Kurz und kritisch

11.01.2009
In "Evdokija" entwirft Leonid Dobycin ein Panorama der Gesellschaft einer Kleinstadt der baltischen Provinz am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Othmar Andrée widmet sich in "Czernowitzer Spaziergänge" schon lange der Geschichte, Kunst und Literatur der Bukowina. Guy Wagner setzt sich in "Korngold" mit der Vita dieses ungewöhnlichen Musikers auseinander.
Leonid Dobycin: Evdokija
übersetzt und herausgegeben von Peter Urban, Friedenauer Presse, Berlin.

Manche nennen ihn den "berühmtesten Geheimtipp" der russischen Literatur: Leonid Dobycin, ein Schriftsteller, der einst zur Avantgarde seines Landes zählte, sich 1936 das Leben nahm und fast vergessen ist. Zu Unrecht, wie eine jetzt erstmals auf Deutsch erschienene kurze, aber ganz besondere Erzählung zeigt: In "Evdokija" entwirft dieser Autor ein Panorama der Gesellschaft einer Kleinstadt der baltischen Provinz am Vorabend des Ersten Weltkriegs.

Übersetzer Peter Urban schreibt: "Dobycins erzählerischer Minimalismus baut aus feinen, geradezu photografisch genauen Beobachtungen, aus kleinsten Einzelheiten sein Bild des großen Ganzen erklärt, suggestiv und unverhohlen ironisch, woraus sich die Kriegshysterie von damals zusammensetzt." Wir haben hier ein ausgefallenes Stück Prosa, eine impressionistische Miniatur - und das auch noch in einer sehr schönen, bibliophilen Ausgabe.


Othmar Andrée: Czernowitzer Spaziergänge. Annäherungen an die Bukowina Verlag Ralf Liebe, Weilerswist.

Noch einer, den der Mythos Czernowitz nicht los lässt: Othmar Andrée widmet sich schon lange der Geschichte, Kunst und Literatur der Bukowina – eine Gegend, in der einmal Menschen und Bücher lebten, wie Paul Celan von seiner Heimat sagte. Auf den aktuellen Stadtplänen von Czernowitz – so schreibt Andrée - findet man allerdings keine Wassilkogasse mit dem Geburtshaus von Celan, oder die Erinnerungstafel für Rose Ausländer, da kann man lange suchen. Nicht, wenn man mit Andrée geht. Seine jetzt neu aufgelegten Czernowitzer Spaziergänge führen ohne Umwege an die Stätten der großen Vergangenheit einer Region, die inzwischen nicht mehr ganz so fern erscheint, und sie zeigen dem Leser außerdem deren erstaunlich vitale Gegenwart.


Guy Wagner: Korngold. Musik ist Musik
Verlag Matthes und Seitz, Berlin.

Die Erschütterungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lassen sich eindrücklich an persönlichen Lebenswegen nachzeichnen. Der Luxemburger Guy Wagner hat sich akribisch in die Vita von Erich Wolfgang Korngold hineingearbeitet und die erste deutschsprachige Biografie dieses ungewöhnlichen Musikers vorgelegt - eines Wunderkindes, das viele bewunderten: immerhin Mahler, Strauss, Furtwängler.

Eines Musikers, dessen Karriere ganz anders verlief als zu erwarten, der dann souverän zwischen den Stilen operierte - zwischen Oper und Hollywood - und der Musik nicht in Sparten einteilte. Dessen Existenzkampf hart war und der erst nach seinem Tod Anerkennung fand. Bis heute wohl noch immer nicht genug. Das zeigt dieses Buch, das viel mehr ist als eine Biografie - ein spannendes Stück Zeitgeschichte.


Lektüretipp von Jörg Friedrich: "Westend" von Annemarie Weber, Verlag Klaus Desch und dtv, nur noch antiquarisch
Cover: "Leonid Dobycin: Evdokija"
Cover: "Leonid Dobycin: Evdokija"© Friedenauer Presse
Cover: "Othmar Andrée: Czernowitzer Spaziergänge"
Cover: "Othmar Andrée: Czernowitzer Spaziergänge"© Verlag Ralf Liebe
Cover: "Guy Wagner: Korngold. Musik ist Musik"
Cover: "Guy Wagner: Korngold. Musik ist Musik"© Verlag Matthes und Seitz