Kurz und kritisch

Thesen zum Terror

Ein Anhänger des IS mit der Flagge der Miliz
Ein Anhänger des IS mit der Flagge der Terrormiliz © afp
Von Christian Rabhansl · 14.02.2015
Der "Islamische Staat" als Nationalstaat – und als alltägliche Bedrohung für den normalen Bürger Europas. Zwei Bücher analysieren die islamistische Terrormiliz: mal eher marktschreierisch, mal mit intelligenten Fragen.
Es dauert lange, sehr lange, einem Menschen den Kopf abzusäbeln. Gerade dann, wenn man dies als einen geradezu rituellen Akt zelebriert und dann die Videoaufnahmen ins Internet stellt. Mit diesen Worten beginnt Bruno Schirra sein Buch "ISIS – Der globale Dschihad". Und er sagt:
"Ich war bei meinen Reisen zu ISIS mit einer Grausamkeit konfrontiert, wie ich sie in meinem Leben noch nicht gesehen habe. Und dieses selige Glück, das sich in den Augen wiederspiegelte, wenn sie über das Kreuzigen, der Töten, das Vergewaltigen sprachen – das hat einem nur das blanke Entsetzen durch den Leib getrieben."
So unverständlich ihm dieses Mordsglück ist, so absehbar war doch der Aufstieg der Terror-Miliz, schreibt Schirra. Das islamistische Potenzial des Arabischen Frühlings sei im Westen ignoriert worden, von Medien und Politik. Der amerikanische Abzug aus dem Irak? Ein großer Fehler, meint Schirra. Denn der Terror komme nun nach Europa. Und er komme aus Europa.
Cover - Bruno Schirra: "ISIS - Der Globale Dschihad"
Cover - Bruno Schirra: "ISIS - Der Globale Dschihad"© Econ
"Zumindest in den nächsten Jahren müssen wir uns darauf einrichten, dass der Terror in gewisser Hinsicht zum Alltag gehören wird. Und die Menschen, die ganz normalen Bürger, müssen sich daran gewöhnen, dass sie nicht mehr sicher sein können, ob sie, wenn sie morgens aus dem Haus gehen, abends noch leben."
Bruno Schirra liebt die eindeutigen Worte. Er spricht und schreibt schnörkellos, manchmal etwas marktschreierisch. Manchmal aber auch verblüffend unaufgeregt – wenn er den Bürgern, die morgens nicht wissen ob sie abends noch leben werden, zur Gelassenheit rät. Denn ändern können sie sowieso nur wenig, ebenso wie die westlichen Sicherheitsbehörden nicht jede Gefahr unterbinden können.
Den islamistischen Terror zu beenden haben nach Schirras Ansicht andere in der Hand.
"Alle arabisch-islamischen Länder befinden sich in einer tiefen strukturellen Krise. Es muss aus der arabisch-islamischen Welt eine Reformbewegung entstehen. Das sind Prozesse, die dauern Generationen."

Bruno Schirra: ISIS – Der globale Dschihad. Wie der "Islamische Staat" den Terror nach Europa trägt
Econ Verlag Berlin, 2015
336 Seiten, 18,00 Euro

Liegt die wahre Gefahr des Islamischen Staats in der Gewalt? Sicher, die Milizen schlachten Menschen ab, kreuzigen oder enthaupten sie. Aber sie bauen auch Straßen und Verwaltung. Das schmälert zwar das Grauen nicht – unterscheidet IS aber grundlegend von früheren Terror-Gruppierungen.
Cover - Loretta Napoleoni: "Die Rückkehr des Kalifats"
Cover - Loretta Napoleoni: "Die Rückkehr des Kalifats"© Econ Verlag
Die italienisch-amerikanische Autorin Loretta Napoleoni provoziert damit, den Islamischen Staat als tatsächlichen Staat ernst zu nehmen, noch dazu als modernen Staat. Anders als die Taliban, die zurück in frühere Jahrhunderte wollten, hätten die IS-Milizen nichts gegen die Impfung gegen Kinderlähmung, nichts gegen Smartphones oder Internet. Stattdessen nutzen sie die modernen Errungenschaften des Westens, um ihn damit zu bekämpfen. Ziel sei ein Kalifat des 21. Jahrhunderts – mit all seinem Schrecken, aber auch mit allen Annehmlichkeiten und aller Faszination.
Napoleoni wägt ab: Ist das Modell der Nationenbildung, wie es der Islamische Staat praktiziert, erfolgreicher ist als jenes des Arabischen Frühlings? Ein beunruhigender Gedanke, dem sich Demokratien und legitime Staaten stellen müssten, wenn sie die Entstehung einer neuen Welle des Autoritarismus verhindern wollen.
Auch dieses Buch kann keine fertigen Antworten liefern. Doch es formuliert immerhin Fragen, die allzu oft ungestellt bleiben.

Loretta Napoleoni: Die Rückkehr des Kalifats. Der Islamische Staat und die Neuordnung des Nahen Ostens
Rotpunkt-Verlag Zürich, 2015
160 Seiten, 17,90 Euro

Mehr zum Thema