Kurzweiliges Kompendium des Lebens

02.11.2012
Etgar Kerets Kurzgeschichten sind voller absurder Situationen, Alltägliches, das durch eine rasche Wendung ins Surreale kippt. Temporeich erzählt er von existenziellen Ängsten und macht klar: Nichts ist so schlimm, dass nicht ein anderer darüber lachen könnte.
Wenn es an der Tür klopft, stehen meist ein Postbote, der Hausmeister oder ein adrettes Mormonenpaar davor. Zu Halloween kann es auch einmal eine Schar kostümierter Kinder sein. Mit all dem kann man relativ leicht fertig werden. Klopft es aber plötzlich in einem Film an der Tür, auf der Theaterbühne oder wie jetzt in der Titelgeschichte des neuen Buches von Etgar Keret, muss man darauf gefasst sein, dass das Öffnen meist mit dramatischen Folgen verbunden ist.

Hier wird der Ich-Erzähler, ein israelischer Schriftsteller namens Keret, in seinem Wohnzimmer von einem schwedischen Neueinwanderer mit vorgehaltener Waffe gezwungen, eine Geschichte zu erzählen.

Verständlicherweise tut er sich damit ein wenig schwer. Plötzlich klopft es an der Tür. Ein Meinungsforscher begehrt Einlass und als Keret versucht, ihn abzuwimmeln, zieht auch er eine Waffe. Noch einmal klopft es. Dieses Mal drängt sich unaufgefordert ein Pizzabote in den Raum, der ebenfalls eine Geschichte hören will. Einig sind sich die ungebetenen Gäste des Schriftstellers nur darin, dass es eine Geschichte "ohne Türklopfen" sein soll.

Der Verlauf von Kerets Titelgeschichte ist repräsentativ für die überwiegende Zahl der hier versammelten Erzählungen, die zwei, meist vier oder fünf, einmal auch knapp dreißig Seiten umfassen: Eine Alltagssituation kippt ins Absurde oder Surreale. Mit Witz, Ironie und schwarzem Humor, dabei aber tiefgründig, überrascht Keret den Leser durch immer neue Wendungen. Alle paar Sekunden ändern sich in seinen Geschichten Tempo, Richtung und Perspektive.

Drei Männer treffen sich vor der Gegensprechanlage eines noblen Hauses. Eingeladen zur Geburtstagsfeier eines Mannes, den sie kaum kennen. Dessen Frau hat das Überraschungsfest nach den Adressen in seinem Handy organisiert. Die Männer bleiben jedoch die einzigen Gäste, außer dem riesigen Team einer Cateringfirma. Und auch das Geburtstagskind selbst erscheint nicht. Grandios spielt Keret mit dem Unbehagen der Gäste, die so schnell wie möglich wieder weg wollen sowie mit der Bedürftigkeit der Ehefrau, deren Verzweiflung und Einsamkeit sich immer deutlicher zeigen. Am Ende der Geschichte, tief in der Nacht, aber sind es die drei, die anfangs wie Statisten wirkten und jetzt über ihr Leben und ihre eigene Ehe nachdenken.

Insgesamt sind Kerets Geschichten stark grundiert von existenziellen Ängsten und Katastrophen. Es wird sehr viel darin gestorben, es gibt Ausflüge in die Unterwelt, es gibt Engel, die einem vor dem Flugzeugabsturz noch einen letzten Wunsch gewähren, es gibt den Auftragskiller, der als Teddybär reinkarniert. Und es gibt jede Menge Situationen aus dem Familienalltag, die jeden, der so etwas kennt, zum Lachen und Weinen bringen werden. "Plötzlich klopft es an der Tür" ist ein mit phantastischen Bildern gespicktes, kurzweiliges Kompendium des Lebens - bunt, dynamisch, voller Schmerz, Lust und Trost. Die Geschichten machen klar: Nichts ist so schlimm, als dass nicht ein anderer noch darüber lachen könnte.

Besprochen von Carsten Hueck

Etgar Keret: "Plötzlich klopft es an der Tür"
Aus dem Hebräischen von Barbara Linner
S.Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012
265 Seiten, 18,99 Euro
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