Kurz und kritisch

Von Ernst Rommeney · 17.11.2013
Willy Brandt ist momentan gleich in drei Publikationen vertreten: In der Biografie Peter Brandts über seinen Vater, der Zusammenstellung von Anekdoten Brandts von seinem ehemaligen Außenminister Heli Ihlefeld und als Comic-Held. Mit August Bebel steht ein weiterer Sozialdemokrat im Mittelpunkt der Kritiken.
Natürlich erzählt ein ältester Sohn privater und authentischer als andere Biografen. Doch wechselt Peter Brandt immer wieder und ganz bewusst in die distanzierte Rolle eines interessierten Fachhistorikers. Er ist Professor für Neuere Deutsche und Europäische Geschichte an der Fernuniversität Hagen.

Sensibel und fair nähert er sich den Beteiligten, hinterlässt so den Eindruck, da habe eine Familie gut zusammengehalten – trotz anstrengendem Politikerleben, allerlei Spannungen und zerbrochener Ehe. Neugierigen enthüllt er so gut wie nichts. Ob sein Vater depressiv war, weiß er weder zu dementieren noch zu bestätigen. Auch Frauengeschichten hält er für aufgebauscht.

Umso interessanter zeichnet er dessen politische Kontur. Geprägt war Willy Brandt vom Exil in Norwegen. Dort lernte er, dass die Konfliktlinie nicht zwischen Sozialismus und Kapitalismus, sondern zwischen Demokratie und Diktatur verlaufe.

Auf seinen Reisen durchs faschistisch geprägte Europa entwickelte er eine Aversion gegen anmaßende deutsche und sowjetische Kommunisten, gegen rechthaberische Streithähne, welche die Einheit linker Opposition sabotierten.

Das brachte ihm nach dem Kriege den Ruf ein, ein rechter Sozialdemokrat und ein kalter Krieger zu sein. Ja, er sei ein Kämpfer gewesen. Zugleich aber sieht der Historiker-Sohn im Politiker-Vater einen lupenreinen Pragmatiker, einen Reformer der kleinen Schritte, der diskutieren ließ und versöhnen wollte – und deswegen oft als Zauderer angesehen wurde.

Und er sieht ihn als Patrioten wie auch Weltbürger, der sich durch seinen Rücktritt als Bundeskanzler die Tür für eine neue Aufgabe geöffnet habe, nämlich Vorsitzender der Nord-Süd-Kommission und der Sozialistischen Internationale zu werden, was ihn wieder linker habe werden lassen.

Lesart-Cover: Peter Brandt "Mit anderen Augen"
Cover: Peter Brandt "Mit anderen Augen"© Dietz Verlag
Peter Brandt: Mit anderen Augen. Versuch über den Politiker und Privatmann Willy Brandt
Dietz Verlag, Bonn 2013
280 Seiten, 24,90 Euro


Heli Ihlefeld begleitete ihn, als er Außenminister und Bundeskanzler war, auf Auslandsreisen, durch Wahlkämpfe oder im Bonner Politikalltag. Sie kenne keinen Politiker, der wie Willy Brandt so viel Spaß an Witzen hatte, der dabei Geschichten eher selbstironisch erzählte, nicht auf Kosten anderer.

Die Journalistin beschreibt eine Vielzahl von Situationen, die auf eine Pointe, eine Lebensweisheit hinauslaufen. So habe die Geschichte gelehrt: Zur Entfachung von Krisen genüge einer, aber zur Erhaltung des Friedens seien alle notwendig.

Und wer Grenzpfähle im Europa abbauen wolle, müsse aufhören, sie verrücken zu wollen. Und noch eines: Mit seiner Vorstellung eines weltoffenen Europas würde sich Abschottung vor Migration nicht vereinbaren lassen.

Ein andermal sah er die Demokratie auf dem Weg zur Fotokratie. Oder ihm schwante, sollte der Sozialismus einmal sterben, dann entweder den Papier- oder den Sitzungstod. Außerdem seien Söhne oft schwieriger zu überzeugen als Politiker.
Lesart-Cover: Wiily Brandt "Auch darüber wird Gras wachsen ...", erzählt von Heli Ihlefeld
Cover: Wiily Brandt "Auch darüber wird Gras wachsen ...", erzählt von Heli Ihlefeld© Herbig Verlag
Auch darüber wird Gras wachsen. Anekdotisches und Hintergründiges von Willy Brandt, erzählt von Heli Ihlefeld
Herbig-Verlag, München 2013
160 Seiten, 10,00 Euro


Vielleicht hätte es ihm selbst gefallen, sein Leben als Comic Revue passieren zu lassen, als Graphic Novel. Als Bildergeschichte, die mit bunten Zeichnungen und knappen Sprechblasen Orte und Handlungen dramatisch beschreibt, ihnen Atmosphäre gibt und durch drastische Gesichtsausdrücke untermalt.

Sicher, die Illustrationen von Ingrid Sabisch und die Dialoge von Heiner Lünstedt interpretieren und kommentieren. Aber so packen sie den Leser auch - und beweisen, dass es dem Comic immer mehr gelingt, seriös Wissen zu vermitteln.

Erst recht, wenn Helga Grebing den eigenen Text neben die Cartoons von Ansgar Lorenz setzt, auch drüber oder drunter. Sie erzählt mit einfachen Sätzen, ordnet Lebensstationen historisch ein, erläutert Wichtiges nochmals gesondert: also Personen, Ereignisse, Abkommen.

Lesart-Cover: Ingrid Sabisch u.a. "Willy Brandt"
Cover: Ingrid Sabisch u.a. "Willy Brandt"© Knesebeck Verlag
Willy Brandt. Sein Leben als Comic
Zum einen erschienen im Knesebeck Verlag München mit Illustrationen von Ingrid Sabisch und Texten von Heiner Lünstedt
112 Seiten, 22,00 Euro
und zum anderen im Vorwärts Buchverlag Berlin, gezeichnet von Ansgar Lorenz und geschrieben von Helga Grebing
80 Seiten, 15,00 Euro


1840 geboren, wuchs er in Wetzlar am Rande der Unterschicht auf. Er schaffte den Aufstieg zum Drechslergesellen und Handwerksmeister in Leipzig. Wiss- und lernbegierig nutzte er Chancen, die sich ihm boten, erst innerhalb der Familie, dann in Arbeitervereinen, später im eigenen Betrieb, im Reichstag und in der Sozialdemokratischen Partei.

Seinen Einstellungen nach sei August Bebel ein Liberaler gewesen, beschreibt ihn Jürgen Schmidt, Historiker an der Humboldt-Universität Berlin. Er wollte sich von den Fesseln der Obrigkeit befreien und träumte von einer klassenlosen Gesellschaft. Erst als sich die Stadtbürger, die Intellektuellen, die Arbeitgeber nicht als Partner der Arbeiter erwiesen, wandelte er sich zum Sozialisten.

Fortan sagte er dem herrschenden System voraus, dass es zusammenbrechen werde, und galt der konstitutionellen Monarchie als gefährlicher Mann, der als Organisator, Agitator, Volksredner, Theoretiker und Abgeordneter populär wurde, sich zur grauen Eminenz der SPD entwickelte.

Er überstand Fraktionskämpfe innerhalb der Arbeiterbewegung und politische Verfolgung durch den Staat. Pragmatisch sah er die Gegenwart und visionär die Zukunft. Doch trotz aller Wahlerfolge hätten weder er noch seine Partei einen Weg dorthin finden können.

Lesart-Cover: Jürgen Schmidt "August Bebel - Kaiser der Arbeiter"
Cover: Jürgen Schmidt "August Bebel - Kaiser der Arbeiter"© Rotpunktverlag
Jürgen Schmidt: August Bebel - Kaiser der Arbeiter
Rotpunktverlag, Zürich 2013
287 Seiten, 27,00 Euro



Die Original-Töne Willy Brandts für diese Sendung wurden entnommen aus:
Willy Brandt. Mehr Demokratie wagen. Reden und Interviews, ausgewählt von Dorothee Meyer-Kahrweg
Der Hörverlag, München 2013
5 CDs, 360 Minuten, 19,99 Euro