Lachen statt heiliger Ernst

26.01.2012
"Kafkas komische Seiten" sind Balsam für alle Kafka-Liebhaber, die beim Wort kafkaesk immer den komischen Unterton mithören. Anmutiger als die Autoren kann man das eherne Monument mit dem Etikett "Franz Kafka - Pater Doloroso der deutschsprachigen Literatur" nicht vom Sockel holen.
Zwar wussten seine Zeitgenossen (und publizierten es auch), dass Kafka dem eigenen Lachen so wenig abhold war wie dem Provozieren des Gelächters anderer. Walter Benjamin hatte 1939 den Verdacht, dass Kafka und Komik durch das Judentum miteinander verbunden seien: "Dem würde der Schlüssel zu Kafka in die Hände fallen, der der jüdischen Theologie ihre komischen Seiten abgewönne." Aber es half nichts. Auch nicht, dass in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts Autoren der "Neuen Frankfurter Schule" den komischen Kafka entdeckten und Kafka-Forscher wie Reiner Stach und Hans-Gerd Koch seitdem immer wieder darauf zu sprechen kommen. Bei diesem Autor raunt in den gebildeten Ständen noch immer ein heiliger Ernst, der aus ihm eine Art Katastrophenjule mit Erhabenheitssiegel macht. Kein Wunder, dass er dem breiten leselustigen Publikum noch immer versperrt ist. Kafka musste erst 87 Jahre tot sein, bevor ein Buch erscheint, das den Andachtskäfig sperrangelweit aufreißt.

In 36 Kapiteln mit herrlichen Titeln wie "25 harte Eier" oder "Die dicke warme Rehberger" oder "Schmutzian" legen Dehe und Engstler "Kafkas komische Seiten" frei, und zwar im doppelten Sinn - lebensweltlich wie literarisch. Die meisten Kapitel beginnen mit einem Kafkaschen O-Ton: aus seinen Tagebüchern, seinen Briefen an die Schwester Ottla, Felice Bauer, Milena Jesenská und Max Brod, aus noch zu Lebzeiten veröffentlichten oder nachgelassenen Texten, auch mal aus den bekannten wie "Der Proceß" oder "Die Verwandlung".

Mal schildert Kafka den legendären Lachkoller, der ihn als kleinen Beamten angesichts des Firmenpräsidenten packt, mal notiert er, was er täglich bei einer "Lichtluftkur" oder mit einem ostjüdischen Rabbi erlebt, mal spottet er über eine Postkarte.

Die Komik, um die es geht, ist nicht schenkelklopfend-wiehernd, sondern vertrackt, hintersinnig, bizarr kasuistisch oder schiere, quasi vegetative Subversion: das Antidot gegen Anonym-Übermächtig-Beängstigendes, das niemand in so universell gültige Prosa übersetzt hat wie Kafka. Das beste Mittel gegen Angsthaben ist bekanntlich Angstmachen, und wem dazu die Macht fehlt, dem bleibt nur das Lachen. Dehe und Engstler nehmen den O-Ton jeweils wie einen Ariadnefaden durch die Kafkaschen Labyrinthe, ziehen andere Fäden - Lebensdaten, Liebesnöte, literarische Entwicklungen - als Subtexte hervor, verknüpfen sie mit weiteren Textstellen, Zitaten von Zeitgenossen sowie Bildern (unter anderem Zeichnungen von Kafka) und machen so historische und individuelle Kontexte sichtbar. Mit ihrer eigenen wunderbar leichtfüßigen und gleichzeitig konzentrierten, sorgfältigen Prosa öffnen sie Türen zum Werk, die keine Schwellenängste erregen.

"Kafkas komische Seiten" sind Balsam für alle Kafka-Liebhaber, die beim Wort kafkaesk immer den komischen Unterton mithören. Es ist eben nicht zufällig mit derselben Endung gebaut wie grotesk oder karnevalesk.

Besprochen von Pieke Biermann
Astrid Dehe/Achim Engstler: Kafkas komische Seiten
Steidl Verlag
Göttingen 2011
324 Seiten, 29,80 Euro