Kurden-Vorsitzender über Erdogan

"Islamverbände identifizieren sich mit zwielichtigem Autokraten"

Der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde in Deutschland, Ali Ertan Toprak.
Der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde in Deutschland, Ali Ertan Toprak. © dpa / Picture Alliance / Hannibal Hanschke
Von Kemal Hür · 14.08.2016
Ali Toprak, der Vorsitzende der kurdischen Gemeinde in Deutschland, sieht die Islamkonferenz als gescheitert an. Der Islamverband würde sich mit der Türkei und Regierungschef Erdogan identifizieren, anstatt mit Deutschland. Toprak erhält erhält tagtäglich Droh-Mails aus der türkisch-nationalen Ecke.
"Hier zum Beispiel die 'Sabah', auf der Titelseite: 'Kovun bu adami', 'Schmeißt diesen Mann raus'. Sie möchten, dass ich aus dem ZDF-Fernsehrat rausgeschmissen werde. Man fordert die Bundesrepublik, die Bundeskanzlerin auf, mich da rauszuschmeißen mit der angeblichen Behauptung, ich wäre PKK-Mitglied."
Ali Ertan Toprak ruft auf seinem Smartphone Artikel auf, über die er sich erbost. Die regierungsnahe türkische Zeitung "Sabah" und andere hetzen gegen ihn, jeden Tag dasselbe Spiel. Seit Monaten erfährt der Vorsitzende der kurdischen Gemeinde in Deutschland Anfeindungen aus der türkisch-nationalen Ecke. Die Armenien-Resolution des Bundestages, die Toprak unterstützt hat, war Auslöser für üble Beschimpfungen im Internet. Nach dem Putschversuch in der Türkei gibt es kein Halten mehr.
"Hier schreibt einer, er möchte mir mein Nasenbein brechen und würde mich gerne mit seinen Jugendlichen zusammenschlagen, auseinandernehmen. Das sind noch die harmlosen. Es gibt schlimmere."
Toprak erstattet zwar Strafanzeige, und in einigen Fällen ermittelt auch der Staatsschutz. Aber Ali Ertan Toprak ist auch Familienvater. Er wird in nächster Zeit nicht in die Türkei reisen.
Berlin-Hauptbahnhof am Nachmittag: Ali Ertan Toprak, dunkelblauer Anzug, schwarze Krawatte, steigt aus. Gepäck hat er nicht dabei, er fährt heute Abend wieder zurück nach Hamburg. Toprak reist viel in Deutschland. Neben seinem Amt in der kurdischen Gemeinde ist er auch Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände. Und in dieser Funktion nicht nur im ZDF-Fernsehrat, sondern auch ansonsten viel gefragt.

"Wir wollen nicht Exilpolitik machen"

"Jetzt komme ich gerade aus Hannover, war bei der evangelischen Kirche Deutschlands. Und heute Abend bin ich in Berlin. Heute gibt es beim American Jewish Committee eine Gedenkveranstaltung. Dort werde ich meine Solidarität mit den jesidischen Freunden zeigen."
Der 47-jährige Toprak macht Politik in Deutschland, eigentlich will er sich in die Außenpolitik gar nicht einmischen. Das gelingt in letzter Zeit allerdings immer weniger.
"Wir wollen nicht Exilpolitik machen, sondern Politik hier in Deutschland mitgestalten. Wir sehen uns als Teil der deutschen Gesellschaft an und möchten unseren Fokus in erster Linie auf Deutschland richten. Aber was in den letzten zwei Jahren im Nahen Osten passiert ist, vor allem den jesidischen Kurden passiert ist, zwingt uns immer wieder, zu außenpolitischen Fragen Stellung zu beziehen."
Aber auch sein innenpolitisches Engagement verschafft ihm Feinde. Schon lange kritisiert er die Rolle des größten Islamverbandes DITIB. Die DITIB untersteht der türkischen Religionsbehörde. Sie unterhält bundesweit 900 Moscheen, deren Imame aus der Türkei entsandt und bezahlt werden. Sie sind türkische Staatsbeamte. Seit dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei vor drei Wochen und dem harten Durchgreifen des türkischen Präsidenten wird die DITIB vielfach von der deutschen Politik wegen ihrer Nähe zu Erdogan kritisiert. Eine überfällige Reaktion, meint der Rechts- und Sozialwissenschaftler Toprak, der sechs Jahre lang Mitglied der Deutschen Islamkonferenz war - zusammen mit der DITIB.

"Leider wiederholt sich die Geschichte"

"Ich finde, die Deutsche Islamkonferenz ist gescheitert. Die Islamverbände identifizieren sich nicht mit Deutschland, mit dieser Gesellschaft, sondern mit einem ausländischen Staat und einem zwielichtigen Autokraten. Wir können nicht einerseits die deutsche Pegida kritisieren, deutsche Rechtspopulisten kritisieren, aber dann gleichzeitig Staatsverträge mit national-islamistischen Organisationen machen."
Auf der Gedenkveranstaltung am Abend in Berlin erzählt die 21-jährige Jesidin Nadia Murad von ihrem Schicksal als Sklavin des selbst ernannten Islamischen Staates. Ihre Brüder und Mutter wurden vor ihren Augen von IS-Terroristen getötet. Sie wurde verschleppt und als Sex-Sklavin verkauft. Sie erzählt diese grausame Geschichte unter Tränen. Ali Ertan Toprak sitzt im Publikum. Die Tränen rinnen in seinen grau melierten Drei-Tage-Bart. Er nimmt seine Brille ab und stützt sein Gesicht in die Hände. Am Ende des Vortrags verharrt er noch eine Weile schweigend auf dem Stuhl.
"Das geht mir natürlich sehr nahe, vor allem das Leid der Jesidin, des jesidischen Volkes. Wir sagen immer wieder, Geschichte wiederholt sich nicht. Aber leider wiederholt sich die Geschichte, und es muss anscheinend immer zur Katastrophe kommen, dass wir reagieren. Das macht mich traurig, dass die Welt zu lange zugeschaut hat im Nahen Osten."
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