KZ und Humor - geht das?

Der Eingang des Konzentrationslagers Theresienstadt in Tschechien.
Der Eingang des Konzentrationslagers Theresienstadt in Tschechien. © picture alliance / dpa / Peter Kneffel
Von Hermann Schmidtendorf · 17.05.2013
Sie sind wichtig, aber trotzdem weitgehend unbekannt - und das Prag-Berlin-Festival zeigt sie: Gemeint sind tschechische Filme, die sich mit der jüdischen Kultur und dem Dritten Reich auseinandersetzen. Und das Festival ist durchaus für einige Überraschungen gut.
Der grosse Saal der Tschechischen Botschaft in Berlin ist dicht gefüllt. Gebannt lauscht das Publikum jüdischer Musik mit Jazz-Elementen. Seit langem ist jüdische Kultur ein ständiger Fixpunkt in den Kulturveranstaltungen der Botschaft. Sie finden unter dem Markenzeichen "Festival tschechischer Kunst und Kultur Prag-Berlin" statt. Wesentlicher Bestandteil ist die Präsentation wichtiger, aber wenig bekannter Filme zu Aspekten der jüdisch-tschechischen Geschichte. Eine der treibenden Kräfte ist der Filmregisseur Štepán Benda.

Jüngste Entdeckung des tschechischen Kulturfestivals war der Film "Chaplin aus Theresienstadt". Die Berliner Regisseurin Sibylle Schoenemann sucht darin im heutigen tschechischen Terezin Spuren des Prager jüdischen Kabarettisten Karel Švenk. Im damaligen Vorzeige-Ghetto Theresienstadt, sozusagen im Wartesaal des Todes, stärkte der begnadete Humorist den Überlebenswillen der Leidensgenossen - mit Sketchen und der von ihm komponierten heimlichen Lagerhymne, dem "Theresienstaedter Marsch".

Bislang wurde dieser beeindruckende Film nur einmal im tschechischen Fernsehen gezeigt. Deutsche TV-Sender winkten ab: KZ und Humor, das gehe doch nicht, hieß es, auch wenn damit einem Opfer und seinen Mitleidenden Ehre zu Teil wird. Ein bedauerliches Missverständnis, finden die Dramaturgen des Kulturfestivals Prag-Berlin.

Zwei Jungen hetzen durch einen Wald, ihnen auf den Fersen sind Deutsche in Jagdkostüm. "Bleib stehen", ruft einer der Verfolger, "Nieder" ein anderer, Schüsse schallen durch den Wald. 1964 drehte der Regisseur Jan Němec den beklemmenden Schwarz-Weiss-Film "Diamanten der Nacht" über die Flucht zweier junger Juden vor ihren Häschern.

Vorlage für den Film war ein Buch des Shoah-Ueberlebenden Arnošt Lustig, der darin auch eigene Erlebnisse literarisch verarbeitete. In einer Schlüsselszene stehen die beiden eingefangenen Jungen mit erhobenen Händen an der Wand, während die zufriedenen Menschen-Jäger furchtbare Gemütlichkeit verbreiten, schmatzend Fleisch vertilgen und fröhlich singen.

Beklemmender kann man die vollständige moralische Verwahrlosung selbsternannter Herrenmenschen wohl kaum schildern als in dieser Filmszene. Wissen Sie, woher der Regisseur diese Leute hatte? fragt Štepán Benda und gibt selbst die verblüffende Antwort:

"Aus einem tschechischen Altersheim! Die waren wirklich noch da, also nicht vertriebene ansässige Deutsche, und die haben ihm das gespielt. Ich glaube aber nicht, dass er ihnen alles gesagt hat…"

Echte Sudetendeutsche spielen ihre mordenden Landsleute der Naziokkupation – solch bizarre Kunstgriffe im Dienste der Wahrheit waren in der tschechoslowakischen Filmkunst nur kurz möglich, zur Goldenen Zeit der "Neuen Welle" bis 1968. Immerhin erhielt dieser Film zahlreiche Preise auf internationalen Festivals und ist in Fachkreisen bekannt. Doch ab und zu gibt es beim "Prag-Berlin-Festival" auch echte Sensationen. Festivalmitorganisator Štepán Benda:

"Worauf ich wirklich stolz bin, ist der Film vor zwei Jahren, ich hab den Film nämlich gefunden, der ist nie in Prag gelaufen, der ist von Samuel Fuller."

Während des 2. Weltkriegs kämpfte der spätere Hollywood-Regisseur Samuel Fuller, Sohn jüdischer Emigranten aus Russland, mit der amerikanischen Armee in Afrika und Europa. Er nahm an der Befreiung des Konzentrationslagers Falkenau, auf tschechisch Sokolov, teil. Zuvor hatte der Regisseur nur Drehbücher für Filme geschrieben. Doch als das Lager befreit wurde, bediente Fuller erstmals selbst eine 16mm-Kamera – ein Geschenk seiner Mutter, erinnert sich Štepán Benda.

"In den 80er Jahren sass ich mit ihm in einer Kneipe in Berlin, und er erzählte mir, dass er diesen Film gedreht hatte mit der Kamera seiner Mutter. Jahre danach hat mir jemand gesagt, der Film existiert in Frankreich, dann habe ich den hierher geholt. Dieser Film ist nie in Tschechien gezeigt worden! Weil er darüber ist, dass die Leute leugnen, dass sie was wissen. Die haben diesen Gestank von den Leichen gehabt und dann gesagt, sie haben nichts gewusst. Der Samuel Fuller filmt die Kinder, die da spielen vor dem Zaun, und dann macht er so einen Schwenk zu dem Lager – die haben das alle gewusst! Das wollen weder Tschechen noch Sudetendeutsche hören."

Doch es gibt auch optimistische Töne im Filmprogramm des Prag-Berlin-Festivals. Im Film "Wege der Hoffnung" haben diese mit der Eisenbahn zu tun. 2004 wurde die tschechische Dokumentaristin Kristina Vlachová vom neu gegründeten slowakischen "Institut für Volksgedenken" gebeten, an Hand von erhaltenen Akten und Zeugenaussagen einen Filmzyklus zum Thema "Verbrechen des Nationalsozialismus und Kommunismus" zu erschaffen. Dabei stieß sie auf das Schicksal der Juden aus der im Nordosten der Slowakei liegenden Stadt Medzilaborce. Die Mehrheit der Einwohner waren ukrainisch stämmige Lemken, zu ihnen zählte auch die Familie des später in Amerika zu Weltruhm gelangten Künstlers Andy Warhol.

Kristina Vlachová: "Ich war sehr froh über diese Aufgabe. Denn ich lernte so eine Geschichte kennen, die ich noch nicht kannte. Das war die Geschichte slowakischer Juden, die vor dem Holocaust, vor Hitler und dem slowakischen Staat flohen. Sie versteckten sich in Güterwagen unter Holzkohle, die in die Schweiz transportiert wurde."

Der selbständige slowakische Staat diente sich damals den deutschen Nationalsozialisten als besonders aktiver Verfolger der Juden an. Für jeden aus der Slowakei deportierten Juden zahlte der Staat den Nazis sogar ein Kopfgeld von 500 Reichsmark. Doch einzelne einfache Slowaken bewiesen Mut und Menschlichkeit. Sie verhalfen, versteckt unter Holzkohle, 14 Juden aus Medzilaborce zur Flucht. Ein gutes Zeichen für Zivilcourage auch in schlimmsten Zeiten, findet Regisseurin Vlachová. Besonders erfreulich: Auch persönlich haben die Peiniger von einst nicht gewonnen.

"Schanjo Mach war der damalige Innenminister der Slowakei, ein selbsternannter Herrenmensch, der Hitler anhimmelte. Als er starb, sagte er: Sein grösstes Unglück war, dass seine Tochter – er war ja so ein Judenfresser – dass seine Tochter als Ehemann einen Juden genommen hat!"

Das Festival "Prag-Berlin" in der Berliner tschechischen Botschaft ist immer wieder gut für Überraschungen.
Mehr zum Thema