Kurz und kritisch

Über Rattenfänger und Diplomaten

Jörg Haider im Jahr 2008
In "Haiders Schatten" liefert der Spin-Doctor des Rechtspopulisten Jörg Haider Einblicke in die Zusammenarbeit beider Männer. © dpa/ picture-alliance/ Herbert Pfarrhofer
Von Florian Felix Weyh · 21.11.2015
Bereits als Student hatte es Stefan Petzner zum Spin-Doctor des österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haiders gebracht - jetzt liefert er Einblicke in seiner Haider-Biografie. Und in "Aufbruch Schweiz - Zurück zu unseren Stärken" geißelt der Diplomat Tim Guldimann Populismus in der Schweiz.
15 Minuten lang war er berühmt, als er auf einer Pressekonferenz nach dem Unfalltod Jörg Haiders diesen weinend als seinen "Lebensmenschen" bezeichnete. Noch als Student hatte Stefan Petzner es zum Spin-Doctor des österreichischen Rechtspopulisten gebracht. Nun, im Abstand von acht Jahren, legt er so etwas wie eine Beziehungsbiografie über sich und Haider vor.
In Tonfall und Stoff erinnert das nicht selten an Yellowpress-Artikel, ist aber dennoch von Interesse. Denn Petzner hat den Aufstieg des Rechtspopulisten, für den sogar die österreichische Kanzlerschaft in greifbarer Nähe gewesen war, aktiv mitgestaltet.
Heute scheint ihm das nicht mehr ganz geheuer: "Ich habe mich nie für Ideologien interessiert", entschuldigt er sich, "meine Begeisterung für die Politik galt immer nur dem Handwerk."
Populisten häufen nur Staatsschulden auf
Dieses Handwerk schildert er in seinem Buch. Haiders beinahe zehnjährige Regierungszeit im Bundesland Kärnten kam zum Beispiel die Steuerzahler teuer zu stehen. "Brauchtumsvereine schwammen im Geld", sagt Petzner, weil Populisten jeder Couleur ihre Wähler mit Geschenken bei der Stange halten müssen.
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Cover: "Haiders Schatten: An der Seite von Europas erfolgreichstem Rechtspopulisten"© edition a
Faul sei Haider als Regierender obendrein gewesen, nur auf öffentliche Auftritte außerhalb seines Büros bedacht. Denn populistische Politik beruht auf dem Aufmerksamkeitsbedürfnis ihrer Führungsfiguren. Sie ist weder zwingend rechts, noch zwingend links, sondern allein narzisstisch motiviert.
"Die Gegenspieler der Rechtspopulisten müssen vor allem deren Anführer gezielt angreifen, ihren Wählern hingegen müssen sie mit Verständnis begegnen."
Verfrühter Alarmismus ist kontraproduktiv
Dass bei Geert Wilders, Marine LePen oder Teilen der AfD eben nicht so vorgegangen wird, hält der geläuterte PR-Mann für den aktuellen Fehler der europäischen Presse und Politik. Seine Strategieempfehlung lautet: "Ignorieren, bis die Grenzüberschreitung passiert, dann empört reagieren und schließlich isolieren."
Wer dagegen schon bei der ersten gezielt geschmacklosen Wortmeldung "Nazi, Nazi!" schreie, gäbe das Spiel verloren. Denn die Wähler der Populisten seien meist keine Extremisten und fühlten sich durch die von ihnen nicht nachvollziehbare Nazi-Zuweisung noch unverstandener als ohnehin. Nur wer die Ichbezogenheit der populistischen Führer entlarve, könne ihre Wirkungsmacht entschärfen.

Stefan Petzner: "Haiders Schatten: An der Seite von Europas erfolgreichstem Rechtspopulisten."
Edition A
224 Seiten, 21,90 Euro.

Das erwartet man kaum: Ein helvetischer Botschafter erzählt, er sei ein "ehemaliger Drittwelt-Marxist" und schon einmal "unter Absingen böser Lieder aus dem diplomatischen Dienst" geschieden. Doch Tim Guldimann, zuletzt Schweizer Gesandter in Berlin, ist anders als viele andere im Diplomatischen Corps.
Der russisch und arabisch sprechende Politikwissenschaftler leitete die OSZE-Mission im Kosovo, vermittelte einen brüchigen Frieden in Tschetschenien und sitzt nun, nach seiner Pensionierung, als sozialdemokratischer Abgeordneter im Berner Parlament.
Direkte Demokratie ist nicht sakrosankt
Diplomatische Zurückhaltung ist seine Sache nicht. Jedenfalls nicht im buchlangen Interview, das er zwei Landsleuten gegeben hat. Darin wirft er der Schweiz ihre "Selbstverzwergung" vor, legt schmerzhaft den Finger in die Wunde der Fremdenfeindlichkeit und geißelt den Populismus der SVP, die mit hanebüchenen Plebisziten der direkten Demokratie schade.
Der Volkswillen an sich ist für Guldimann allerdings ebenso wenig eine heilige Kuh wie das Verständnis seines Heimatlandes als "Willensnation" mit vier Kulturen und vier Landessprachen. "Wenn wir die Rätoromanen als Referenz nehmen", sagt der selbstkritische Schweizer, "sind wir ein Land mit einem Dutzend Muttersprachen". Zumindest Tamilisch und Kurdisch müssten – den absoluten Zahlen nach – längst gleichberechtigt sein.
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Cover: "Aufbruch Schweiz! Zurück zu unseren Stärken"© Verlag Nagel & Kimche AG
Ratgeber für Krisendiplomatie
Jenseits helvetischer Nabelschau steht immer wieder Krisendiplomatie als "Beihilfe zur Verständigung" im Fokus: Was es heißt, mit Gewalt und Sprachlosigkeit umzugehen, kann man vom Vermittler Guldimann lernen. Ja, auch zwischen brutalen Gegnern muss man eine gemeinsame Sprache finden und Respekt etablieren.
Das klingt ein wenig nach dem alten Schweizerprinzip bedingungsloser Neutralität, doch damit hat Guldimann wenig am Hut. Er zitiert einen belgischen Diplomaten mit den Worten: "Neutralität? Wir haben's zweimal versucht. Funktioniert nicht."
Das Buch aber funktioniert – als geistvolle und aufklärende politische Lektüre, voller Welterfahrung und Lebensklugheit.

Tim Guldimann: "Aufbruch Schweiz. Zurück zu unseren Stärken"
Ein Gespräch mit Christoph Reichmuth und José Ribeaud.
Verlag Nagel und Kimche
144 Seiten, 16,90 Euro.

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