Kurz und kritisch

22.09.2013
Drei Perspektiven auf Schule und Bildung: Melda Akbaş blickt auf ihre Schulzeit zurück. Philippe Wampfler klärt Lehrer über das Web 2.0 auf. Und Sven Böttcher schreibt ein "Bildungsvermächtnis" für seine Tochter.
Anekdoten einer 22-Jährigen
In die Köpfe von Schülern hineinschauen zu können, wünscht sich mancher Lehrer. Melda Akbaþ ist zwar schon stolze 22, aber ihre Erinnerungen an die Schulzeit dürfen getrost als tagesaktuell gelten – so schnell ändert sich im Schulalltag nichts.

Nach der Lektüre ihres Pamphlets "Warum fragt uns den keiner?" weiß man, dass es im Kopf von Schülern unsortiert und gefühlig zugeht. Ein paar Häppchen Fachliteratur schwimmen in einem Meer von Schulanekdoten, wie sie jede Generation aufs Neue erzählt. Lehrer sind darin schon mal "Deppen", die Oberstufe besteht aus Prä-Abitur-Partys und die Gestaltung des Abi-Buchs erscheint wichtiger als die Prüfungen.

Überliefernswert an dieser banalen Publizistik à la Endlos-Blog-Beitrag sind allenfalls ein paar Passagen über die Schwierigkeiten von Migrantenkindern, sowie die Schilderung der jähen Kluft zwischen computerversierten Kids und technisch rückständigen Lehrern. Und die Rezepte zur Verbesserung der schulischen Praxis? "Man sollte mehr Essays schreiben", zum Beispiel. Damit dann noch mehr Jungautoren ihre Schnellhefter aus der Schulzeit plündern, um Bücher wie diese auf den Markt zu werfen.

Melda Akbaº: "Warum fragt uns denn keiner?"
Melda Akbas: "Warum fragt uns denn keiner?"© C. Bertelsmann Verlag
Melda Akbaþ: Warum fragt uns denn keiner? - Was in der Schule falsch läuft
C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh 2013
224 Seiten, 14,99 Euro

Facebook-Nachhilfe für Pädagogen
Hier spricht ein Lehrer – ein kompetenter: "Es ist möglich, daran mitzuarbeiten, dass die Auswirkungen von Social Media wünschenswert und menschenfreundlich sind." Der Schweizer Philippe Wampfler beschäftigt sich seit Jahren mit dem Web 2.0 in der Schule. Weder mag er in den Schwanengesang über eine iliterate Jugend einstimmen, noch teilt er die Euphorie über eine gänzlich digitalisierte Bildung.

Informativ und klug referiert und reflektiert er die Entwicklungen der letzten Jahre. Wohlwissend, dass die meisten seiner Kollegen irgendwo zwischen AOL-"Ich-bin-drin" und Windows XP stehengeblieben sind.

Er erläutert neue Medienumgangsformen – Komponieren, Kuratieren, Kommentieren – und beschreibt deren lauernde Fallen. Die Permanenz einer hinterlassenen Botschaft, der mögliche Kontextwechsel von spontanen Äußerungen und die unberechenbare Skalierbarkeit der Öffentlichkeit hinter den paar Followern, die man normalerweise nur hat, machen die Kommunikationskultur im Netz riskant. Für Jugendliche wie für Erwachsene. "Social Media werden einmal so aufregend sein wie Staubsauger", meint Wampfler. Bis dahin bedürfen sie jedoch noch vieler Erläuterungen. Nicht nur unter Lehrern, aber dort unbedingt.

Philippe Wampfler: "Facebook, Blogs und Wikis in der Schule"
Philippe Wampfler: "Facebook, Blogs und Wikis in der Schule"© Vandenhoeck&Ruprecht
Philippe Wampfler: Facebook, Blogs und Wikis in der Schule - Ein Social-Media-Leitfaden
Vandenhoeck&Ruprecht 2013
174 Seiten, 24,99 Euro


Bildungsjuwel - Brief eines liebenden Vaters
Drei Töchter hat der Schriftsteller Sven Böttcher, aber ein zu kurzes Leben, das wegen einer besonders schweren MS-Erkrankung zu Ende zu gehen droht. So schreibt er für seine Älteste ein Buch, "Quintessenzen", damit er ihr – so oder so – am 18. Geburtstag etwas mitgeben kann: Erfahrungen, Erkenntnisse, Geständnisse selbst widerfahrener Lebensirrtümer und Einsichten in gewonnene Lebensweisheiten.

Wenn Bildung nicht nur aus stupider Wissensvermittlung bestehen, sondern Kindern etwas Stärkendes mitgeben soll, ist dieses Buch ein Bildungsjuwel: Persönlich, aufrichtig und unideologisch. "Liebe entsteht aus Reichtum, Verliebtheit aus Mangel", warnt der Vater die Tochter vor der Verwechslung beider Zustände und betont, dass Liebe ohne eigenen Nachwuchs unvollständig bleibe.

Geld findet er als Freiheitsmedium wichtig, doch angesichts des "Gesetzes vom abnehmenden Grenznutzen" nicht essenziell fürs persönliche Glück. In Notlagen zähle ohnehin nur eines: Menschen zu kennen, die Güte im Herzen tragen.

Das klingt in dieser Kürze süßlich, ist aber ganz handfest und unsentimental. Hin und wieder enthält das Buch auch anwendbare Regeln, zum Beispiel für den täglichen Einkauf: "Wenn auf der Zutatenliste irgendwas steht, was ein Achtjähriger nicht unfallfrei vorlesen kann, nimm es nicht in den Mund." Das befolgt Böttcher seit etlichen Jahren selbst – und lebt, entgegen der ärztlichen Prognose, noch immer.

Sven Böttcher: "Quintessenzen"
Sven Böttcher: "Quintessenzen"© Ludwig Verlag
Sven Böttcher: Quintessenzen - Überlebenskunst für Anfänger Ludwig Verlag 2013
160 Seiten, 16,99 Euro