Kurz und kritisch

Nikolai Bucharin und der Stalinismus

Transparent mit dem Konterfei Josef Stalins, aufgenommen auf einer 1. Mai-Demonstration 2011 in Berlin
Transparent mit dem Konterfei Josef Stalins © imago/IPON
Von Rolf Schneider · 21.02.2015
Stalinismus ist das Thema zweier Publikationen: Wladislaw Hedeler hat mit "Nikolai Bucharin - Stalins tragischer Opponent" ein umfangreiches Werk über den Lenin-Vertrauten Nikolai Bucharin verfasst. In "Macht ohne Grenzen" referieren neun Autoren über Herrschaft und Terror in dieser Epoche.
Es ist schon eine Weile her, da erschienen auf Deutsch die Gedanken Nikolai Bucharins zur Ökonomie. Sie lasen sich eher dröge, und der Inhalt entsprach ungefähr dem, wie in der Spätphase der DDR gedacht wurde. Zukunftsweisend wirkte er jedenfalls nicht, und die Behauptung, hier werde eine vernünftige Alternative zur stalinistischen Ideologie formuliert, sah sich durch den Untergang des Ostblocks widerlegt.
Bucharin war freilich nicht vorrangig ein Ökonom. Ausführlicher hat er sich zur allgemeinen Politik, zu Kunst und Philosophie geäußert, er hat Gedichte verfasst und einen Roman, dazu war er als Bildkünstler begabt. Die oft zitierte Äußerung Lenins, er sei der Liebling der Partei, gründet wohl auch auf diese Vielseitigkeit.
Er gehörte zu jenen engen Mitarbeitern des Führers der Oktoberrevolution, die man heute namentlich noch kennt, neben, natürlich, Stalin, neben Trotzki und, vielleicht, Radek, Sinowjew und Kamenew. Sie alle wurden von Stalin als potentielle Rivalen angesehen und darum beseitigt: Nikolai Bucharin mit 49 Jahren hingerichtet.
Cover Wladislaw Hedeler "Nikolai Bucharin. Stalins tragischer Opponent"
Cover Wladislaw Hedeler "Nikolai Bucharin. Stalins tragischer Opponent"© Matthes & Seitz
Seine Biografie ähnelte der anderer alter Bolschewiki. Geboren in kleinbürgerliche Verhältnisse, konnte er studieren, musste aber die Universität seines politischen Engagements wegen vorzeitig verlassen und emigrierte. Nach 1918 leitete er unter anderem das Regierungsorgan Iswestija und war Mitglied der sowjetischen Akademie der Wissenschaften.
Wladislaw Hedeler, in Sibirien geboren als Sohn eines ebenfalls von Stalin verfolgten deutschen Kommunisten, hat das vermutlich umfangreichste Buch über Bucharin geschrieben. Er schildert einen Genossen, der immerfort bereit war, die eigenen Ansichten zu korrigieren oder gar zu verwerfen.
Selbst die gegen ihn entfesselte Kampagne hat er in Teilen gebilligt, ob aus Überzeugung, Parteigehorsam oder Furcht, lässt sich bei ihm so wenig sagen wie bei den anderen Angeklagten der Moskauer Schauprozesse. 1988 wurde er von der KPdSU offiziell rehabilitiert.

Nikolai Bucharin - Stalins tragischer Opponent, beschrieben von Wladislaw Hedeler, Matthes & Seitz Verlag Berlin, 636 Seiten, 34,90 Euro

Stalinismus ist ein häufig gebrauchter und ziemlich diffuser Begriff. Er kann die drei Jahrzehnte Herrschaft des schnurrbärtigen Kremldiktators bezeichnen und ebenso allgemeine, anderswohin übertragbare Strukturen.
Die neun Autoren sind um eine exakte Definition nicht bemüht. Sie waren 2011 und 2012 die Redner einer Ringvorlesung der Berliner Humboldt-Universität zum Thema "Herrschaft und Terror im Stalinismus".
Was aber waren die Motive des Terrors? Begonnen hatte er schon mit Lenins Oktoberrevolution und erreichte seinen Höhepunkt dann ab 1936. Die Instrumente waren Denunziationen, öffentliche Kampagnen, Schauprozesse, anschließende Hinrichtungen beziehungsweise Lagerhaft.
Die ursprüngliche Absicht war es, Josef Stalins mögliche Konkurrenten um die Parteiherrschaft auszuschalten. Bald schon kulminierte das in einer alles umfassenden Paranoia, die selbst die Täter ereilen konnte:
Cover Jörg Baberowski, Robert Kindler (Hg.) "Macht ohne Grenzen"
Cover Jörg Baberowski, Robert Kindler (Hg.) "Macht ohne Grenzen"© Campus
Bei der politische Geheimpolizei NKWD, deren Geschäft der Terror war, verloren Tausende ihr Amt und meist auch ihr Leben, bis hin zu den obersten Chefs: Blutsäufer Genrich Jagoda wurde 1936 ersetzt durch Blutsäufer Nikolai Jeschow, der bereits zwei Jahre später dem Blutsäufer Lawrenti Berija weichen musste. Die Revolution, diese, fraß auch ihre Henker.
Fast alles, was die Ringvorlesung behandelt, wurde anderswo schon thematisiert. Grundsätzlich Neues bleibt rar. Eindrucksvoll liest sich die detaillierte Schilderung der ukrainischen Ereignisse von 1932/33, die – ohne dass es hier gesagt wird – heutige Emotionen und Tendenzen in dem von Kiew aus regierten Staat verständlich macht.
Ein einziger Text beschäftigt sich mit Ereignissen außerhalb der Sowjetunion. Es geht um Ungarn. Die stalinistischen Verfolgungen bis 1956 waren dort von besonderer Brutalität, der Volksaufstand und dessen blutiges Ende mündeten dann in das Regime János Kádárs. Bis 1989 ging es in der lustigsten Baracke des Ostblocks vergleichsweise liberal zu. Dass die damaligen Zustände, vor dem Hintergrund des heutigen Regimes Viktor Orbáns, fast schon paradiesisch anmuten, ist von bitterster Ironie.

Macht ohne Grenzen. Herrschaft und Terror im Stalinismus, herausgegeben von Jörg Baberowski und Robert Kindler, Campus Verlag Frankfurt, 223 Seiten, 19,90 Euro, auch als ebook erhältlich

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