Kurz und kritisch

17.02.2008
Mit seinem Essay "Unerhörte Freiheit" stimmt Wolfgang Engler ein Totenlied der Arbeitsgesellschaft an. Das Buch "Es genügt, dass die Schönheit unseren Überdruss streift" versammelt Aphorismen des Kolumbianers Nicolás Gómez Dávila. In "Wovon lebst Du eigentlich?" geben Künstler Einblick ins heikle Feld ihrer Vermögensverhältnisse.
Wolfgang Engler: Unerhörte Freiheit
Aufbau Verlag, Berlin 2007

Seine Gedanken sind schwer, seine Sätze kompliziert, doch die Botschaft ist simpel. Wolfgang Engler kocht ein erfolgreiches Thema zum zweiten Mal auf. Nach "Bürger ohne Arbeit" stimmt er mit dem Essay "Unerhörte Freiheit" erneut das Totenlied der Arbeitsgesellschaft an. Diesmal steht das "auskömmliche Grundeinkommen" im Mittelpunkt, das der Staat jedermann zuweisen solle, wenn er nicht mehr allen Bürgern "gute Arbeit" garantieren könne. Das konnte der Staat zwar noch nie, doch ganz seiner DDR-Sozialisation verhaftet, traut Engler dem Gemeinwesen mehr zu als der kapitalistischen Wirtschaft. Ein Aufbegehren gegen sozialstaatliches Anspruchsdenken erlaubt er sich dennoch: Bedingungslos soll das Grundeinkommen nicht sein, sondern an eine zweckfreie Bildungsverpflichtung geknüpft. Aus "stillgelegten Freizeitindividuen" werden dann fröhliche Arbeitslose mit Schillerversen auf den Lippen. Humanistische Selbstentfaltung für die Unterschicht? Im Sozialismus ist der "neue Mensch" gescheitert. Aber im zweiten Anlauf klappt es bestimmt.

(Hrsg.) Michael Klonovsky: Nicolás Gómez Dávila: Es genügt, dass die Schönheit unseren Überdruss streift
Reclam Verlag, Ditzingen 2007

Sigrid Löffler hasst, Botho Strauß schätzt und Martin Mosebach liebt ihn: Der 1994 verstorbene Kolumbianer Nicolás Gómez Dávila lässt Herzen höher schlagen. Als einsiedlerischer Denker, der nur für einen kleinen Kreis Gleichgesinnter schrieb, war er so elitär, dass er alle Massenbewegungen verabscheute. "Zielen wir hoch, dann gibt es kein Publikum, das beurteilen kann, ob wir getroffen haben”, lautete sein Lebensmotto. Michael Klonovsky hat nun – eigentlich ein Widerspruch in sich – eine Volksausgabe galliger Dávila-Aphorismen versammelt. Wer Politik aus ästhetischen Gründen ablehnt, kommt hier ganz auf seine Kosten. Originalton: "Wir Feinde des allgemeinen Wahlrechts hören nicht auf, uns über den Enthusiasmus zu wundern, den die Wahl einer Handvoll Unfähiger durch einen Haufen Inkompetenter weckt.” Darf man so etwas in Deutschland schon wieder sagen? Aber ja! Nichts reinigt die Geschmacksnerven besser vom klebrigen Zucker der Parteiendemokratie als ein tiefer Schluck aus der Flasche aristokratischer Verbitterung.

Jörn Morisse, Rasmus Engler: Wovon lebst du eigentlich?
Piper Verlag, München 2007

Ein Buch stellt die richtige Frage: "Wovon lebst du eigentlich?" Geduzt wird mit vollem Recht, es geht um die Kulturszene. Musiker, Maler, Schriftsteller und andere von Anfang 20 bis Mitte 60 geben Einblick ins heikle Feld der eigenen (Un)vermögensverhältnisse. Verblüffend ehrlich, erstaunlich unlarmoyant, zuweilen erfrischend kratzbürstig. Da wäre die Schriftstellerin, die postuliert: "Künstlertum ist eine Entscheidung" und deswegen Subventionen ablehnt. Oder der Musiker, der meint, es schade seinen Kindern nicht, "mal mitzukriegen, dass die Eltern pleite sind". Selten werden fremde Mächte für die eigene Lage verantwortlich gemacht, selbstbewusste Marktverweigerung und ein heftiger Widerwille gegen Bürokratie verursachen schon eher die Einkommensverluste. Man nennt das Freiheit - weshalb das Buch eine interessante Kontrastlektüre zu Wolfgang Englers hochmögendem Theoriediskurs darstellt: Nicht alle, die Prekariat gescholten werden, hadern mit ihrem Leben.

Buchtipp von Barbara John:
Josef Reichholf: Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrhunderts
S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main