Kurz und kritisch

21.11.2010
Angela Contzen betrachtet die Symbole der europäischen Kultur genauer. Ein Edition der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung befasst sich mit Adolph Freiherr Knigge. Historikerin Barbara Taylor und Psychoanalytiker Adam Phillips widmen dem Thema Freundlichkeit einen Essay.
Angela Contzen: "Die Symbole des Westens"
Scorpio-Verlag

Europa leistet sich bizarre Kultur-Debatten. Die Erben der europäischen Aufklärung verteidigen den Islam, einen Monotheismus von "kriegerisch-arabischen Nomaden" – wie ihn der unverdächtige Historiker Wehler nennt. Unsere Kämpfer gegen die Todesstrafe blicken scheu zur Seite, wenn der Strafvollzug durch Steinigung praktiziert wird. Man verwahrt sich dagegen, wenn fremde Kulturen als fremde Kulturen definiert werden. Man hätte gern Denkverbote, und man verdrängt die Großen der Aufklärung: Rousseau, Nietzsche, Freud, Einstein. Da darf es nicht erstaunen, wenn es gelegentlich zaghaften Widerspruch gibt. Angela Contzen erinnert daran, dass wir Europäer sind, auch dann, wenn einige nicht wissen, was das bedeutet. Europa ist ja nicht nur Christentum, sondern auch Musik und Literatur, Mythos und Geschichte, die lebendigste aller Kulturen. Und wir leben mit und von den Symbolen dieser Kultur. Contzen betrachtet diese Symbole genauer und sie konzentriert sich auf einige der wichtigsten: "Die Zeit" gehört dazu und "Der Tod", "Das Alter" und "Die Liebe" - zwölf insgesamt, geordnet nach den Monaten des Jahres. Kein akademisches Buch, aber gebildet und angenehm zu lesen.

Pierre-André Bois, Wolfgang Fenner, Günter Jung, Paul Raabe, Michael Rüppel und Christine Schrader (Hg.): "Adolph Freiherr Knigge. Werke" Wallstein Verlag

Man tut ihm unrecht, dem Knigge, wenn man ihn auf einen Benimm-Coach reduziert. Er hat so viel mehr beigetragen zur deutschen Geistesgeschichte als allgemein bekannt ist; ihn eine der wichtigsten Figuren der Aufklärung zu nennen, ist keine Übertreibung; er beherrschte alle schriftstellerischen Disziplinen und beeindruckt uns noch heute mit seinem Scharfblick und seiner analytischen Kraft. Dass Heinrich Heine ihn einen ‘tiefen Kenner der Menschen und Bestien’ nannte, zeigt: Adolph Freiherr Knigge hat uns durchschaut, und es gehört nicht viel Abstraktionsvermögen dazu, seine Einsichten nutzbar zu machen im Bestiarium des 21. Jahrhunderts. Dabei hilft jetzt eine äußerst gelungene Edition der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und der Wüstenrot Stiftung, gewissermaßen ein ‘Best Of’ Knigge. Allein das sind schon vier Bände, bereichert durch einen Essay der Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff, in einer schönen Kassette:

Adam Phillips und Barbara Taylor: "Freundlichkeit. Diskrete Anmerkungen zu einer unzeitgemäßen Tugend"
Verlag Klett-Cotta

Apropos Bestiarium ... . Der Mangel an Freundlichkeit ist nicht nur in bestimmten Regionen Deutschlands auffällig, auch andere Nationen haben da offenbar ihre Probleme, jedenfalls widmen zwei Briten, die Historikerin Barbara Taylor und der Psychoanalytiker Adam Phillips, dem Thema einen Essay. Sie untersuchen die unterschiedlichen Spielarten und die doppelten Böden einer scheinbar angestaubten Tugend. Unsere Spezies ist zwar schrecklich eigensüchtig, und doch ist – nach Rousseau - ein menschliches Wesen ohne freundschaftliche Bindungen entweder ein Phantom oder ein Wahnsinniger. Die Autoren plädieren für eine unromantische, eine zeitgemäße Freundlichkeit. Und dass sie nur kaschierter Egoismus sei, wollen sie nicht gelten lassen. Ein kluges Büchlein - und ein leidenschaftliches. Also bitte lächeln!
Buchcover: Angela Contzen: "Die Symbole des Westens“ Scorpio-Verlag
Buchcover: Angela Contzen: "Die Symbole des Westens“© Scorpio Verlag
Buchcover: Pierre-André Bois, Wolfgang Fenner, Günter Jung, Paul Raabe, Michael Rüppel und Christine Schrader (Hg.): "Adolph Freiherr Knigge. Werke“. Wallstein Verlag
Buchcover: Pierre-André Bois, Wolfgang Fenner, Günter Jung, Paul Raabe, Michael Rüppel und Christine Schrader (Hg.): "Adolph Freiherr Knigge. Werke“© Wallstein Verlag
Buchcover: Adam Phillips und Barbara Taylor: "Freundlichkeit. Diskrete Anmerkungen zu einer unzeitgemäßen Tugend’, Verlag Klett-Cotta.
Buchcover: Adam Phillips und Barbara Taylor: "Freundlichkeit. Diskrete Anmerkungen zu einer unzeitgemäßen Tugend’© Verlag Klett-Cotta