Die Sportmediziner empfehlen auf dem Symposium ganz generell ein dynamisches Ausdauertraining, mit eingebauten Steigerungselementen. Es kann beginnen, nachdem Vorerkrankungen medizinisch abgeklärt sind. Wenn die Familienanamnese besprochen ist, die Krankheitsfälle bei den Vorfahren und die persönliche genetische Disposition. Wenn also mögliche Anfälligkeiten thematisiert und die körperliche wie psychische Belastbarkeit untersucht wurden. All diese Daten und Befindlichkeiten bestimmen das gesunde Maß beim inneren Antrieb im Sport. Friedel M. Reischies, Professor für Psychiatrie an der Berliner Charité betont: Es gehe dann stets um die gute Balance - zwischen Anstrengung und Erholung, aber auch zwischen Ehrgeiz, Erfolg und Niederlage.
Es gibt nur eine Weiterentwicklung auch in Richtung einer höheren Leistung, einer erhöhten Zufriedenheit als Sportler, wenn man sich belastet, aber auch sich die Regenerationszeit gönnt. Damit die Muskeln sich aufbauen können, das hormonelle System, das Immunsystem und der Kopf auch wieder erholt ist.
Professor Bernd Wolfarth, leitender Arzt beim Deutschen Olympischen Sportbund, berichtet auf dem Symposium in Berlin von einem durchtrainierten Mann, dem er einen Ruhetag in der Woche und mehr Grundlagenausdauer "verordnen" musste. Der Mann war in die Sprechstunde gekommen, weil er sich inmitten all seiner sportlichen Aktivitäten irgendwie nicht mehr wohl fühlte. Dann kann ein "Übertraining" vorliegen. Mit den entsprechenden Hinweisen:
(Zitator) "Ein Leistungsabfall trotz intensiviertem Training - Vegetative Beschwerden, wie Kopfschmerzen oder Schwindel, Schlafstörungen, Krämpfe oder Darmprobleme - Vermehrte Infekte - Eine auffallende Müdigkeit im Training neben einer allgemeinen zentralen Erschöpfung."
Professor Wolfarth erklärt: Es gebe nie nur einen Parameter fürs sportliche Übertreiben. Mediziner müssten hier stets eine Ausschlussdiagnostik vornehmen und dürften nichts übersehen. Durch ein ausuferndes Training plus externe belastende Faktoren wie Familie, Beruf und Partnerschaft säßen die Betroffenen oft regelrecht in einem Stresstopf, wie Wolfarth es nennt - und sie bemerkten dies nicht. Denn es passt nicht in ihr Selbstbild. Der Psychiater Reischies:
"Wenn sie dann um den See rennen, und das klappt dann doch nicht in kürzerer Zeit, dann können sie sich unerfolgreich fühlen. Oder sie machen dann doch einen Marathon mit oder einen Halbmarathon mit und sind dann ganz enttäuscht, dass die Zeiten nicht in Ordnung sind. Und kommen dann in einen inneren Druck, und in die Selbstverpflichtung besser zu werden, mehr zu trainieren."
Die Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung ist dann nicht selten überlagert von den Steigerungsgedanken. Sich selbst sinnvoll fordern und regulieren zu können und auch die eigenen Grenzen zu erkennen, ist ein Erfahrungswert. Er muss erlernt werden. In dieser Hinsicht, sagt der Sportmediziner Margerie, hätten Leistungssportler die vernünftigere Haltung.
"Die Leistungssportler haben den Vorteil, die wachsen damit auf, nehmen auch ganz empfindlich wahr, ob sie stagnieren oder ob die Leistung voranschreitet. Ein 30-jähriger Leistungssportler stellt eben früher fest, dass es nicht mehr weiter geht, als ein 50-Jähriger, der vor vier oder fünf Jahren angefangen hat zu laufen."

"Man muss sich langsam eingrooven"

Pierre Geisensetter beendete genau aus diesem Grund mit 19 Jahren seine Karriere als Profisportler:
"Ich hätte noch härter, noch mehr trainieren müssen, um mich zu verbessern. Aber das war dann schlicht und einfach gar nicht mehr möglich."
Mittlerweile ist der Ex-Leichtathlet und Fernsehmoderator mit Trainerlizenz Sprecher einer großen Fitnessstudiokette. Der Sportler Geisensetter, 44 Jahre alt, trainiert selbst so oft wie möglich. Er blickt im Studio auf die stemmenden, ziehenden und drückenden Menschen.
"Man muss sich langsam eingrooven, langsam einfühlen. Und da sind wir auch schon wieder beim Thema Training und Trainingsziele. Je härter und je öfter ich trainiere, umso besser werde ich. Derjenige, der diese Übung gerade ausführt, wird selber merken, tut ihm das gut, tut ihm das nicht gut. Wenn ich sehe, er ist eigentlich gar nicht dazu in der Lage und fälscht die Bewegung sehr ab - natürlich schreitet man da ein."
Mit der gesunden Selbsteinschätzung ist es manchmal nicht so einfach. Vor allem wenn es gerade darum geht, die Grenzen auszuloten. Aber auch, wenn alles mal so richtig gut läuft - und dies die gute Laune und das positive Selbstwertgefühl mit ankurbelt.
"Wer von Ihnen treibt denn regelmäßg Sport?" fragt der Erlanger Sportpsychologe Dr Heiko Ziemainz das Publikum beim Berliner Symposium. "Und wer meint denn von sich, dass er süchtig nach diesem Sporttreiben ist?"
Etwa 70 melden sich, sie sind regelmäßig sportlich aktiv - 15 Personen finden, sie seien sportsüchtig. Das entspricht ungefähr den geschätzten Gesamtdaten, sagt Heiko Ziemainz. Bis zu 13 Prozent der sporttreibenden Frauen und Männer gelten als sportsuchtgefährdet, vor allem beim Radfahren, beim Laufen und im Triathlon. Auch auf dem Weg in eine Sportsucht geht es um ein Mehr, um die Erhöhung der Dosis. Eine Dosis-Steigerung ist allerdings genauso ein ganz allgemeines Trainingsprinzip, um die persönliche Leistung zu optimieren:
"Die Frage ist dann nur: Fängt man an, das Ganze für sich alleine zu planen - ohne Rücksicht auf Verluste, also immer das soziale Umfeld. Achte ich noch drauf, ob das irgendwie familienkompatibel ist oder nicht? Teile ich mit: Hier, ich will heute Abend um 17 Uhr laufen, passt das in unsere Planung? Der zweite Punkt ist: Was ist denn, wenn ich mal keinen Sport machen kann? Werde ich dann aggressiv? Werde ich unleidlich?"
Eine suchtgefährdete Person macht keine Pausen mehr und trainiert immer weiter. Die Fachleute sprechen von einer so genannten Fixierung auf das Motiv für den Sport:
"Bei Männern sind's meistens eher die Leistungsaspekte oder das Ästhetische und bei den Frauen sind's häufig eher diese figurlichen Dinge, die da 'ne Rolle spielen, warum sie Sport treiben. Und wenn dann da noch bestimmte Persönlichkeitsmerkmale dazu kommen, dann kann es sein, dass diese Bindung an den Sport, die ja grundsätzlich erst mal gut ist, kippt und er dann in eine Sportsucht oder sie in eine Sportsucht abgleitet."
So kann sich der innere Antrieb auch leicht verselbstständigen. Nicht wenige verlieren dann jegliches persönliche Maß und greifen zu legalen und illegalen "Hilfsmitteln". Der Markt für Nahrungsergänzungspräparate wächst rasant, vor allem für Proteinprodukte zum Muskelaufbau. Sie können zum Beispiel die Nieren ernsthaft gefährden. Daneben wird auch Verbotenes weiter gespritzt und geschluckt. Riskante Stoffe kombiniert mit riskantem Konsumverhalten. Das Thema Doping im Breiten- und Freizeitsport zieht immer weitere Kreise. Und die Aufgeputschten riskieren mittel- und langfristig schwere körperliche Schäden, allen voran Impotenz und Unfruchtbarkeit. Bei größeren Laufveranstaltungen werden oft Schmerzmittel eingenommen - weil sie schmerzlindernd und antientzündlich wirken.
(Zitator) "4.000 Sportlerinnen und Sportler nahmen an einer Studie zum Halbmarathon in Bonn im Jahr 2010 teil. Die Hälfte von ihnen gab an, im Rahmen des Laufs Schmerztabletten eingenommen zu haben, die andere Hälfte verneinte dies. In beiden Gruppen konnten keine nennenswerten Unterschiede gefunden, was die erfolgreiche Teilnahme am Halbmarathon betraf. Es wurde jedoch bei den Tablettennehmenden ein fünffach höheres Risiko für Nebenwirkungen festgestellt - von Darmproblemen bis zu Nierenversagen. Die Läuferinnen und Läufer profitierten also in keiner Weise von den Schmerzmitteln, viele hatten jedoch welche dabei und boten sie auch anderen an."

"Es darf auch weh tun"

Schmerztabletten, die dafür sorgen sollen, die Strapazen auszuhalten. Um den langen Lauf zu schaffen und zu bewältigen - mit Hilfsmitteln, die allerdings nichts dazu beitragen, sondern nur schaden. Dabei ist ein Schmerz eigentlich der klarste Indikator für die Grenzen der Steigerung im Sport. Der Berliner Orthopäde Felix Tobian:
"Schmerz ist grundsätzlich ein Schutzreflex. Vor Verletzung. Wenn ich in eine Belastbarkeit reingehe, wo der Körper sagt: Oh, das hab ich jetzt nicht gut unter Kontrolle, dann muss er einen anderen Schutzreflex auslösen. Und der heißt dann im Zweifelsfall Schmerz."
Gibt es also ohne Schmerzen keine Entwicklung im Sport?
(Zitator) "Es darf auch weh tun - Es soll zwicken und zwacken - Muskelkater zeigt neue körperliche Entdeckungen und spornt zum Weitermachen an - Ein bisschen Schmerz muss sein."
Tobian: "Alles, was Sie langsam mit einer guten Kontrolle machen können - auch wenn es mal zwickt und zwackt und auch wehtut - können Sie machen. Wenn sich das unter dem Training verbessert, dann haben wir tatsächlich ein fehlendes Training. Wenn sich das unter dem Training eher verschlechtert, dann sollte man schauen lassen, ob es doch ne Strukturursache für diesen Schmerz gibt."
Schmerz ist eine spürbare Grenze. Manche Sportlerinnen und Sportler gehen darüber hinaus, in der Annahme, Schmerzen aushalten zu müssen, um besser zu werden. Man trainiert "in den Schmerz hinein" - und macht dadurch alles noch schlimmer. Dann empfehlen die Mediziner Ruhephasen. Der Sportmediziner Robert Margerie hat selbst mit dem Laufen eine Weile ausgesetzt. Eine Sehnenreizung am Unterschenkel signalisierte: Überlastung.
"Nach einer gewissen Pause regeneriert sich das Gewebe und die Schmerzen treten dann nicht mehr oder verspätet auf. Das heißt, auch da gibt es eine gewisse Anpassung, einen gewissen Trainingseffekt auf ein höheres Leistungsniveau."
Der richtige Umgang mit Schmerzen kann also auch zu Steigerungen führen. Die Frage ist, ab wann es richtig ernst zu nehmend weh tut. Manche reagieren schneller, andere sind gerade im Sport sehr leidensfähig. Vor allem Extremsportler überdecken oft mit einer starken Überbeanspruchung und entsprechender Endorphinausschüttung ihr Schmerz-gefühl.
Felix Tobian ist ärztlicher Leiter eines Gesundheitszentrums in Berlin-Prenzlauer Berg. Er betreut viele Patientinnen und Patienten mit langjährigen Schmerzen. Der Orthopäde ermuntert auch sie zum Weitermachen, jedoch anders.
"Wir machen jetzt die und die Bewegung. Wo die Leute sich dann auf die Bewegung konzentrieren. Und dann wird erstaunlicherweise der Schmerz auch unwichtiger. Weil der Mensch, in dem Moment, wo er sich wieder spürt, zum Beispiel in der Bewegung, die Kontrolle auch wieder zurückbekommt."
In ihrer eigenen ganz persönlichen Steigerung fühlen sich die Menschen wohl.
(Zitator) "Kontrolliert bis an die persönlichen Grenzen gehen - Mit etwas Mut und wenig Risiko - Selbstbestimmt sich selbst beeindrucken - Ungeahnte Fähigkeiten entdecken - Sich weiter ausprobieren und darin steigern."
Die 20-jährige Frau im Fitnessstudio hat dies verinnerlicht. Sie gibt alles beim Sport: "In dem Sinne, dass man den Ansporn hat, auch über seine eigenen Grenzen zu kommen. Seine psychischen Grenzen. Bei jedem Training irgendwie noch ne Schippe drauf setzen zu wollen. Und sich auszupowern. Und dabei immer mehr zu leisten als beim letzten Mal."
Das Ziel ist, den Körper zu fordern - aber nicht zu gefährden.
"Gut strukturieren, sich ordentlich aufwärmen. Dann auch mal sagen: Bis hierhin geht's, auch von der Motivation her. Und alles, was darüber hinaus geht, bringt mich hier auch wirklich in nicht gute Zustände. Wenn einem auf dem Laufband dann die Puste ausgeht oder einem schlecht wird, oder man dann unkonzentriert wird und 'ne falsche Bewegung macht, dann bringt's einem das nicht mehr."
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